© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/24 / 13. Dezember 2024

Viel Papier für keine Mehrheit
Sachsen: Union und SPD einigen sich auf einen Koalitionsvertrag, sind fürs Regieren aber auf Stimmen aus der Opposition angewiesen
Paul Leonhard

Ob er für Sachsen auch eine eigene Grenzpolizei nach bayerischem Vorbild plane? Diese Frage auf seiner ersten Pressekonferenz als frischgebackener Ministerpräsident des wieder gegründeten Freistaats gefiel Kurt Biedenkopf (CDU) 1990 überhaupt nicht. Erstens müsse man Bayern nicht alles nachmachen und zweitens sei sein Bestreben, Brücken nach Osten zu bauen, statt Grenzen zu sichern, echauffierte er sich. Knapp 35 Jahre später ist die Situation eine völlig andere.

Bundes-, Landes- und Revierpolizei versuchen seit Jahren gemeinsam mit dem Zoll ebenso vergeblich wie verzweifelt, die sächsische Grenze nach Polen und Tschechien vor dem Ansturm Illegaler und auch vor immer mehr mit Haftbefehl gesuchter Kriminineller zu schützen – ein Katz-und-MausSpiel. Und so steht erstmalig in einem Koalitionspapier einer künftigen Staatsregierung der Aufbau einer sächsischen Grenzpolizei, auch wenn der Plan inhaltlich kaum untersetzt wird und keine Mannschaftsstärken nennt.

Immerhin, Koalitionspartner SPD hat die Grenzsicherung, ebenso wie eine Aufstockung bei der Justiz, eine effektivere Strafverfolgung und die beabsichtigte Beschleunigung von Asylverfahren und von Abschiebungen unterschrieben.

Die beiden Parteien wollen die nächsten vier Jahre in Sachsen regieren, ohne dafür eine Mehrheit im Parlament zu haben, so daß sie für jedes Gesetz auf Stimmen aus der Opposition angewiesen sind. Wobei die AfD, die die zweitstärkste Fraktion im Landtag ist und nur einen Sitz weniger als die CDU hat, außen vor bleibt. So steht es ausdrücklich in dem 110seitigen Papier: „Eine Zusammenarbeit oder eine Suche nach parlamentarischen Mehrheiten mit der AfD als gesichert rechtsextrem eingestufter Partei wird es durch die neue Regierung und die Koalitionsfraktionen nicht geben“. Was das in der Praxis bei Abstimmungen bedeutet, wird spannend.

Kretschmer ist zwar im Freistaat populär, aber die Ergebnisse seiner letzten Amtsperiode, die er zusammen mit SPD und Bündnisgrünen gestalten mußte, sind es nicht. Die Haushaltssituation ist angespannt, weil viel Geld in queere grüne Projekte geflossen ist, der Unterrichtsausfall hoch, weil es zwar nicht an unnützen Schulsozialarbeitern mangelt, aber an Lehrern und ausgebildeten Hortnern.

Auch mußten Parteifreunde versorgt werden, so daß die Zahl der Landesbediensteten von 85.000 im Jahr 2016 auf aktuell 96.000 angestiegen ist. Damit stiegen die Kosten für den Steuerzahler von im Jahr 2013 6,04 auf 8,2 Milliarden Euro 2022.  Dazu kommen rund 6,7 Millionen Euro für eine steigende Zahl extrerner Berater – ein Plus von zwei Millionen gegenüber 2021. All dies monierten die Rechungsprüfen in ihrem Jahresbericht 2024 sowie eine Deckungslücke im Generationenfonds für Pensionen von 14,6 Milliarden Euro.

„Wir gehen mit  Demut an die Arbeit“

Kretschmer, der das Land eigentlich entbürokratisieren wollte, hat einen Riesenwasserkopf geschaffen. Aktuell haben die Personalausgaben einen neuen Höchststand erreicht und liegen bei etwa 40 Prozent des Landesetats. Diese „Entwicklung soll umgekehrt werden“, heißt es im Vertrag. Gleichzeitig sollen aber neue Stellen für Polizisten, Lehrer, Justizvollzugsbedienstete, Richter geschaffen werden. Auch ist eine Anstalt für Digitalisierung geplant. Und Kretschmer, denn das ist unverkennbar seine Handschrift, will Landesbedienstete dazu gewinnen, wöchentlich länger als vertraglich vereinbart zu arbeiten und über den Ruhestand hinaus. Während Kretschmer die 110 Seiten Koalitionsvertrag als ein „beeindruckendes Werk“ bezeichnet, ist die einhellige Meinung des Sächsischen Städte- und Gemeindetages (SSG): „Dieses Papier macht uns Angst.“ Das sagt zumindest Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP). „Es werden erneut Versprechungen gemacht, die nicht finanzierbar sind.“ Was den Sachsen als „neue Wege“ versprochen wird, sei in Wahrheit „ein Weiter-so wie bisher“.

Nach Angabe des Finanzministeriums fehlen im noch nicht beschlossenen Haushalt für 2025 und 2026 insgesamt vier Milliarden Euro. „Es bedarf einer neuen und klaren Prioritätensetzung aller Ausgabepositionen im Haushalt – da führt kein Weg vorbei“, so das Finanzministerium gegenüber dem Portal „Tag 24“. Der noch amtierende Finanzminister Hartmut Vorjohann (CDU), den Kretschmer durch seinen engen Vertrauten Christian Piwarz (bisher Kultusminister) ersetzen will, fordert die Ausgaben für Ministerien und Behörden zumindest bis zur Etatverabschiedung zu halbieren.

„Diese Anti-AfD-Koalition wird keine fünf Jahre überleben“, ist sich AfD-Landeschef Jörg Urban sicher. „Wir gehen mit Demut an die Arbeit“, schreibt dagegen Kretschmer. Ob die Abgeordneten mehrheitlich seine „ausgestreckte Hand“ ergreifen, wird sich am 18. Dezember herausstellen.