© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/24 / 13. Dezember 2024

Gebrochene Versprechen
Neue Grundsteuer: Rettungsanker für klamme Kommunen – mehr Belastung für die Bürger?
Stefan Kofner

Die große Grundsteuerreform ist jetzt auf der Zielgeraden und unter den betroffenen Mietern und Eigentümern geht die Angst vor Mehrbelastungen um, denn ab 2025 wird die Steuer erstmals auf Basis der neuen Grundstückswerte und Hebesätze erhoben. Beschlossen wurde die Reform Ende 2019, weil das Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung gefordert hatte: Die der Grundsteuer zugrunde liegenden veralteten Einheitswerte von 1964 (im Osten von 1935) spiegelten nach der Einschätzung der Verfassungsrichter die tatsächlichen Wertunterschiede nicht mehr angemessen wider, und das hatte zu einer nicht mehr verfassungskonformen steuerlichen Ungleichbehandlung geführt.

Die Grundsteuererklärungen für 36 Millionen Grundstücke und Betriebe der Land- und Forstwirtschaft sind inzwischen abgegeben worden. Die Grundsteuerwert- und -meßbetragsbescheide sind verschickt worden und in mehr als drei Millionen Fällen haben die Steuerpflichtigen Widerspruch dagegen eingelegt. Die neuen Grundsteuerwerte sind in aller Regel drastisch höher als die alten Einheitswerte, aber das führt per se noch nicht zu einem Steuermehraufkommen der einzelnen Gemeinden. In der Theorie können die Gemeinden mit ihren Hebesätzen das Aufkommen entsprechend feinsteuern, wenn sie die Grundsteuerwerte kennen.

Aufkommensneutralität heißt nicht individuelle Belastungsneutralität

2019, als er noch Bundesfinanzminister war, hatte Olaf Scholz den Bürgern erklärt: „Ich versichere Ihnen, daß es nicht zu einem höheren Steueraufkommen kommen wird.“ Mithin gab der heutige Kanzler damals ein Versprechen zu Lasten Dritter ab – in dem Wissen, daß es nicht in seiner Macht liegen würde, für dessen Einhaltung zu sorgen, denn letztlich bestimmen die Gemeinden über ihr Hebesatzrecht die effektive Steuerlast. Globale Aufkommensneutralität bedeutet aber nicht individuelle Belastungsneutralität, weil die Grundsteuerwerte keineswegs gleichmäßig angestiegen sind.

Ab Januar sind nun die Grundsteuerbescheide zu erwarten, aus denen hervorgeht, wieviel der einzelne Bürger in Zukunft an Grundsteuer zu zahlen haben wird. Berlin hat bereits Bescheide verschickt und nicht selten haben sich die jährlichen Belastungen für Eigentümer oder Mieter vervielfacht. Die Senatsverwaltung behauptet aber, den Hebesatz so angepaßt zu haben, daß die Stadt ab 2025 nicht mehr Geld einnehmen wird als mit der alten Grundsteuer. Ungefähr die Hälfte der Steuerpflichtigen soll 2025 sogar weniger Grundsteuer zahlen.

Den schwarzen Peter haben jetzt die Kommunen. Die finanzielle Not könnte viele von ihnen zwingen, anders als von Olaf Scholz versprochen, eben doch auf Grundsteuererhöhungen zurückzugreifen – wenn nicht gleich 2025, dann eben aus optischen Gründen ein oder zwei Jahre später. Bereits im laufenden Jahr gab es laut den DIHK-Zahlen einen spürbaren Zuwachs beim durchschnittlichen Hebesatz der Grundsteuer B (von 554 auf 568). Getragen wurde diese Entwicklung von den kräftigen Erhöhungen in Hessen, Niedersachsen, NRW und Rheinland-Pfalz. Allerdings sind die Einnahmen der Kommunen aus der Grundsteuer zwischen 2019 und 2023 unter Berücksichtigung der Inflation um zehn Prozent zurückgegangen.

Das wird sich vermutlich nicht so fortsetzen, denn die Finanzlage der Kommunen verschlechterte sich zuletzt immer mehr. Unter anderem wegen der inflationsbedingt gestiegenen Beschaffungspreise für Sachausgaben und Sachinvestitionen und wegen des Zinsanstiegs sind ihre Ausgaben schon 2023 deutlich schneller gestiegen als die Einnahmen. Das Ergebnis war ein negativer Finanzierungssaldo von sieben Milliarden Euro. Die Defizite in den Haushalten stiegen immer schneller. Im ersten Halbjahr 2024 waren es schon über 17 Milliarden Euro.

Die Personalausgaben der Kommunen geraten wegen der üppigen Tariflohnsteigerungen und des Inflationsausgleichs rapide außer Kontrolle: Nachdem sie bereits 2023 um 7,4 Prozent auf 81 Milliarden Euro zugelegt hatten, war hier im ersten Halbjahr 2024 eine weitere Beschleunigung um zwölf Prozent zu verzeichnen. Ein weiterer Treiber auf der Ausgabenseite sind die Sozialausgaben, besonders für Asylbewerber und Flüchtlinge. Allein die Ausgaben für Unterkunftskosten beim Bürgergeld sind 2023 um fast 15 Prozent gestiegen – nicht zuletzt auch wegen des Anstiegs der Energiepreise. Bei allen wesentlichen kommunalen Sozialleistungsausgaben war im letzten Jahr eine erschreckende Dynamik festzustellen: Eingliederungshilfen plus elf Prozent, Sozialhilfe plus 12,5 Prozent, Kinder- und Jugendhilfe plus 15 Prozent.

Die Kommunen kommen durch immer neue, vom Bund übertragene und nicht ausfinanzierte Aufgaben und immer höhere Standards immer mehr unter finanziellen Druck. Problemfelder sind unter anderem die Kinder- und Jugendhilfe, die Ganztagesbetreuung in den Grundschulen, die Inklusion für alle Kinder sowie die Flüchtlingskosten- und Krankenhausfinanzierung.

Dieser ungebremsten Ausgabendynamik stehen stagnierende Steuereinnahmen und nur geringe Zuwächse bei den Schlüssel- und Investitionszuweisungen der Länder gegenüber. Damit nicht genug, werden angesichts der tiefen wirtschaftlichen Strukturkrise schon bald die Gewerbesteuereinnahmen und die Anteile der Gemeinden an den Gemeinschaftssteuern einbrechen, und spätestens dann werden viele unter ihnen sich gezwungen sehen, kräftige Erhöhungen der Hebesätze bei der Grundsteuer in Erwägung zu ziehen.

„Die Versprechenskultur in diesem Land ist nicht mehr finanzierbar“

Da nützt es auch nicht viel, daß einige Bundesländer „faire Hebesätze“ als Empfehlung für Städte und Gemeinden veröffentlicht haben. Damit wird transparent gemacht, in welcher Höhe die Kommunen die Hebesätze für 2025 festlegen müßten, um einen Anstieg ihrer Grundsteuereinnahmen zu verhindern. Die Bürger können dann zwar nachvollziehen, ob ihre Gemeinde gegen die versprochene Aufkommensneutralität verstößt oder nicht, aber die Alternative zu einem höheren Steueraufkommen liefe bei der unzureichenden Finanzausstattung der Gemeinden oft auf schmerzhafte Leistungskürzungen hinaus. Das betrifft dann nicht nur die beheizbare Fahrradbrücke in Tübingen, sondern auch die Schließung von Schwimmbädern und Theatern und die Ausdünnung des ÖPNV-Taktes.

Natürlich darf die Grundsteuer nicht zur Erdrosselungssteuer werden, aber die Geschäftsgrundlage des Versprechens von Scholz aus dem Jahr 2019 hat sich inzwischen fundamental geändert. Die neue Bundesregierung wird den bequemen Weg der Abwälzung der Lasten aus dem in einem zunehmend krisenhaften globalen Umfeld immer bedenkenloser ausgebauten Sozialstaat auf die Kommunen nicht fortsetzen können. Ohne Zumutungen wird es nicht gehen. In dieser wirtschaftlichen Strukturkrise müssen sich die Bürger auf Belastungen in Form von Steuererhöhungen oder Leistungskürzungen einstellen. Der Tübinger OB Boris Palmer bringt es auf den Punkt: „Die Versprechenskultur in diesem Land ist nicht mehr finanzierbar.“

 www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/FAQ/faq-die-neue-grundsteuer.html

 grundsteuerreform.de