© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


"Etappe": Für und Wider den Ernst der Theorie
Einsamkeit und Pluralität
Werner Olles

Seit elf Jahren erscheint die Etappe, und auch die jüngste vierzehnte Ausgabe wird wieder von Günter Maschke und Heinz-Theo Homann herausgegeben. Als "Zeitschrift für Politik, Kultur und Wissenschaft" pflegt sie jenseits forcierter Geistreicheleien und flauer Witzchen zwar einen recht ironischen Stil, woran sich manch Konservativer stören mag, dennoch läßt sie sich keinem bestimmten politischen Standort zuordnen. Eine Zielutopie ist – Gott sei Dank – nirgendwo zu erkennen, und für eine fundamentalistische Totalopposition ist man hier viel zu intellektuell.

Wenn also das Schubladensystem bei Etappe überhaupt greifen soll, hätte man sie noch am ehesten unter der Kategorie "nonkonformistisch" zu suchen. Gewiß pflegt die Etappe eine Vorliebe für Denker der antiaufklärerischen und antidemokratischen Tradition. Warum auch nicht? Solange eine auf den Perfektionswahn gedrillte unerbittliche Vergangenheitsbewältigungsmaschinerie in Deutschland darauf bedacht ist, den Nationalstaat zu zerschlagen und uns die Identität zu nehmen, solange eine Minderheit in totalitärer Manier über die Mehrheit herrscht und die Deutschen gezwungen sind, in einem geschichtslosen Niemandsland zu leben, kann man sich vorbehaltlos nur zum Irrationalismus bekennen.

Anstelle wohlfeiler, hohler Ideologien schätzt die Etappe Seinsaussagen. Eine solche ist der Text von Herbert Ammon: "Vom Elend des deutschen Protestantismus am Ende des 20. Jahrhunderts". Er definiert die Misere des Protestantismus als "spezifisch deutsche Ausprägungen der europäischen Moderne". Diesen sei nur mit Ironie zu begegnen, wie anders könnte man den "Verlust unbefangenen christlichen Glaubens" und dessen Übergang in ein "säkularisiertes Luthertum – die Religion des deutschen Idealismus" auch beschreiben? Den schlüpfrigen Boden für solche Projekte bereitete jedoch eine Linke, die theologisch hoffnungslos auf den Hund gekommen ist und mit ihrem panischen Sendungsbewußtsein seit Jahren jede Kirchentags-Mahnmatinee okkupiert.

"Über Habermas" schreibt Reinhart Maurer. Sein Essay über dieses "Produkt der Reeducation", "das schneller schreibt als denkt" ist von jener drakonischen Strenge, die diesem "Erben des politisch meist illusionären deutschen Bildungsbürgertums" (Günter Maschke) gebührt. Im folgenden mutiert Habermas durch die Einverleibung Karl-Otto Apels kurzerhand zu Hapelmas. In dieser (Kunst)-Figur "vereinigt sich die Sehnsucht der deutschen, 1945 gebrochenen Flakhelfer nach der endlich richtigen Weltanschauung mit der Hybris der Sieger von 1989". Wenn der mit der Natur unversöhnte Hapelmas seinen Habermas "ein Stück Kantianismus" raushängen läßt, liegt das zwar ganz "auf der Linie eines universalmoralisch kaschierten Darwinismus", beweist aber andererseits, daß Habermas die technodemokratische Erdzivilisation per se als realen Emanzipationsprozeß begreift. Das ist jedoch wissenschaftlich nicht nur äußerst dürftig, sondern impliziert auch, daß seine Abkehr vom sozialistischen Marxismus eine endgültige ist.

In der Theorie von Habermas emanzipiert sich "ein menschheitsumfassendes Kollektiv" durch "Arbeit, Interaktion, Kommunikation, also durch technische Naturbeherrschung und Demokratie (kurz Technodemokratie)". So wird der "Hüter der Rationalität" vor den Tücken des Neomythologischen und Postfaschistischen auch weiterhin die "Rationalitätsstrukturen erfassen, interpretieren, vermitteln – und hüten". Der anthropologische Pessimismus wird jedoch auch weiterhin stolz sein Medusenhaupt in dieser Welt der "Demokratie als Kommunikation statt als Institution" erheben und – wie einst Rosa Luxemburg – verkünden: Ich war, ich bin, ich werde sein!

"German Call" nennt Sven K. Knebel seine "Betrachtungen aus der Hauptstadt". Im Stil des kryptischen Witzes erinnert der Autor daran, daß "das politisch-theologische Surplus der Vergangenheitsbewältigungs-Industrie" und die volkspädagogischen Anstrengungen der deutschen Residualidentität endlich zu einem neu gefundenen Nationalbewußtsein führen.

Alles in allem bietet auch die vierzehnte Etappe wieder eine gelungene Mischung aus strenger Einsamkeit und lässiger Pluralität, Aristokratismus und postmodernem Nomadisieren. Auch dies ist eine Form der Opposition gegen die Zu-Tode-Beschleunigung und das vage Sammelsurium von Zeitgeist-Beliebigkeiten, die doch niemand liest.


 
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