Feindliche Kampfroboter lassen sich durch einen elektromagnetischen Impuls (EMP) ausschalten. Denn diesem ausgesetzt, spielen Regler, Schalter und Platinen in elektronischen Geräten verrückt. Das wissen nicht nur die Fans der Filmtrilogie „Matrix“, sondern auch die Angehörigen der Bundeswehr-Bataillone für elektronische Kampfführung sowie die Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen (INT) in Euskirchen bei Bonn. Diese forschen zur elektromagnetischen Verträglichkeit, zu elektromagnetischen Waffenwirkungen und entsprechenden Schutzmaßnahmen. Und sie testen militärische und zivile Anwendungen mit leistungsstarken Feldsimulationsanlagen.
Es gehe nicht mehr nur darum, das elektromagnetische Spektrum zu nutzen, sondern auch darum, „dem Gegner die Nutzung desselben Spektrums zu verweigern“, so wird Stephanie Fehling, Director of Electronic Attack Solutions bei BAE Systems, im Air & Space Magazine zitiert: Die Gefechtskoordination des Feindes werde eingeschränkt, indem dessen Kommando- und Kontrollsysteme, Kommunikations-, Radar- und Navigationssysteme gestört werden: „Hier kommt die elektromagnetische Störung ins Spiel, bei der das Spektrum genutzt wird, um die Kommunikation des Feindes zu verweigern, zu beeinträchtigen und zu stören – und ihn so wirklich daran zu hindern, wichtige Informationen zwischen sich, seinen Waffensystemen und seinen Kontrollnetzwerken zu übertragen, während wir unser eigenes Spektrum weiterhin nutzen können.“
Was passiert, wenn der Gegner Senderanlagen zerstört?
Eletromagnetische Störungen sind eines der Spielfelder der Wissenschaftler in Euskirchen. So beschäftigen sie sich mit der Abwehr unbemannter Flugsysteme wie Drohnen. Diese stellen immer mehr eine Gefahr für militärische und zivile Einrichtungen dar. Sie klären längst nicht mehr nur auf, sondern können zielgenau Explosivkörper abwerfen – zumindest solange sie steuerbar sind. Inzwischen können die Systeme auch ohne Funkkontakt zur Fernbedienung Flugmanöver durchführen, um Flughöhe und Position den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen oder Kollisionen zu vermeiden.
Einen Schwachpunkt gibt es trotzdem. Die meisten Drohnen sind mit einer Elektronik ausgestattet, die ursprünglich für den zivilen Markt entwickelt wurde und damit lediglich für die im öffentlichen Raum zulässige elektromagnetische Hintergrundbelastung ausgelegt ist. Das nutzen die Euskirchener Experten. „High Power Electromagnetic“ (HPEM) heißt die Superwaffe, die sie gegen die Unmanned Aircraft Systems einsetzen, also die Anwendung von elektromagnetischen Hochleistungsstörungen, deren Strahlung die Bordelektronik der Drohne durcheinanderbringt.
Durchgespielt wird aber auch das umgekehrte Szenario: Was passiert, wenn der Gegner Sendeanlagen mit hoher Ausgangsleistung in der Nähe von Zielelektroniken, also kritischer Infrastruktur wie Strom- und Kommunikationsnetzen, Krankenhäusern, Rechnungszentren, Industriesteueranlagen, einsetzt, um diese zu stören oder zu beschädigen. Analysiert werden „unter dem zugehörigen Sammelbegriff der Intentional Electromagnetic Interference (IEMI) geführte Bedrohungsszenarien“, erläutert Marian Lanzrath vom INT auf der Internetseite des Instituts: „Mit starken Sendeeinrichtungen lassen sich auch in Entfernungen von 100 Metern und mehr unauffällig Gerätschaften stören, je nach Einzelfall mit fatalen Folgen für das Gesamtsystem. Bei elektromagnetischen Hochleistungsstörungen im allgemeinen spricht man dann auch von High Power Electromagnetics (HPEM).
„Im Rahmen der Entwicklung von Schutzkonzepten gibt es schon seit Jahren Bestrebungen, robuste Empfangs- und Meßapparaturen zu entwickeln, welche die ansonsten unbemerkte Belastung durch extreme Störsignale überhaupt erst erfassen können“, erläutert Lanzrath. Die spezielle Zielsetzung bestehe darin, über eine reine Warnfunktion hinaus Störsignale möglichst auch quantifizieren und detailliert aufzeichnen zu können, was im nachhinein auch forensische Analysen ermöglicht. Für unmittelbare Gegenmaßnahmen sei darüber hinaus eine Bestimmung der Bedrohungsrichtung hilfreich.
Was die Wissenschaftler in Euskirchen im Modellversuch erproben, ist für die Soldaten des Bataillons Elektronische Kampfführung 912 aus Nienburg Kampfauftrag: elektromagnetische Ausstrahlungen zu erfassen, zu orten und auszuwerten. Ausgestattet sind die Radaraufklärer dafür mit kampfwertgesteigerten Transportpanzern Fuchs mit ausfahrbarem Radarerfassungssystem. „Als passives System ist es schwer aufzuklären, findet aber die Stellungen anderer Radarsysteme“, schreibt die Bundeswehr auf ihrer Internetseite. Dort wird auch erläutert, warum die Möglichkeit schneller Stellungswechsel notwendig ist: Auch der Feind klärt auf.
Die Möglichkeiten des Bataillons seien dabei ein Alleinstellungsmerkmal, da in der Nato sonst niemand über diese speziellen Aufklärungssysteme verfüge, so die Bundeswehr. Deswegen sei man aktuell dabei, den Litauern beim Aufbau einer Elektronischen Kampfführung zu helfen, und jährlich findet die bilaterale Übung „Vigilant Owl“ in Litauen statt.
Das Ausbildungszentrum Cyber- und Informationsraum befindet sich am Standort Flensburg. Hier werden die Soldaten der Fernmelde- und elektronischen Aufklärung sowie des Elektronischen Kampfes ausgebildet. Sie lernen, so schnell wie möglich aus aufgefangenen Radarsignalen zu schließen, ob diese von Luftfahrzeugen, Flugabwehr, Flugplätzen, Schiffen oder feindlichen Artilleriegeschützen stammen. Es geht aber auch darum, feindliche Kommunikationssysteme zu stören oder zu manipulieren bis hin zur Desorientierung des Gegners.
Ist die Fernmelde- und elektronische Aufklärung, also die Informationsgewinnung aus elektromagnetischen Ausstrahlungen, die Aufgabe des Bataillons 912, so ist das Bataillon für elektronische Kampfführung 911 für die taktische Einsatzunterstützung zuständig. Dazu kommen noch die 600 Soldaten des mobilen Bataillons elektronische Kampfführung 931, die vor erkannten Bedrohungen warnen sollen, beispielsweise Patrouillen vor der ferngesteuerten Auslösung von Sprengfallen und Minen, indem sie gegnerische Signale per Funk durch eine Art elektromagnetische Glocke unterdrücken. Die etwa 700 Angehörigen des Bataillons elektronische Kampfführung 932 sind für die Fernmelde- und elektronische Aufklärung sowie den elektronischen Kampf mit Schwerpunkt landbasierte Operationen und Bereitstellung schneller Kräfte zuständig.
Beim Spoofing erhält der Empfänger falsche Signale
Ein Fazit der Bundeswehr lautet: Eigene Operationen so klein und nadelstichartig zu gestalten, daß der Gegner die Vorbereitungen dafür nicht entdeckt. Ein anderes: Alternativ großangelegte Angriffe zu planen, um die Feuerüberlegenheit trotz fehlender Informationen zu sichern.
Wie wichtig das im Ernstfall ist, zeigt der Krieg in der Ukraine. Dort tobe der Kampf nicht nur am Boden, sondern „zu Land, zu Wasser, in der Luft, sowie im Welt-, Informations- und Cyberraum – alle umgeben vom elektromagnetischen Spektrum, in dem alle Akteure und Systeme kommunizieren“, so Oberst des Generalstabsdienstes Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer in einem Vortrag im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr: „Im multidimensionalen Gefechtsfeld auf sieben Ebenen greift Rußland aber nicht nur die Ukraine an, sondern auch uns, denn wir sind Teil einer hybriden Kriegführung, und der Gegner versucht, in unsere Köpfe zu kommen.“
Insbesondere das russische Militär demonstriert seit dem Angriff auf die Ukraine, daß man sich auf diese Art der Kriegsführung sehr sorgfältig vorbereitet hat, während die USA im Mai 2022 einräumen mußten, daß ihre „Fähigkeiten zur schnellen Reaktion auf elektromagnetische Kriegsführung sich deutlich verbessern“ müßten.
Der Einsatz von elektronischen Kampfführungs-systemen beeinträchtige zwar den Angriffsschwung Rußlands, hemme aber zugleich die Verteidigungsfähigkeiten der Ukraine, ist eine der Erfahrungen, die Bundeswehr-Analysten gemacht haben. Durch Aufklärung im elektromagnetischen Spektrum werde es zunehmend schwierig, „Operationen ohne Kenntnis des Gegners vorzubereiten“. Für die Soldaten bedeute dies oft, daß sie auf altbewährte Methoden wie den „Melder zu Fuß“ statt Fernsprechverbindungen zurückgreifen müssen – etwas was zu den Anfangserfolgen der deutschen Ardennenoffensive 1944 beigetragen hat.
Durch die gezielten Störungen mit elektronischen Kampfarten, wie Jamming, so Oberst Reisner, verringere Rußland massiv die Effektivität ukrainischer Waffensysteme aus dem Westen. So träfen beispielsweise vom gelenkten 155-mm-Artilleriegeschoß „Excalibur“ nur noch sechs Prozent. Auch der Mehrfachraketenwerfer Himars, der Marschflugkörper Storm Shadow oder die First-Person-View-Drohnen (FPV) seien durch elektronische Gegenmaßnahmen betroffen. Der österreichische Oberst bewertet das als besonders kritisch, da der ukrainische Drohneneinsatz bisher eine „Erfolgsgeschichte“ gewesen sei, denn die Drohnen hätten gerade im Nahbereich ein Durchbrechen der russischen Kräfte durch die Verteidigungslinien verhindert.
Beim Jamming (Blockieren) werden die Funkkommunikation oder die Ortungs-, Navigations- und Zeitsignale gestört. In der Regel umfaßt das Stören das Aussenden von Hochleistungssignalen über ein breites Spektrum von Funkfrequenzen (Out-of-Band-Jamming), um Kommunikations- und Navigationssignale zu stören, die benachbarte Signalschleifen innerhalb der Reichweite dieser Signale nutzen. Alternativ kann das Stören eine Unterbrechung des Dienstkanals verursachen, indem ein Signal innerhalb der Zielkanalbandbreite innerhalb des Übertragungsfensters eingespeist wird (In-Band-Jamming), um eine Erkennung zu verhindern.
Beim Spoofing (Reinlegen) hingegen werden falsche Signale gesendet, um Empfänger zu täuschen. Bei globalen Satellitennavigationssignalen wie GPS kann Spoofing dazu führen, daß Empfänger falsche Positions-, Navigations- und Zeitdaten berechnen und GPS-gesteuerte Systeme an einen anderen Ort umleiten. Diese Fähigkeiten der elektronischen Kriegsführung finden in Kriegszeiten nützliche Anwendungen, um die Kommunikation, Navigation und Führung des Gegners zu stören, zu täuschen, zu verweigern oder zu beeinträchtigen.
Rußland dominiere im elektronischen Krieg gegen die Ukraine mit fortschrittlicher Technologie zur Drohnenabwehr, konstatierte Anfang des Jahres bereits die Financial Times. Moskau sei in der Lage, feindliche Drohnen und Lenkraketen durch den Einsatz fortschrittlicher Technologien zu stören und umzuleiten. Der in der Zeitung zitierte Kommandant einer ukrainischen Drohneneinheit verglich die russischen Störmanöver mit „unsichtbaren Scheren“, die die Verbindungen der ferngesteuerten Geräte kappen.
Auch China spielte bei einem Symposium über die „Zukunft der Kriegsführung und des Rechts“ (Future of Warfare and the Law “) des US-Armeestabs für Zukunftsplanung in Austin, Texas, eine besondere Rolle. So berichtetet das Lieber Insitute Westpoint von chinesischen Experimenten mit einem hochentwickelten neuen elektronischen Kriegssystem, das in der Lage ist, GPS-Signale zu fälschen, die für Transponder des automatischen Identifikationssystems von Schiffen verwendet werden, die im Hafen von Shanghai navigieren. In Texas wurden auch Gerüchte angesprochen, nach denen der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des US-Repräsentantenhauses vor einer neuen russischen nuklearen Antisatelliten-Fähigkeit warnte, bei der möglicherweise elektromagnetische Pulsenergie mit einer Flut hochgeladener Teilchen eingesetzt werde, um Satelliten in der Erdumlaufbahn zu deaktivieren.
Die Fähigkeiten der USA müssen noch verbessert werden
Technische Gegenmaßnahmen wie Frequenzensprungverfahren und adaptive Polarisierung würden wiederum dazu beitragen, die Auswirkungen von Störsignalen zu mildern. In Australien hergestellte „Pappdrohnen“ hätten sich im Rußland-Ukraine-Konflikt gegen die Fähigkeiten der russischen elektronischen Kriegsführung durchgesetzt. Trägheitsnavigationssysteme könnten die GPS-Navigation ersetzen, indem sie Raketen und Fahrzeuge steuern, wenn Satellitensignale unzuverlässig sind oder sabotiert werden.
Einen kritischen Blick auf die US-Fähigkeiten im Bereich elektromagnetischer Abwehr- und Angriffssysteme wirft der Militärexperte Adam Stone im Air & Space-Magazine. In hochkarätigen Konflikten mit gleichwertigen Gegnern sehe sich die US-Luftwaffe mit hochentwickelten integrierten Luftverteidigungssystemen und fortschrittlichen Befehls- und Kontrollnetzwerken konfrontiert. Um diese Systeme zu besiegen, würden fortschrittliche elektromagnetische Angriffssysteme benötigt, die gegnerische Kräfte abwehren, schwächen und stören können.
„Gegner auf gleicher Ebene wie die USA verfügen über ausgefeiltere Fähigkeiten zur Zugangsverweigerung mit Kill Chains (Tötungsketten) oder Kill Webs (Tötungsnetze), die nicht mehr stagnieren“, so Stephanie Fehling, Director of Electronic Attack Solutions bei BAE Systems. „Sie werden immer komplexer und widerstandsfähiger. Sie nutzen ein viel breiteres Spektrum des elektromagnetischen Spektrums für ihre Kampfeinsätze und passen kommerzielle Technologien schnell an, um sie in ihren Einsätzen zu nutzen“, so Fehling.