Weihnachtszeit ist auch Schokokoladenzeit. Und wer bei diesem Genuß zusätzlich ein gutes Gewissen haben will, der kann seit Jahrzehnten Bioschokolade kaufen – und das sogar mit Brüsseler Segen: Die erste EWG-Bioverordnung (2092/91) galt 18 Jahre, sie wurde 2009 durch die EG-Verordnung 834/2007 abgelöst. 2022 folgte dann die strengere EU-Verordnung 2018/848 über die „ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen“. Erkennbar sind solche Bioschokoladen durch ein grünes Logo mit zwölf weißen Sternen.
Dieses EU-Siegel gibt es nicht umsonst: Die Einhaltung der EU-Produktkriterien überprüfen mehr als ein Dutzend in Deutschland zugelassene Öko-Kontrollstellen. So wird die Schoko-Eigenmarke der Berliner Lebensmittelkette Bio Company durch die Nürnberger Kiwa BCS Öko-Garantie GmbH (DE-ÖKO-001) kontrolliert. Der Recklinghausener Versender „Schokoladen-Outlet“ verläßt sich auf die Straubinger Ökop Zertifizierungs GmbH (DE-ÖKO-037). Wer zusätzlich auch soziale Kriterien wie faire Preise für Milch und Kakao berücksichtigt haben will, der greift zu Bioschokolade mit Gepa- oder Naturland-Fair-Siegel.
Wirklich unter fairen Bedingungen gehandelt und rückverfolgbar?
Demeter ist der älteste und strengste Bio-Anbauverband in Deutschland. Seit hundert Jahren werden die Produkte in der „biodynamischen Kreislaufwirtschaft“ erzeugt. Doch drei bis zehn Euro für eine 100-Gramm-Tafel – das kann sich nicht jeder leisten. Deswegen haben Markenfirmen wie die Alfred Ritter („Ritter Sport“) oder Mondelēz („Milka“) eigene Siegel, die keine Bioqualität, aber „zertifiziert nachhaltigen Kakaobezug“ versprechen. Große Ketten wie Lidl oder Rossmann werben mit dem markenunabhängigen „Fairtrade“-Siegel „für fair angebaute und gehandelte Produkte, bei dem alle Zutaten zu 100 Prozent unter Fairtrade-Bedingungen gehandelt sind und physisch rückverfolgbar sind“. Zertifiziert wird dies vom Kölner Verein Fairtrade Deutschland. Für das Siegel wird eine Lizenzgebühr von „0,234 Euro pro Kilogramm“ fällig – also 2,34 Cent pro 100-Gramm-Tafel.
Doch den Brüsseler Bürokraten und ihren Einflüsterern aus der NGO-, Berater- und Investmentszene reichte das nicht. Deswegen wurde auch der Kakao in die umstrittene EU-Verordnung 2023/1115 über „entwaldungsfreie Lieferketten“ (Entwaldungsverordnung/EUDR) aufgenommen.
Deren Inkrafttreten war ursprünglich schon für Dezember 2024 geplant. Doch da die EUDR auch für Soja, Ölpalmprodukte, Kaffee, Kautschuk und Holz genaue Nachweispflichten vorsieht, die speziell von kleinen und mittleren Unternehmen kaum erfüll- und bezahlbar sind, regte sich Widerstand. Die EU-Kommission kündigte daher im Oktober einen Aufschub der EUDR von zwölf Monaten an. Für eine grundsätzliche Entschärfung fand sich im EU-Parlament und unter den 27 EU-Umweltministern aber keine Mehrheit. Eine „No-Risk“-Kategorie für Länder und Regionen mit geringem Entwaldungsrisiko hätte die betroffenen Firmen von teurer Bürokratie entlastet – aber lukrative neue Geschäftsmodelle ausgebremst.
So wirbt beispielsweise die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG seit Monaten damit, Firmen, die mit Soja, Ölpalme, Kakao, Kaffee, Kautschuk und Holz handeln oder daraus hergestellte Erzeugnisse verwenden, bei der Einhaltung der „neuen Sorgfaltspflichten“ hilfreich zur Seite zu stehen. Schließlich müssen nun nicht nur Schokoladenhersteller garantieren, daß für den Anbau des Rohstoffs seit dem 31. Dezember 2020 keine Flächen entwaldet wurden. Das kann weder die kleine Schokoladenmanufaktur noch der mittelständische Konkurrent leisten – der Chicagoer Weltkonzern Mondelēz oder die Schweizer Nestlé S.A. hingegen schon.
Auch Fairtrade hält nichts von einer risikofreien Kategorie: Eine solche „Öffnung des EUDR“ würde angeblich viele wichtige Initiativen zur Verringerung der Entwaldung einschränken und nachhaltigkeitsorientierte, umweltbewußte Unternehmen schädigen. Bezug nehmend auf eine eigene Studie über zertifizierte und nicht-zertifizierte Kooperativen in Kolumbien, Honduras und Elfenbeinküste verweist Fairtrade auf die positive Wirkung von Mindestpreisen und Prämien, die Erzeuger in den armen Ländern erhielten. Der Kölner Verein sieht darin entscheidende Instrumente für den Waldschutz. Diese Fairtrade-Gelder würden den Kakaokooperativen erst ermöglichen, überhaupt in Waldschutzmaßnahmen zu investieren.
Einige der Kooperativen nutzten die zusätzlichen Gelder auch dazu, die hohen Anforderungen des EUDR hinsichtlich der „GPS-Geolokalisierung oder Polygonkartierung“ – also der genauen Satellitenüberwachung des Kakao- oder Kaffeeanbaus – zu erfüllen. Sprich: Die höheren Mindestpreise für den Kakao fließen nur zum Teil den armen Bauern zu und bringen ihnen etwas Wohlstand, sondern finanzieren die neue EUDR-Bürokratie. Und eine abgeschwächte EUDR beeinträchtigt das lukrative Geschäftsmodell der zahlreichen Beratungs-, Prüfungs- und Zertifizierungsgesellschaften.
„Geldstrafe in Höhe von vier Prozent Ihres EU-Umsatzes“
Die hohen Investitionen dürfen schließlich nicht vergeblich sein: „Um Fairtrade-Kakao- und Kaffeebauern sowie -Kooperativen bei ihren Vorbereitungen zu unterstützen, hat sich Fairtrade mit dem Technologieunternehmen Satelligence zusammengetan, das bei der Erhebung von Geolokalisierungsdaten und der Erstellung von Sorgfaltserklärungen hilft. Diese werden dann Handelspartnern zur Verfügung gestellt“, so beschreibt Fairtrade ganz unverblümt sein zusätzliches Geschäftsmodell.
Bislang waren die diversen Siegel weitgehend freiwillig – die EUDR macht die teure Lieferketten-Überwachung nun zum Zwang. Werbung ist gar nicht mehr nötig: „Bei Nichteinhaltung der EUDR bis Dezember 2025 drohen Ihrem Unternehmen empfindliche Strafen, unter anderem eine Geldstrafe in Höhe von vier Prozent Ihres EU-Umsatzes, mögliche Beschlagnahmung von Waren, Verzögerungen in der Lieferkette, Handelssanktionen, Verlust des Marktzugangs und eine negative Publicity“, warnt das Satelligence-Marketing.
Die niederländische Firma bietet ihre Dienstleistung auch zur Erfüllung amerikanischer und britischer Vorschriften (Forest Act bzw. UK Environment Act) an. Für all das sind hohe Investitionen nötig, denn es geht nicht nur um den Schokogenuß mit gutem Gewissen: Man werde „von 4impact unterstützt, einem bekannten europäischen Technologie- und Investmentfonds, der von den ehemaligen Goldman-Sachs-Kollegen Ali Najafbagy und Pauline Wink-Zaanen mitbegründet wurde“, verkündet Satelligence stolz.
4impact habe sich auf „Technologiefirmen spezialisiert, die globale Lösungen mit einem starken Fokus auf gesellschaftlicher und nachhaltiger Wirkung anbieten und gleichzeitig eine positive finanzielle Rendite erzielen“. Bereits 2020 habe man eine Investition von 2,3 Millionen Dollar von 4impact und dem Programm „Horizont 2020“ der EU-Kommission erhalten. Und das Kapital wird sich auf jeden Fall rentieren – selbst wenn es 2025 doch noch eine Entschärfung der EUDR geben sollte.
www.fairtrade-deutschland.de/was-ist-fairtrade
www.oekolandbau.de/bio-zertifizierung
satelligence.com/eudr
Foto: Mitglied der Fairtrade-zertifizierten Kakaokooperative Ecojad an der Elfenbeinküste: Die genaue Satellitenüberwachung des Anbaus und der Lieferketten übernehmen westliche Unternehme