Donald Trump agiert in diesen Tagen, als säße er schon im Weißen Haus. Kaum hatten islamistische Milizen am vergangenen Samstag die Vororte von Damaskus erreicht, meldete er sich zu Wort. Syrien sei ein „Schlamassel“, sagte er, und Amerika solle sich dort heraushalten. Den anderen Kriegsschauplatz nahm er gleich am Sonntag in den Blick und forderte einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine. Und damit die Europäer nicht dächten, daß der Friede billig zu haben sei, drohte er ihnen wieder einmal mit dem Austritt aus der Nato, falls sie „ihre Rechnungen“ nicht bezahlen. Trump, kein Freund amerikanischer Kriege, glaubt an Frieden durch Stärke.
Manchmal werden Kriege nur verständlich, wenn sie zusammen betrachtet werden. Das Assad-Regime konnte nur so schnell zusammenbrechen, weil seine Schutzmacht Rußland nicht zwei Kriege gleichzeitig führen konnte und weil die durch massive israelische Luftschläge dezimierte Hisbollah abseits stehen mußte. Und die Logik von Trumps Ukraine-Politik gründet in seiner Überzeugung, die USA müßten sich auf die Auseinandersetzung mit der Supermacht China konzentrieren.
Am 20. Januar wird er einen Nahen Osten vorfinden, dessen politische Landschaft 2024 umgepflügt wurde. Irans strategisches Vorfeld, die vom Irak bis zum Libanon reichende „Achse des Widerstands“, liegt in Trümmern. In Damaskus, der einstigen Perle Arabiens, hat ein Dschihadist die Macht ergriffen, auf dessen Kopf die USA zehn Millionen Dollar ausgesetzt haben. Erdoğan, der grünes Licht für den Feldzug der Rebellen gegeben hat, nimmt jetzt das Territorium der Kurden in Syrien ins Visier. Und diese wiederum werden von den Amerikanern protegiert, die immer noch Militär auf den Öl- und Gasfeldern im Osten haben. Daß Putin von Erdoğan die Zusage bekommen hat, daß der russische Kriegshafen in Tartus und der Luftwaffenstützpunkt Hmeimim nicht angegriffen werden, kann nur vermutet werden. Ob sich Trump auf Dauer aus dem syrischen Chaos heraushalten kann? Noch ist seine Vorstellung von einer Friedenslösung in Nahost nicht mehr als ein frommer Wunsch.
Der gordische Knoten Ukraine wird sich leichter durchschlagen lassen. Das Drehbuch liegt seit Juni auf Trumps Tisch, ausgearbeitet von Generalleutnant a.D. Keith Kellogg, der den Präsidenten schon früher beraten hat. Künftig soll er als Sondergesandter für die Ukraine fungieren. Falls alles nach Plan verläuft, wird Washington sowohl Moskau als auch Kiew unter Druck setzen und beide an den Verhandlungstisch bringen. Der Deal, der während des Waffenstillstands ausgehandelt werden soll, würde so aussehen, daß die Ukraine für etwa 20 Jahre auf einen Nato-Beitritt verzichtet, daß die Fronten eingefroren werden und daß die Annexion des Donbass und der Krim de facto, aber nicht de jure von Kiew akzeptiert wird. Erinnerungen werden wach an das Schicksal der deutschen Ostgebiete. Jahrzehntelang standen sie unter polnischer und sowjetischer Verwaltung, bis sich die Regierung Kohl dann doch bereit fand, die Kriegsbeute den Okkupanten völkerrechtlich bindend zu überlassen.
Selenskyj ist bereits von seinem lange propagierten Siegfrieden abgerückt. Er hat territoriale Zugeständnisse in Aussicht gestellt. Im Gegenzug verlangt er kategorisch und zu Recht Sicherheitsgarantien für die verbleibenden 80 Prozent seines Staatsgebietes. Wer soll die geben, falls sich die USA sträuben? Wenn der UN-Sicherheitsrat eingebunden wird, in dem auch China sitzt, würde der Kreml wohl kaum seinen großen Verbündeten Xi mit einem Vertragsbruch bloßstellen wollen.
Die Westeuropäer und auch die Polen bringen dafür nicht besonders viel Gewicht auf die Waage. Schon als die Regierungen in Paris und London über die Entsendung eigener Truppen und damit über den Kriegseintritt laut nachdachten, konnte das niemand ernst nehmen. Daraus wäre eher ein Remake des Suezkrieges als ein solches des Krimkrieges geworden. Den Krimkrieg gegen Rußland gewannen Frankreich und Großbritannien zusammen mit der Türkei 1856, am Suezkanal wurden sie genau hundert Jahre später von den Amerikanern im Stich gelassen.
Es stimmt aber auch, daß die Ukraine ohne das Eingreifen der Nato den Krieg nicht mehr gewinnen könnte. Das war schon nach der gescheiterten Sommeroffensive 2023 absehbar. Jetzt bereiten sich französische und britische Militärs darauf vor, eine Friedenstruppe zur Sicherung des Waffenstillstands aufzustellen. Nur wäre die nicht unparteiisch. Was, wenn Moskau auf einem wirklich neutralen Schiedsrichter besteht? Indien beispielsweise hat mit 1,5 Millionen Mann im aktiven Dienst mehr Soldaten aufzubieten als die USA.
Das westliche Mantra lautete zunächst, die Ukraine müsse den Krieg gewinnen, und dann: sie dürfe ihn nicht verlieren. Es gibt hier freilich, anders als 1918 und 1945, mehr als eine Möglichkeit, Sieg und Niederlage zu definieren. Wenn Kelloggs Plan umgesetzt wird, überlebt die Ukraine als handlungsfähiger, homogener und im Felde unbesiegter Nationalstaat. Als ressourcenreiches, wenn auch hochkorruptes Land kann sie an den Wiederaufbau gehen. Millionen von Flüchtlingen können zurückkehren. Und Neutralität ist keine Strafe – über einen Nato-Beitritt entscheiden ohnehin die aufnehmenden Länder, nicht der Aspirant.
Rußland hätte sein Hauptkriegsziel erreicht. Sewastopol und damit das Schwarze Meer gingen nicht verloren, und die Nato würde nicht bis weit über den Dnjepr hinaus expandieren. Wenn Washington dann noch anbietet, die Sanktionen zu lockern, käme der Kreml gut weg. Daß Grenzen mit Gewalt verschoben werden, ist schwer erträglich, war übrigens auch in Jugoslawien der Fall und darf trotzdem kein Präzedenzfall in Europa werden.
Berlin wäre gut beraten, die Aufstellung von Friedenstruppen anderen zu überlassen. Deutsche Soldaten waren schon zweimal vor Ort, und die Bundeswehr ist mit der Litauen zugesagten Brigade genug ausgelastet. Hält der Waffenstillstand nicht, gerät die Friedenstruppe zwischen die Fronten. Hält er, müssen Russen und die anderen Europäer Wege finden, um wieder miteinander auszukommen. Dabei kann Deutschland, auch ohne Direktiven aus Washington, eine positive Rolle spielen. Voraussetzung ist zweierlei: militärisches Gewicht, das noch fehlt, und ein Verzicht auf Russophobie nicht zuletzt in der deutschen Publizistik. Russenhaß kann sich Deutschland ebensowenig leisten wie ideologischen Antiamerikanismus. Derartige Ressentiments gründen in eigener Impotenz und fehlendem Selbstbewußtsein. Auch der deutsche „Vulgärpazifismus“ zählt zu den Charaktermerkmalen einer unreifen Nation. Moralisch ist er nichts wert.