© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/24-01/25 / 20.-27. Dezember 2024

Zeitschriftenkritik: Philosophie Magazin
Immer schön gelassen bleiben
Werner Olles

Mit Blick auf die Weihnachtsfeiertage befaßt sich Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des zweimonatlich erscheinenden Philosophie Magazins, im Editorial der aktuellen Ausgabe (Dezember/Januar, 01/2025) mit dem Thema „Streitvermeidung“. Denn eigentlich möchte man ja mit der Familie und mit Freunden unbeschwerte Stunden verbringen. Wenn da nicht nur die Kontroversen um die Dauerthemen Krieg im Nahen Osten, Waffenlieferungen an die Ukraine, die Energiewende oder allgemein die Politik der Ampel-Regierung beziehungsweise ihrer voraussichtlichen Nachfolger wären. Oft ticken da regelrechte Zeitbomben, und ein einziges „falsches“ Wort bei einem der heiklen Themen löst panikartige oder wutentbrannte Reaktionen aus. Flaßpöhler plädiert indes nicht für das verkrampfte Vermeiden derartiger Themenbereiche, da die Gespräche dann sehr schnell seicht und langweilig würden, sondern dafür, den sich ankündigenden Streit gelassen willkommen zu heißen, selbst wenn man genau weiß, daß man bei bestimmten Themen am Ende unversöhnt bleibt. Tatsächlich widerspreche ein gut geführtes Streitgespräch am festlich gedeckten Tisch nicht der Feierlichkeit des Augenblicks, sondern bewahre ihn eher davor, zur reinen Farce zu werden.

„Können wir noch zusammen sein?“ lautet dann auch das Schwerpunktthema, und auch hier darf man davon ausgehen, daß ein Streit Beziehungen auf die eine oder andere Art zu dynamisieren und lebendig zu halten in der Lage ist und dadurch Substanz und Dauer ermöglicht. Eine Voraussetzung dafür ist jedoch, daß der Disput nicht mit Phrasen statt Argumenten geführt wird, ein Problem, das unsere heutigen Noch-Regierungspolitiker leider nicht beherrschen. Da wird beispielsweise bei dem SPD-Politiker Carsten Schneider, seines Zeichens Ost-Beauftragter der Bundesregierung, die BSW-Chefin Sahra Wagenknecht zur „Polarisierungsunternehmerin, der die Fähigkeit fehlt, Menschen für den „Fortschritt“ zu begeistern, während der Philosoph Max Horkheimer eine derartige Phrase kurz und bündig mit „Der Fortschritt ist heute nicht mehr aktuell!“ gekontert hätte. Der Einbruch des Politischen in die Politik – so würde Carl Schmitt vermutlich die aktuelle Lage bezeichnen -, den wir heute erleben, führt ganz selbstverständlich dazu, daß die Fortschrittserzählungen der Moderne an eine Grenze gekommen sind. Die moderne Fortschrittsorientierung führte unweigerlich zu einem Zuwachs an Verlusten, von der Verlusterfahrung des Heimatgefühls über das Scheitern der Selbstverwirklichung bis zur Mobilisierung und Vernetzung von Opfergruppen, die das Verschwinden ihrer sozialen und natürlichen Welt als Katastrophenkonvergenz erleben und erleiden.

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