Elon Musk soll innerhalb der Trump-Regierung die neu geplante Behörde „Department of Government Efficiency“ leiten und die Staatsausgaben um etwa zwei Billionen Dollar senken. Damit ist es für die Kritiker noch einfacher, den bösen, an der Seite des „Faschisten“ Trump stehenden Milliardär ins Visier zu nehmen und anzuprangern. Gleichzeitig hat dies potentiell weitreichendere Folgen – immerhin wäre Musk offizieller Amtsträger der Administration eines Partnerlandes, von dem man nicht zuletzt militärisch und nachrichtendienstlich abhängig ist.
Dennoch hetzen deutsche EU-Politiker gegen Musk. „X hat sich von einer Plattform, die ursprünglich zur Verbreitung von Informationen diente, zu einem Nährboden für Haßrede, Desinformation und Mißbrauchsmaterial entwickelt“, sagte die EU-Abgeordnete Birgit Sippel (SPD) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) nach der US-Präsidentschaftswahl. „Musk hat X in eine Haßschleuder verwandelt“, stichelte die grüne EU-Digitalpolitikerin Alexandra Geese gegenüber RND und warnt, rechte EU-Politiker versuchten den Digital Services Act abzuschwächen: „Sie wittern ihre Chance, jegliche Regulierung der Tech-Giganten zu diffamieren und US-amerikanische Verhältnisse bei uns herzustellen.“
Mehrere linke Politiker in Brüssel machen daher mobil für mögliche härtere Maßnahmen. „Kurzfristig ist die Kommission natürlich in der Pflicht, für die konsequente Umsetzung unserer Gesetze zu sorgen“, betont Sippel. Reiche dies nicht, „dann müssen wir als Ultima ratio noch in diesem Mandat die Zerschlagung jeder Plattform vorsehen, die sich nicht an die Regeln hält, die Kommission an der Nase herumführt, vor allem aber die Axt anlegt an Demokratie, Respekt und gesellschaftlichen Zusammenhalt“.
Ganz möchte kaum jemand auf die Reichweite verzichten
Doch diplomatische Verwerfungen riskieren, noch bevor die Trump-Regierung im Amt ist, möchte keine Seite – auch wenn im Hintergrund Gespräche und ein eingeleitetes Verfahren laufen. Zumal insbesondere Trumps designierter Vize J.D. Vance die europäischen Partnerländer ausdrücklich vor solchen Schritten warnte und in Deutschland eine vorgezogene Bundestagswahl ansteht und viele Parteien und Politiker X nutzen.
Also müssen andere öffentlichkeitswirksame Methoden her. Bereits seit der Übernahme und Umbenennung von Twitter durch Musk versuchen amerikanische NGOs wie die Anti-Defamation League – eine Art US-Pendant zur deutschen Amadeu-Antonio-Stiftung –, dem Unternehmen X wirtschaftlich zu schaden. Rufschädigende Kampagnen zu angeblich auf X verbreiteten Fake News und Hatespeech führten dazu, daß zahlreiche Firmen wie Disney, Apple, IBM oder Coca-Cola in der jüngsten Vergangenheit ihre Werbebudgets zurückzogen.
Doch solange X als Marktführer bei den Kurzmitteilungsdiensten zahlreiche Nutzer hat, können Konzerne diesen Marketingkanal nicht vollends vernachlässigen. Und so denken manche Konzerne laut US-Medien wieder über Reklame-Schaltungen nach.
Hier greift ein weiterer Ansatz: die Plattform für Werbepartnerschaften unattraktiver machen, indem massenhaft Nutzer sie verlassen. Nachdem bereits in den vergangenen zwei Jahren mehrere halbherzige, schlecht koordinierte Rückzieher-Kampagnen aus der woken Blase gestartet wurden, aber keine zahlentechnisch kritische Eigendynamik auslösen konnten, läuft seit der Wahl Trumps ein erneuter Versuch.
Anfang Dezember kündigten in der konzertierten Aktion „eXit“ über 60 Journalisten, Politiker, Autoren, Wissenschaftler und Institutionen in Deutschland ihren Abschied von X an; darunter die ZDF-Journalistin Dunja Hayali, die SPD-Politikerin Sawsan Chebli und die NS-Gedenksstätte Haus der Wannsee-Konferenz. In einem Protestschreiben kritisieren die Unterzeichner, X sei „ein toxischer Ort geworden, eine Brutstätte von Rechtsextremismus, Wissenschaftsleugnung, Haß und Verschwörungserzählungen“, und könne daher „kein Ort mehr für freie und faire Meinungsäußerung und einen offenen Austausch“ sein.
Musk habe diese Entwicklung aktiv vorangetrieben: „Die Abschaffung von Moderationsmechanismen und die gezielte Verstärkung extremistischer Inhalte untergraben die Grundprinzipien einer deliberativen Plattform und machen X zu einem Werkzeug der Polarisierung, der Manipulation und der Menschenfeindlichkeit.“ Mitte November hatten bereits der britische Guardian und Dutzende österreichische Journalisten wie „Zeit im Bild“-Nachrichtensprecher Armin Wolf und der Chefredakteur des linken Wochenblatts Falter, Florian Klenk, X verlassen.
Doch die gehypten Alternativen Bluesky (JF 43/23) und Mastodon (JF 49/22) zünden trotz all der Empfehlungen linker Persönlichkeiten und staatlicher Stellen nicht. Bluesky hat 24 Millionen Nutzer, X laut Statista gut 420 Millionen. In Europa ist angesichts der hiesigen (politischen) Agitation gegen Musk ein Rückgang von rund sechs Millionen Accounts zu verzeichnen – immer noch ein Witz im Vergleich. Mastodon hat insgesamt nur etwa zehn Millionen Nutzer. Zwar schossen insbesondere bei Bluesky die Neuanmeldungen in den vergangenen Wochen in die Höhe, gerade auch auf dem US-Markt, doch längst gibt es am Twitter-Klon ebenfalls Kritik.
Der deutsche Journalist Björn Staschen äußert auf dem Blog The New Social „Zweifel, daß Bluesky eine ‘gute’ Plattform sein kann, die Demokratie stärkt“. Die dahinterstehende unternehmerische, gewinn- und investorenorientierte Struktur verspreche „kaum Besseres“ als das, „was gerade bei Twitter passiert“. Staschen fragt skeptisch, weil guter Journalismus nun mal „Menschen auf Plattformen“ locke: „Wohin wollen wir sie also locken? Zur nächsten Musk-Katastrophe?“
Die Alternativen hinken hinterher und stehen selbst in der Kritik
Darüber hinaus läuft der jetzige „Xodus“-Aktionismus zwar mit großem medialem Getöse, aber letztlich mit angezogener Handbremse. Zahlreiche Profile wurden beispielsweise nur auf privat geschaltet oder stillgelegt, aber nicht gelöscht. Die aufgebaute Reichweite möchte man dann doch lieber nicht endgültig „verbrennen“. Schließlich benötigen linke Medien, Unternehmen und Politiker X für ihre eigene Marktpositionierung und den Wahlkampf. Und so sind der SPD-Bundesvorstand und der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck kürzlich erst bewußt zu X zurückgekommen.
Die Rückzugsgefechte auf X sind so auch ein spaltender Kampf im linksliberalen Lager zwischen Befürwortern eines radikalen Schnitts und denjenigen, die X halten und von innen heraus gestalten wollen. Auf die alten Twitter-Methoden der hausinternen Zensur, die durch die „Twitter Files“ belegt wurden, können sie dabei dank Musk und seiner Umstrukturierungen nicht mehr zählen – einer der Hauptgründe, warum Musk überhaupt ins Fadenkreuz geraten ist. Gleichzeitig sollten die eingeübten Mobilisierungs- und Netzwerkeffekte der linken digitalen Meute nicht unterschätzt werden.
Der „Kampf gegen Rechts“ hat Millionen in die Online-Abteilungen von Dutzenden Initiativen und Projekten gegen Haßsprache und Desinformation gespült. Es gilt nun auch für rechte und konservative Nutzer, noch aktiver auf X zu werden, um ein Gegengewicht zu etablieren.