Vor dem väterlichen Buchregal stehend, fällt mein Blick zufällig auf den Buchrücken „Reise nach Beirut/Verfehlung“, zwei Novellen von Werner Heiduczek (Mitteldeutscher Verlag, Halle/ Leipzig 1986). Bin ich zunächst elektrisiert, als erwartete mich eine diachronische Zeitreise, gewissermaßen ex post zu den aktuellen Entwicklungen in Nahost, ernüchtert doch die sprachliche wie inhaltliche Banalität dieser vermeintlich unerhörten Geschichte des aus Leipzig stammenden bundesdeutschen Bildreporters Werner Radomski, der vom syrischen Palmyra aus über einen Kibbuz in den Golanhöhen, begleitet von einem israelischen Hauptmann, nach Beirut fahren will, das er aber nicht erreichen wird, weil ein Anschlag beide ins Jenseits befördert – den toten Radomski jedoch neben das Grab seines parallel verstorbenen Vaters in Leipzig. Doch das Urteil über den Novellenband ist vermutlich ungerecht, die Geschichten haben ihr Recht in der Zeit, im Freiluftgefängnis DDR – damals müssen die an allem zweifelnden Sätze, die erinnerte Verhörszene, der biographische Bezugspunkt meines Vaters, in Leipzig aufgewachsen, von der in den Westen geflohenen Mutter getrennt, vermutlich doch eine ganz andere, geheimnisvolle Wirkung entfaltet haben. Der schmale Band wandert zurück ins Regal – einige Buchrücken entfernt vom „Tod am Meer“, Heiduczeks autobiographisch geprägtem Roman von 1977 über die skeptische Lebensbilanz des fiktiven DDR-Künstlers Jablonski, der wegen angeblich antisowjetischer Passagen durch Intervention des sowjetischen Botschafters Pjotr Abrassimow zeitweise verboten worden war, sprich: wegen Erwähnung der Vergewaltigungen deutscher Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg durch Sowjetsoldaten. Wieder meldet sich bei mir die schulmeisternde Ermahnung der DDR-Propaganda: „Ja glaubst du denn, der Russe, der will Krieg?“ Spätestens beim Einmarsch in Afghanistan hatte ich keine Zweifel mehr – und sprang als Kind in den seligen Sommerferien in das Schwimmbassin meines Onkels im Erzgebirge, damals noch treuer SED-Genosse, der gerade begeistert von den Olympischen Spielen in Moskau zurückgekommen war und sogleich vom Campingstuhl aus intervenierte, als ich eine kritische Bemerkung zu Afghanistan machte. Rambo war ohnehin weit weg – und ich denke plötzlich: „The Russians love their children too? / Stingers and Snowden also do.“
Gerade kämpft Captain Kirk auf einem fremden Planeten um Leben und Tod, da bricht die Wirklichkeit ein.
Verstört sehe ich im Abendprogramm eine uralte Folge von „Raumschiff Enterprise“, die ich – im Schwarzweiß-Fernseher des Freiluftgefängnisses DDR – jedesmal gebannt geschaut hatte. Gerade ist Captain Kirk auf einem fremden Planeten im Zweikampf um Leben und Tod, da bricht die Wirklichkeit ein: die Erinnerung, wie mich der einstige Raumschiffkommandant, der Schauspieler William Shatner, vor wenigen Jahren ganz plötzlich bedroht hatte, weil ich ihn für eine Presseanfrage sehr freundlich und respektvoll angeschrieben hatte. Offenbar total vernebelt, bar jeder Diplomatie, wie in dieser Folge „Die Wolkenstadt“. Dann doch lieber der „Superman“-Comic aus dem Westen: „Krypton Gnosis/Metropolis.“