© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/24-01/25 / 20.-27. Dezember 2024

Mit Schwedentrunk, Mord und Schändung
Vor 350 Jahren fielen schwedische Truppen in das Kurfürstentum Brandenburg ein / Verheerungen wie im Dreißigjährigen Krieg
Jan von Flocken

Als der schwedische Reichsfeldherr Carl Gustav Wrangel am 28. Dezember 1674 mit etwa 18.000 Soldaten und 28 Kanonen aus Mecklenburg und Vorpommern in die Uckermark einfiel, drohten die Schrecknisse des Dreißigjährigen Krieges blutige Wiederkehr zu halten.

„Bet’t Kinder, bet’t /

Morgen kommt der Schwed’/

Die Schweden sind gekommen,/

haben alles mitgenommen,/

haben’s Fenster eingeschlagen,/

haben’s Blei davon getragen,/

haben Kugeln daraus gegossen/

und die Bauern erschossen.“

hieß es drei Jahrzehnte zuvor angstvoll in der Mark. Das hatten die Menschen keineswegs vergessen.

Brandenburg war Ende 1674 von regulären Truppen nahezu entblößt. Kurfürst Friedrich Wilhelm stand mit seiner Armee zunächst am Rhein, um dem Kaiser im Kampf gegen die Franzosen Ludwigs XIV. beizustehen, und die Kompanien hatten nun ihre fränkischen Winterquartiere rund um Schweinfurt bezogen. Die Wrangelschen Soldaten, Verbündete Frankreichs und wütend darüber, daß ein großer Teil der Bevölkerung mit Hab und Gut aus den brandenburgischen Grenzgebieten geflohen war, raubten, plünderten und mordeten ungehemmt, je weiter sie ins Landesinnere vordrangen.

Dagegen konnte zunächst nur eine Art Selbstschutz der Bewohner organisiert werden. Das war leichter befohlen – man solle die Eindringlinge „niedermachen und ihnen die Hälse brechen“, hatte der Kurfürst angeordnet – als ausgeführt. Immerhin entstanden in der Prignitz, im Havelland und in der Uckermark Verbände von Bauernpartisanen. Diese konnten mehrere schwedische Streifscharen daran hindern, die Elbe zu überqueren. Der Landeshauptmann der Altmark ließ eigene Formationen bilden. Auf ihren Fahnen stand die Devise: „Wir Bauern von geringem Gut dienen unserem gnädigen Kurfürsten mit unserem Blut.“ In Berlin/Cölln, Küstrin, Spandau und Frankfurt an der Oder bewaffneten sich Bürgerwehren.

Während Friedrich Wilhelm mit seinen Truppen in Eilmärschen Richtung Brandenburg vorrückte, spielten sich hier schauderhafte Szenen ab. Wobei zu berücksichtigen ist, daß alles binnen nur sechs Monaten geschah. So heißt es in einem Bericht aus Ruppin: „Etliche Häuser sind gar ausgeplündert und zerstört, und viele Bürger, die kein Geld geben wollen oder können, sind jämmerlich mit Stricken um den Kopf und auf andere grausame Weise gemartert worden (…) man hat sie gestöcket und geblöcket (die Füße in einen Holzblock geschlossen)“. Aus dem Magdeburgischen hieß es: „Überall auf dem Lande, wo die Armee durchgezogen, ist völliger Schade an dem lieben Korn zu sehen, dazu kommt noch, daß die Straßen mit totem Vieh, das aus Übermut erschlagen, gleichsam bedeckt sind. Die Kirchen sind ganz zerstört und man hat an verschiedenen Orten in die zinnernen Kelche uriniert und so wieder auf den Altar gesetzt.“ Eine weitere Beobachtung: „Die gemeinen Bauer- und auch Predigerweiber sind geschändet, wie denn der Pfarrer von Hackenberg diesem Treiben an seiner eigenen Frau zusehen und noch 50 Taler dazu hergeben müssen (...).  Man hat auch Leute lebendig bis an den Hals in die Erde gegraben unter anderen eine sehr alte Frau, so nach an ihr verübten Schändung an die drei Stunden lebendig in der Erde sitzen müssen. Etlichen hat man lebendig Riemen aus dem Rücken geschnitten.“

Die Städte Bernau, Gransee, Liebenwalde, Lychen, Neustadt an der Dosse, Eberswalde, Oderberg, Perleberg, Pritzwalk, Straßburg, Straußberg, Templin, Wriezen und Zehdenick wurden fast vollständig ausgeplündert. Auch der berüchtigte „Schwedentrunk“ kam wieder zum Einsatz. Dabei wurden den Opfern gewaltsam große Mengen Flüssigkeit eingeflößt, die kurz darauf wieder aus dem Körper herausgepreßt wurden, entweder mit heftigen Stößen oder durch das Einspannen des Körpers zwischen Holzplanken. In der abgeschwächten Version verwendete man nur Wasser, bei der brutaleren Variante mußte Jauche oder Urin geschluckt werden.

Die lutherische Gemeinsamkeit spielte jetzt keine Rolle mehr

Damit nicht genug, konnte man lesen: „Ja, es haben wegen dieser Grausamkeit die Toten in der Erde nicht ruhen mögen, sondern man hat sie ausgegraben, beraubt und den Hunden vorgeworfen.“ Selbst die Jüngsten wurden nicht verschont. In einem Bericht aus Rathenow heißt es: „Kinder haben dergleichen Tyrannei auch erfahren müssen. Man hat sie aus lauter Lust totgeschossen, wie denn allhier unter andern an einem Fischerknaben von 13 Jahren verübt worden, der auf dem Wolzensee aus Übermut erschossen worden.“

Sicher wurde in diesen Schilderungen auch manches aufgebauscht. Andererseits hat man solche Vorkommnisse von verschiedenen Seiten gemeldet, so daß sie nicht als bloße Erfindungen abgetan werden können. Die Einwohner jedenfalls waren aufs Äußerste erbittert. „Von der Gemeinsamkeit des lutherischen Bekenntnisses zwischen den Schweden und der brandenburgischen Bevölkerung, wie sie im Dreißigjährigen Krieg noch eine gewisse Rolle gespielt hatte, war jetzt nichts mehr zu spüren“, schreibt Ludwig Hüttl in seiner Biographie des Großen Kurfürsten.

Ende Juni 1675 erreichten die ersten Truppenteile von Friedrich Wilhelm den Süden Brandenburgs. 300 Kilometer über die Berge des Thüringer Waldes und Sachsen hatte die Streitmacht in Gewaltmärschen zurückgelegt und kam am 21. Juni mit nur 6.000 Reitern vor den Toren Magdeburgs an. Vier Tage später konnte der spätere Generalfeldmarschall Georg von Derfflinger eine feindliche Besatzung aus Rathenow vertreiben. Bei Nauen verlor General Wrangel einen großen Teil seiner Nachschubkolonnen. In der Schlacht bei Fehrbellin schließlich wurden die Schweden am 28. Juni vom Großen Kurfürsten, wie er seitdem hieß, so vernichtend geschlagen, daß sie fluchtartig das geplagte Land verlassen mußten.

Bild: Carl Gustav Wrangel: Tyrannei in der Mar