© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/98 26. Juni 1998

 
 
Italien: Sowjetisches Geld auch an Euro-Kommunisten
Liebesgrüße aus Moskau
von Peter Paul Rainer

Was seit Jahrzehnten vermutet, jedoch nie belegt werden konnte, steht nun fest: Die Kommunistische Partei Italiens (PCI) wurde bis 1987 durch die Sowjetunion großzügig finanziell unterstützt. Aus den Moskauer Archiven liegt dem italienischen Parlament die lückenlose und minutiöse Dokumentation der Geldtransfers an die einst stärkste kommunistische Partei westlich des Eisernen Vorhangs vor. Da werden die Ansuchen aus Italien an die "Lieben Genossen" in Moskau, deren Beantwortung, die Anweisungen der KPdSU zur Durchführung der Geldüberweisungen, die Empfangsbestätigungen durch die PCI und deren Dankesschreiben erstmals zugänglich. Überraschung löste in Italien die Tatsache aus, daß diese finanzielle Unterstützung bis 1987 angedauert hat.

Daß nach der Rückkehr des KP-Chefs Palmiro Togliatti am 27. März 1944 aus dem mehrjährigen Moskauer Exil seine Aufgabe die kommunistische Machtübernahme in Italien war, findet sich in jedem Schulbuch. Nach der Aufteilung Europas in Interessensphären, die Italien der westlichen Welt zuwies, sollte der Weg zur Errichtung eines Sowjetstaates über die Zusammenarbeit im antifaschistischen Kampf und die Beteiligung an den demokratischen Wahlen erfolgen. Durch den Ausschluß der marxistischen Parteien aus der Allparteienkoalition nach der berühmten Amerikareise des christdemokratischen Ministerpräsidenten Alcide de Gasperi im Mai 1947 und der Wahlniederlage der "Volksfront" bei den ersten Parlamentswahlen 1948, bei der Sozialisten und Kommunisten nur 31 Prozent der Stimmen erreichten, führte der Weg jedoch in die Opposition. Über diese erste Nachkriegszeit haben unter Italiens Historikern und Politologen nie Zweifel an der Finanzierung der Kommunistischen Aktivitäten durch Moskau bestanden. Italiens Kommunisten waren unter Togliatti ohne Verschleierung moskautreu und der Revolution zur Verwirklichung des realen Sozialismus verpflichtet. Dementsprechend wurde der Bruch Titos mit Moskau verurteilt und die militärischen Aktionen der UdSSR genauso wie die gewaltsame Niederschlagung der Aufstände 1953 in der DDR und 1956 in Ungarn und Polen durch die PCI gerechtfertigt.

Mit dem Tod des kommunistischen Langzeitvorsitzenden Togliatti (1926–1964) und der gleichzeitig 1964 erfolgten Entmachtung Nikita Chrusch-tschows in der UdSSR scheint die KP Italiens sich zu verselbständigen und proklamiert unter dem neuen Vorsitzenden, Luigi Longo, den "italienischen Weg zum Sozialismus", der unter anderem die Abkehr von der Revolution als Mittel der Machtübernahme enthielt. Doch der Schein trog, wie bereits die Bewertung des Einmarsches der Truppen des Warschauer Paktes zur Niederringung des "Prager Frühlings" 1968 verdeutlicht.

Moskau unterstützte die KPI noch bis 1987

Nach kommunistischer Tradition blieb auch in Italien jeder KP-Vorsitzende bis zu seinem Tod in Amt und Würden. Allein der erste ZK-Vorsitzende Amedeo Bordiga wurde 1924 wegen "Abweichung" durch Antonio Gramsci abgelöst und fiel schließlich den Stalinschen Säuberungen zum Opfer. Die erste wirkliche Ausnahme bildet der heutige PDS-Abgeordnete Achille Occhetto, der 1994 nach der Wahlniederlage gegen Silvio Berlusconi dem ehrgeizigen früheren Vorsitzenden des kommunistischen Jugendbundes, Massimo D’Alema, Platz machen mußte.

Doch zurück in die Zeit der 68er Revolte. Mit dem sardischen Marchese und Großgrundbesitzer Enrico Berlinguer betritt 1972 der fünfte Vorsitzende der 1921 gegründeten Partei die politische Bühne. Im Zuge der Studentenproteste und der sozialen Unruhen der 70er Jahre sowie der wachsenden Wahlerfolge seiner Partei erfolgt im Gleichschritt mit den Kommunisten Frankreichs und Spaniens die Propagierung des "Eurokommunismus", eines von Moskau unabhängigen neuen Weges. Die Diskussionen über diesen "Eurokommunismus" sind außerhalb der kommunistischen Parteien, deren Disziplin keine Diskussion oder gar Abweichung zuläßt, sehr intensiv und kontrovers, und die offiziellen Reaktionen der Sowjetunion scheinen tatsächlich einen Bruch zu bestätigen. Allerdings fehlen umgekehrt im Westen auch die warnenden Stimmen nicht, die im "Eurokommunismus" nur ein Täuschungsmanöver und einen Bluff zu erkennen glauben. Der Wahlerfolg von 1976 scheint Berlinguers Taktik recht zu geben und die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung der Kommunisten greifbar nah. Zwischen 1976 und 1979 bemühen sich der führende Christdemokrat und Linkskatholik Aldo Moro und der adlige KP-Chef, den Boden für eine große Koalition zu ebnen, der als "Historischer Kompromiß" die politische Debatte jener jahre nicht nur in Italien beherrscht. Mit der Ermordung des christdemokratischen Ministerpräsidenten vor 30 Jahren durch die "Roten Brigaden" scheitert jedoch diese Annäherung.

Gerade wegen der aufgezeigten Abgrenzungspolitik gegenüber Moskau und der Annäherung hin zu einer Regierungsbeteiligung unter Berlinguer ging man bisher davon aus, daß spätestens unter seiner Parteiführung die Finanzierung durch Moskau eingestellt worden sei. Die nun vorliegende Moskauer Dokumentation widerlegt diese Annahme grundlegend. Die dem italienischen Parlament von der Moskauer Staatsanwaltschaft übergebenen Akten betreffen die beachtlichen Finanzspritzen zwischen 1971 und 1987. Vor 1971 sind noch keine einschlägigen Unterlagen zugänglich. Der "Eurokommunismus" war demzufolge tatsächlich ein Bluff. Das Versiegen der Geldquellen für die stärkste West-KP erfolgte erst 1987 unter Michael Gorbatschow und scheint auf eine Moskauer Initiative zurückzugehen.

Aus den Akten gehen drei Formen von Finanzhilfe hervor: 1.) ein jährlicher Fixbetrag, 2.) Sonderzuwendungen für Wahlkämpfe und 3.) Sonderzuwendungen für Volksabstimmungen (beispielsweise zu den großen gesellschaftspolitischen Diskussionen der 70er Jahre wie Ehescheidung oder Abtreibung, denen eine besondere Bedeutung zukam, nachdem das katholische und das konservativ-bürgerliche Lager einen bevorstehenden Machtwechsel befürchteten und die Volksabstimmungen wie Wahlkämpfe ausgetragen wurden). Gezahlt wurde in harten US-Dollars, wobei die Korrespondenz auf höchster Ebene geführt wurde. Alle italienischen Ansuchen wurden durch den KP-Vorsitzenden persönlich oder wenistens noch durch den Schatzmeister gestellt und von Moskau jeweils durch den KPdSU-Vorsitzenden beantwortet.

Die früheren Kommunisten dominieren heute die Politik

So ersuchte, um ein beliebiges Beispiel anzuführen, Berlinguer am 12. Mai 1976 in einem Schreiben, das mit den Worten: "Lieber Genosse Breschnew" beginnt, um eine zusätzliche Finanzspritze für die bevorstehenden Parlamentswahlen vom 20. Juni. Der KPdSU-Vorsitzende gibt dem "lieben Genossen Berlinguer" eine positive Antwort und vermerkt, daß mit der zusätzlich gewährten Summe damit in diesem Jahr bereits 6,2 Millionen US-Dollar aus Moskau in die Wahlkampfkassen der KPI geflossen seien. Gleichzeitig erteilte Breschnew dem KGB den Auftrag, den Geldtransfer durchzuführen. Die Zuwendungen sollten sich lohnen, der Partito Comunista Italiano erzielte wenige Wochen nach diesem Briefwechsel sein bis dahin bestes Wahlergebnis. Wie in allen Wahlkämpfen der Zeitspanne von 1971 bis 1987 unterstützten die Sowjets auch im Europawahlkampf 1984 die angeblich abtrünnigen "Eurokommunisten", die nach dem unerwarteten Tod Berlinguers erstmals mit über 30 Prozent der Stimmen zur stärksten Partei Italiens wurden und die Christdemokraten knapp überrunden konnten. Berlinguers Nachfolger, Alessandro Natta, scheint nach heutigem Wissensstand der letzte KP-Vorsitzende gewesen zu sein, der "proletarische Bruderhilfe" erhielt.

Aus den von der Moskauer Staatsanwaltschaft den italienischen Behörden zur Verfügung gestellten Unterlagen erfahren die römischen Abgeordneten, daß nur die höchsten Parteispitzen informiert waren und der Geldfluß durch den KGB und den jeweiligen Schatzmeister der KPI abgewickelt wurde. Einer von diesen, der heutige PDS-Senator Gianni Cervetti, der gemäß Dokumentation den Empfang stets schriftlich bestätigte, hüllt sich in Schweigen. Zwischen 1971 und 1978 wurden die Parteikassen der Botteghe Oscure, dem Parteisitz des einstigen PCI und des heutigen PDS, um Dutzende Millionen Dollar bereichert. Sprach man in den 70er Jahren in der Korrespondenz noch offen von US-Dollar, zog man in den 80er Jahren für die Benennung der Geldsummen die Bezeichnung "Stückzahl" vor.

Der ehemalige Vertreter der Radikalen Partei und heutige Abgeordnete der rechtsliberalen Forza Italia, Marco Taradash, brachte Mitte Mai den Stein ins Rollen, der nun zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses führte. Dieser Ausschuß wird auch zu klären haben, weshalb diese Moskauer Aktenbestände, obwohl bereits 1991 der Staatsanwaltschaft in Rom bekannt, versiegelt in den Panzerschränken verschwanden, ein zunächst eingeleitetes Ermittlungsverfahren sofort wieder eingestellt wurde und die Dokumente damit erst mit siebenjähriger Verspätung öffentlich bekannt wurden.

Die beiden Nachfolgeparteien der KPI, der reformkommunistische PDS wie die linke Abspaltung der Altkommunisten, schweigen gleichermaßen zum Bekanntwerden dieser handfesten Zuwendung durch das "Vaterland aller Proletarier". Bestenfalls bemüht man sich um eine Relativierung, indem man auf die US-Finanzhilfen für die Christdemokraten verweist. Eine solche Aufrechnung erscheint jedoch voreilig und zu einfach, denn die Dauerregierungspartei DC ging zwischen 1992 und 1994 durch Tangentopoli, dem größten Schmiergeldskandal der italienischen Geschichte, genauso unter wie die Sozialistische Partei (PSI). Allein die damals noch ausgegrenzte und daher politisch unbedeutende neofaschistische Rechte und die politisch mächtige kommunistische Linke standen als Saubermänner da, versehen mit dem Nimbus der vom Korruptionskampf Unberührten. Damit begann nach dem Untergang des "real existierenden Sozialismus", einer rasch und diszipliniert vollzogenen Etikettenänderung, indem aus der Kommunistischen Partei Italiens, die Partei der demokratischen Linken wurde, der Marsch an die Schaltzentralen der Macht. Schließlich verfügten nur noch die Kommunisten mit einem Wähleranteil von 27 Prozent und die Neofaschisten mit einem Wähleranteil von 5 Prozent über eine kapillare und eingeschworene Organisation. Nach den Parlamentswahlen von 1996, aus denen der PDS mit 21 Prozent als stärkste Partei hervorging, war der Weg zur ersten demokratischen Regierungsbeteiligung frei. Als stärkste Koalitionskraft dominiert er seither die italienische Politik und wurde in die Sozialistische Internationale aufgenommen.

Gerade wegen der Führungsrolle, die die KPI unter den westlichen kommunistischen Parteien ausübte, ergeben sich eine Reihe von Frage, die auch Frankreich und Spanien sowie kleinere europäische Staaten und die Rolle ihrer kommunistischen Parteien innerhalb des jeweiligen politischen Systems und den einzelnen Phasen der Nachkriegsgeschichte dieser Länder betreffen.


 
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