Dag Krienen
Am 15. Dezember 1944 beschied der Oberbefehlshaber der 21. Heeresgruppe Generalfeldmarschall Bernard Montgomery seinen Truppen: „Der Feind kämpft heute einen Abwehrkampf an allen Fronten; seine Lage ist so, daß er keine größeren Offensivoperationen mehr führen kann.“ Am gleichen Tag fragte er bei dem alliierten Oberbefehlshaber in Westeuropa, General Dwight D. Eisenhower nach, ob er nicht über Weihnachten einen Urlaub in England verbringen könne, was Eisenhower bewilligte. Den Urlaub antreten konnte Montgomery indes nicht, denn am Tag darauf begann jene „größere Offensivoperation“ der Deutschen gegen die US-Stellungen in Belgien und Luxemburg, die praktisch alle alliierten Befehlshaber zuvor für ausgeschlossen gehalten hatten.
Montgomerys Feststellung zur deutschen Lage entbehrte allerdings nicht jeder Logik, denn diese war nach der alliierten Invasion in Westeuropa und den katastrophalen Niederlagen im Osten verzweifelt genug. In dieser Situation stellte die Verwendung der letzten militärischen Reserven für eine neue Großoffensive ein hochriskantes, gegen jedes vernünftige Kalkül verstoßendes Vabanquespiel dar. Es entsprach jedoch Hitlers Mentalität, um jeden Preis immer wieder „zuschlagen“ zu wollen.
Der sich aufgrund des Wetters und erheblicher Versorgungsschwierigkeiten verlangsamende alliierte Vormarsch im Westen sowie der deutsche Abwehrerfolg gegen die alliierte Luftlandeoperation bei Arnheim Ende September erlaubten es der Wehrmacht, eine halbwegs stabile Frontlinie aufzubauen. Briten, Kanadier und US-Amerikaner konnten zwar weiterhin kleinere Erfolge erzielen und im Oktober Aachen sowie die Scheldemündung erobern, wodurch Antwerpen als ihr bald wichtigster Nachschubhafen genutzt werden konnte.
Den Deutschen war es dennoch möglich, eine Reihe von gepanzerten Verbänden aus der Front herauszuziehen, aufzufrischen und angriffsfähig zu machen und neue Infanteriedivisionen aufzustellen, die für einen großen Gegenschlag verwendet werden sollten. Das Operationsziel einer neuen Großoffensive war zunächst umstritten. Der OB West, Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt, und der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B, Generalfeldmarschall Walter Modell plädierten für einen Zangenangriff gegen die feindlichen Armeen bei Aachen. Hitler und das OKW hingegen beharrten auf der großen Lösung, einem Vorstoß zur Maas und auf Antwerpen. Dadurch sollte nicht nur dieser Nachschubhafen erobert, sondern die gesamte britisch-kanadische 21. Heeresgruppe sowie zwei US-Armeen eingekesselt und vernichtet werden.
Ähnlich wie 1940 richtete sich der „Wacht am Rhein“ genannte Großangriff zunächst gegen eine relativ schwach besetzte feindliche Front in den nördlichen Ardennen. Zwischen Monschau und Echternach wurden dafür drei Armeen, die neu aufgestellte 6. (SS-)Panzerarmee, die 5. Panzerarmee sowie die 7. Armee bereitgestellt. Eingesetzt wurden acht Panzer- (davon 4 SS), zwei mit einer kleinen Panzerabteilung ausgestattete Panzergrenadier- sowie zwei Fallschirmjäger- und 15 „Volks-grenadierdivisionen“. Bei letzteren handelt es sich um zumeist erst kurz zuvor – unter Verwendung der Reste älterer, an der Ost- oder Westfront zerschlagener Divisionen und vieler neuer unerfahrener Rekruten – aufgestellte Infanteriedivisionen.
Die Panzerdivisionen verfügten in der Regel über rund hundert Kampfpanzer und Jagdpanzer, waren aber nicht alle voll aufgefüllt. Von den überlegenen Tigern und Königstigern waren weniger als siebzig einsatzbereit. Die insgesamt gut 1.200 Panzer, Jagdpanzer und Sturmgeschütze bildeten zwar eine beträchtliche Streitkraft, litten aber unter einer kritischen Treibstoffversorgung. Tatsächlich war ohne das Erbeuten feindlicher Treibstoff-Depots an ein Erreichen des weitgesteckten Operationszieles nicht zu denken. Die deutsche Jagdwaffe war den alliierten Luftstreitkräften weit unterlegen, für den Luftschutz verließen sich die Deutschen auf eine Schlechtwetterlage, die die feindlichen Flugzeuge an den Boden fesselte.
Rasche Verstärkungen der US-Armee erreichten die Ardennen
Am 16. Dezember gelang die taktische Überraschung der in den Ardennen zunächst numerisch unterlegenen Amerikaner. Den am linken Flügel als Flankendeckung operierenden Infanterieverbänden der 7. Armee gelangen allerdings keine tiefen Vorstöße. War damit auch nicht gerechnet worden, blieben jedoch auch die Elite-Panzerdivisionen der 6. SS-Panzerarmee unter Sepp Dietrich schon bald vor rückwärtigen Stellungen der Amerikaner hängen. Nur der 5. Panzerarmee gelangen tiefere Vorstöße, da deren Kommandant General Hasso von Manteuffel ein besonderes Angriffsverfahren wählte, mit dem ein Einsickern in die amerikanische Front in breitem Umfang gelang.
Allerdings blieben die Angriffsspitzen überall hinter dem ursprünglichen Zeitplan zurück, da die US-Truppen schneller als von den deutschen Stäben erwartet reagierten und rasch Verstärkungen von anderen Frontabschnitten in die Ardennen führten. Der 5. Panzerarmee gelang es zwar, den wichtigen Verkehrsknotenpunkt St. Vith einzunehmen sowie südlich davon den größten Teil einer US-Division einzukesseln und zur Kapitulation zu zwingen. Im Falle von Bastogne wurden die US-Amerikaner zwar eingeschlossen, doch hatten diese zuvor genug Verstärkung zuführen können, um diesen Verkehrsknoten zu halten. Die Spitzen der 5. Panzerarmee stießen am 24. Dezember bei Dinant noch bis zu sechs Kilometer an die Maas heran, doch war damit ihre Angriffskraft erschöpft. Die Deutschen sahen sich nun an der Ardennenfront einer deutlichen Übermacht ihrer Gegner gegenüber.
Am 23. Dezember endete zudem die Schlechtwetterperiode, was die britischen und amerikanischen Jagdbomber fortan zu massiven Angriffen gegen die deutschen Truppen und ihren Nachschub nutzten. Am 26. Dezember mußte den deutschen Panzerverbänden das Fahren bei Tage untersagt werden. Am selben Tag gelang es US-Truppen, das belagerte Bastogne zu entsetzen. Von nun an mußten sich die Deutschen immer weiter zurückziehen. Zwar vermochten es die Alliierten nicht, sie in der durch den Angriff geschaffenen Ausbuchtung – in den USA ist die Ardennenschlacht unter dem Namen „Battle oft the Bulge“ bekannt – einzukesseln, doch drängten sie sie bis Mitte Januar wieder in ihre Ausgangsstellungen zurück.
Der Luftwaffe gelang es nicht, durch einen überraschenden Luftangriff auf die alliierten Flughäfen in Belgien und Nordfrankreich am Neujahrsmorgen 1945 die massiven feindlichen Luftangriffe für mehr als ein paar Tage zu stören. Durch das meist von Jagdflugzeugen geflogene „Unternehmen Bodenplatte“ wurden zwar gut 300 feindliche Flugzeuge zerstört und weitere 200 beschädigt, doch gingen auch fast 300 eigene Flugzeuge verloren, auch durch eigene Flugabwehrgeschütze, die über das Unternehmen nicht vorab informiert worden waren. Am schwersten wog der Verlust von über 200 Piloten, darunter 22 erfahrene Verbandsführer, der die Reichsluftverteidigung massiv schwächte.
Auch ansonsten fiel die Bilanz der Ardennenoffensive für die deutsche Seite negativ aus. Zwar waren die deutschen Verluste mit rund 68.000 Toten, Verwundeten und Vermißten etwas geringer als die der Amerikaner und Briten mit etwa 88.000. Auch standen 550 verlorenen Panzern und Sturmgeschützen – von denen eine Reihe auf dem Rückzug mangels Treibstoff gesprengt werden mußten – rund 800 zerstörte alliierte Panzer gegenüber. Doch waren die Alliierten relativ rasch in der Lage, ihre Verluste zu ersetzen. Die Deutschen hatten hingegen ihre letzten operativen Reserven verbraucht für einen „Abklatsch, ja eine Persiflage der Operation von 1940“, wie der deutsche Militärhistoriker Karl-Heinz Frieser in seinem Buch über die Westoffensive 1940 die deutsche Ardennenoffensive von 1944 genannt hat, weil dieser im Vergleich zu der von 1940 alle Voraussetzungen für einen operativen Erfolg fehlten.
Das von allen Seiten bedrängte Reich mußte für diese Farce einen hohen Preis zahlen. Am 6. Januar bat Churchill Stalin darum, zur Entlastung der Briten und Amerikaner den Druck auf die deutsche Ostfront zu erhöhen. Tatsächlich begann am 12. Januar die ursprünglich für den 20. Januar geplante sowjetische Großoffensive an der Weichsel, der die Wehrmacht dort kaum noch gepanzerte Verbände entgegenstellen konnte.
Foto: Sturmgeschütz der Wehrmacht stößt in der Ardennenoffensive vor, 18. Dezember 1944: Die deutschen Angriffsspitzen blieben überall hinter dem ursprünglichen Zeitplan zurück
Ardennenoffensive im Dezember 1944: Die deutsche Operation „Wacht am Rhein“ gegen die an der Westfront vorrückende US-Armee (Grafik siehe PDF Ausgabe)