Börsenrekorde gibt es in diesem Jahr fast überall auf der Welt: In Japan überschritt der Nikkei-Index mit 39.156 Punkten im Februar erstmals den Höchststand aus dem Dezember 1989, und im März wurde die 40.000-Punkte-Marke geknackt. Am 5. August fiel der Nikkei allerdings um mehr als 4.200 Punkte und übertraf damit den „Schwarzen Montag“ von 1987 als den bislang größten Einbruch an einem Börsentag. Manche deutsche X-Kommentatoren phantasierten von einem Crash-Szenario – doch am folgenden Tag erholte sich der Nikkei um mehr als 3.200 Punkte und verzeichnete damit seinen bislang größten Tagesanstieg.
Die US-Börsen sind ohnehin im Rekordrausch, und auch der Dax kletterte am 2. Dezember erstmals über die Marke von 20.000 Punkten. Das überrascht, denn die Schlagzeilen und Stimmung in Deutschland lassen nichts Gutes vermuten: der Zustand der Wirtschaft ist in Umfragen Sorgenkind Nummer eins. Aus der Autobranche kommt eine Horrormeldung nach der anderen. Doch die Börse ist nicht gleich Binnenwirtschaft. Die deutsche Konjunktur stagniert, doch die Dax-Firmen sind längst auf einem anderen Spielfeld beheimatet: der Weltwirtschaft, und deren Lokomotive, dem US-Markt. Im Schnitt erzielen die 40 Konzerne in Deutschland weniger als ein Viertel ihres Umsatzes.
Die USA liegen mit 25 bis 30 Prozent darüber, Europa macht mit 30 bis 35 Prozent den Hauptanteil aus. Die boomende US-Wirtschaft kann deshalb die Stagnation im Heimatland nicht nur ausgleichen, sondern unterm Strich für positive Bilanzen sorgen. Das allein erklärt nicht den Zeitpunkt des Kurssprungs. Den hat der Dax Donald Trump zu verdanken, dessen Wahlsieg eine Kursrallye der US-Börsen auslöste, in deren Fahrwasser auch der Dax stieg. Die Sogwirkung war so stark, daß trotz Pariser Dauerregierungskrise sogar der französische Leitindex CAC 40 stieg, wenn auch noch nicht auf seinen Höchststand von Jahresanfang.
Auch die Schwäche der Eurozone stützt die Kurse. Nicht nur, weil stagnierende Löhne ein Wettbewerbsvorteil gegenüber US-Konkurrenten sind, die gerade für Hochqualifizierte oft doppelt oder dreimal so tief in die Tasche greifen müssen. Vielmehr sind es die Aussichten auf weitere Zinssenkungen in der Eurozone, die die Kurse beflügeln. Die nächste EZB-Entscheidung steht für den 12. Dezember an. Für den Fall von US-Zöllen wird außerdem mit Zinssenkungen gerechnet. In den USA wird schon eine Absenkung für die Fed-Sitzung am 18. Dezember erwartet, was aber angesichts einiger Äußerungen von deren Gouverneuren auch anders kommen kann. Seit 7. Dezember sind sie bis zur Sitzung zu Verschwiegenheit verpflichtet, so daß man außer Spekulationen nichts hören wird.
US-Technologiesektor ist zehnmal so groß wie der europäische
Gerade erst veröffentlichte gute Zahlen zum amerikanischen Verbrauchervertrauen und Einkommen lassen an der Notwendigkeit einer US-Zinssenkung zweifeln. Weitet sich der Zinsunterschied zwischen Dollar und Euro aus, wird sich die Euro-Schwäche fortsetzen. Das wiederum fördert den Export, wovon gerade Dax-Konzerne profitieren. Es ist das alte Dilemma, daß eine schwache Währung kurzfristige Vorteile bringt, langfristig aber zum Standortnachteil wird.
Der Anstieg läßt vergessen, daß der Dax immer noch günstig bewertet ist im Vergleich zu den noch stärker gestiegenen US-Aktien. Das hat teilweise einen guten Grund: hochbewertete Technologiewerte dominieren in den USA, sind aber eine Rarität im Dax. Der US-Technologiesektor ist zehnmal so groß wie der europäische. Aber auch beim Vergleich einzelner Industrien liegen die Bewertungen in Europa durchweg unter den amerikanischen. Einer von zahlreichen Faktoren dafür sind die höheren Gewinnmargen der US-Unternehmen. Die Frage ist, ob deutsche Unternehmen aufholen können oder strukturell weniger profitabel bleiben.
Für Anleger sind nicht nur Kurse Gewinnbringer. Dividenden brachten bis in die 1980er Jahre bei US-Aktien mehr als Drittel der Gesamtrendite ein, danach rund 15 Prozent. Kursgewinne bestimmen die Gesamtrendite. Das Problem: US-Indizes wie Dow Jones und S&P 500 betrachten nur die Kursentwicklung und ignorieren Dividenden. Der Dax hingegen berechnet Dividenden mit ein, die für mehr als ein Drittel der Gesamtrendite verantwortlich sind. Die reine Kursrendite des Dax ist deshalb deutlich schlechter als die des Zählerstands. Umgekehrt ist die Gesamtrendite der US-Indizes etwas höher, als man dem Zählerstand ansieht. Bei einem Stand von 20.000 dürften Anleger diese Differenzierung aber nur als Petitesse sehen.
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