Hier schwimmt kaum noch etwas wie es soll. Dabei galten Wasserstraßen als „einziger Landverkehrsträger mit freien Kapazitäten“; ohne diese sei die Verkehrswende in Deutschland nicht zu leisten, so der Bundesverband der Deutschen Binnenschiffahrt (BDB), der unter der Überschrift „Was Sie über die Binnenschiffahrt wissen sollten“ mitteilt: Weder fahren Binnenschiffe mit Schweröl, noch haben Binnenschiffer keine Familie. Zudem stehen wir nicht im Stau oder dümpeln das ganze Jahr auf ausgetrockneten Flüssen herum.
Leider stimmt das nicht ganz. Denn Stillstand herrscht gegenwärtig auf der Oberelbe, weil in Dresden die Carolabrücke eingestürzt ist und in Bad Schandau eine Elbbrücke (B 172) wegen Einsturzgefahr gesperrt werden mußte. Das bedeutet auch ein Verbot für das Darunterhinwegfahren. Auch die Binnenschiffer auf der Mosel haben ein Problem. Bis voraussichtlich Ende März bleibt auch hier der Fluß für den Schiffsverkehr gesperrt. Ein Frachter hat eine Schleuse stark beschädigt, so daß 74 Schiffe nach Frankreich sowie zur Saar nicht ablegen können. Ein aufwendiges Notschleußungskonzept soll nun zumindest den Schiffsstau bis Silvester auflösen.
Jährlich werden 171 Millionen Tonnen Güter verschifft
Für den Trierer Hafen, über den ein Großteil der Waren verschifft wird, bedeutet das ein „Worst-Case-Szenario“, so Hafengeschäftsführer Volker Klassen. Kurzzeitige Unterbrechungen durch Hochwasser oder Reparaturen an Schleusen seien verkraftbar, aber daß monatelang kein Schiff fahren kann, das habe es noch nie gegeben. Unfälle dieser Dimension sind selten, meist kann schnell Abhilfe geschaffen werden. So beispielsweise Ende November, als ein mit 1.430 Tonnen Asphalt-Bitumen beladenes Güterschiff sich auf der Donau wegen eines Fahrfehlers festfuhr und die Schiffahrt zwischen Straubing und Vilshofen gesperrt werden mußte.
Umleitungen sind selten möglich, meist bleibt als Ausweg nur das Umladen der Fracht auf die Straße oder die Schiene. Läuft alles rund, werden etwa 171 Millionen Tonnen Güter pro Jahr auf den deutschen Flüssen und Kanälen transportiert. Dies entspricht einer Transportleistung von 41,5 Milliarden Tonnenkilometern (tkm). Diese Mengen werden dabei nicht nur von den 2.200 im deutschen Binnenschiffsregister eingetragenen Schiffen, sondern auch von Schiffen aus den Nachbarländern bewältigt. Ganze Industriezweige sind von der Branche abhängig, so der BDB. Ein modernes Binnenschiff ersetze 150 Lkw, sorge für Entlastung der Straßen und sei um zwei Drittel CO₂-sparender pro transportiertem Tonnenkilometer.
Auch die Personenschiffahrt werde als Wirtschaftsfaktor unterschätzt. In der Fahrgastschiffahrt gibt es fast 1.000 Tagesausflugsschiffe mit einer Passagierkapazität von 215.000 Menschen. 44 Millionen Fahrgäste befördert die Ausflugsschiffahrt in Deutschland jährlich. Hinzu kommen rund 50 Flußkreuzfahrtschiffe als „schwimmende Hotels“ mit einer Kapazität von 7.400 Betten. Die Hälfte der Güterbinnenschiffsflotte sind Motorschiffe, von denen 680 für trockene Ladung und 400 für flüssige und gasförmige Güter ausgelegt sind. Hinzu kommen noch 270 Schubboote, 110 Schlepper sowie 680 unmotorisierte Schubleichter. 50 Bunkerboote versorgen sie als mobile Tankstellen.
Diese Dimensionen sind der Öffentlichkeit unbekannt, findet der BDB und hat daher nun seine Kampagne „Pro Binnenschiffahrt“ initiiert, auch für „Arbeitskräfte in einem zukunftssicheren Arbeitsumfeld zu werben“. Gleichzeitig trugen die Binnenschiffer, Reeder, Schiffbauer, Häfen und Gewerkschafter ihre Sicht vor dem Wirtschaftsausschuß des Bundestages vor. Auf marode Schleusen, verfallende Bauwerke, verfehlte Sanierungsprogramme und Personalmangel, was alles zu „enormen Wartezeiten an Schleusen“ führe, wies Kapitän Jürgen Collée hin. Er appellierte an Bund und Länder, die Wasserstraßen nicht verrotten zu lassen, sie seien „die Grundlage für unsere Schiffahrt“.
Bereits im Mai war während einer „Anhörung zur Stärkung der Binnenschifffahrt“ der massive Investitionsstau in der Wasserstraßeninfrastruktur beklagt worden (Drs. 20/10386). BDB-Geschäftsführer Jens Schwanen beziffert den Investitionsbedarf auf 2,5 Milliarden Euro jährlich. Großindustrien und Wirtschaftszentren seien an Kanälen und Flüssen angesiedelt: „Dieser Verkehrsträger ist allein schon wegen der Volumina, die mit einem Schiff bewegt werden können, alternativlos.“
Das spüren aktuell Chemiefirmen wie Liqui Moly, die einen Großteil ihrer Lieferungen über die Mosel transportieren. Die Verlagerung auf den Straßentransport bringt Mehrkosten von einer halben Million Euro. Und viele Produkte seien zu groß, um sie auf der Straße oder Schiene transportieren zu können, beklagen die Firmen Dillinger und Saarstahl. Eine auskömmliche Finanzierung der Ersatzinvestitionen in Schleusen und Wehre müsse der „Masterplan 2.0“ enthalten, so BDB-Präsident Martin Staats. 2015 habe das Bundesverkehrsministerium den jährlichen Ersatzinvestitionsbedarf auf 900 Millionen Euro beziffert. „Erreicht wurde dieser Wert nie“, moniert Staats. Wegen der Inflation dürften es inzwischen 1,2 Milliarden Euro sein.
Förderprogramm für „nachhaltige Modernisierung“ verlangt
Der Rhein ist die wichtigste deutsche Wasserstraße. 80 Prozent des europäischen Binnenschiffgüterverkehrs werden auf ihm abgewickelt. Jährlich passieren den Niederrhein 100.000 Güterbinnenschiffe, im Schnitt 270 pro Tag. Auch die großen Häfen von Antwerpen über Rotterdam und Bremerhaven bis Hamburg sind auf den Hinterlandverkehr per Binnenschiff angewiesen. Der Rhein ist die Lebensader für viele Wirtschaftszweige, insbesondere für die Chemie- und Stahlindustrie. Auch Agrarrohstoffe und Container werden transportiert.
Das Förderprogramm für die nachhaltige Modernisierung von Binnenschiffen müsse mindestens in der Höhe von 2024 (50 Millionen Euro pro Jahr) fortgeführt werden. Die von der Ampel geplante Kürzung auf 40 Millionen Euro müsse zurückgenommen werden. Die Branche stehe „vor enormen finanziellen Herausforderungen, wenn sie bis 2045 oder spätestens 2050 auf klimaneutrale Antriebe umsteigen soll“, so Staats. Sprich: Die deutsche CO₂-Phobie ist unbezahlbar.
„Kommunikativ waren wir bisher sehr leise“, konstatiert der BDB-Präsident. Das werde sich nun aber ändern. „Wir begeben uns durch den Einsatz von Social-Media-Kanälen wie Instagram und TikTok, die besonders bei jungen Leuten beliebt sind, auch auf Neuland und freuen uns auf positive Resonanz“, gibt sich BDB-Geschäftsführer Schwanen optimistisch.
Aktuelle Kampagne des Bundesverbands der Deutschen Binnenschiffahrt (BDB): www.pro-binnenschifffahrt.de
Foto: Erste Reparatur-arbeiten an der gerammten Mosel-Schleuse in Müden im rheinischen Landkreis Cochem-Zell: Voraussichtlich bis Ende März bleibt diese wichtige internationale Wasserstraße für den Schiffsverkehr gesperrt