Ob Brot, Butter, Fleisch, Käse, Gemüse oder Brat- und Salatöl, viele Nahrungsmittel kosten zwischen einem Drittel bis zur Hälfte mehr als vor fünf Jahren. Besonders betrifft das Arme und Rentner, von denen viele angesichts der andauernden Inflation jeden Euro in der Brieftasche umdrehen müssen. Diese Bevölkerungsgruppe komme „angesichts der hohen Lebensmittelpreise an ihre Grenzen“, warnt Verena Bentele, Chefin des Sozialverbandes VdK, auf dem Portal Evangelisch.de: „Eine gesunde Ernährung ist kaum möglich, viele sind froh, wenn sie am Ende des Monates überhaupt noch etwas Warmes auf dem Teller haben.“
Dabei hatte Agrarminister Cem Özdemir doch anläßlich der Ampel-Ernährungsstrategie „Gutes Essen für Deutschland“ versprochen: „Ich will, daß jeder eine echte Wahl für gutes Essen bekommt. Leckeres, gesundes und nachhaltiges Essen darf nicht vom Geldbeutel abhängen oder davon, aus welcher Familie man kommt.“ Ein geringes Angebot treffe auf rege Nachfrage, konstatiert das Statistische Landesamt Bayern. Es gebe immer weniger Milchkühe in deutschen Ställen, und der Import sei zurückgegangen. Zudem hingen die Preissteigerungen mit dem Ukrainekrieg zusammen.
Doch vor allem ist die deutsche und EU-Politik schuld. Und die 2019 von Angela Merkel initiierte und im Juli 2020 gegründete Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) verlangte im Grundsatzbericht 2021: Auf der Ebene der individuellen Lebenshaltungskosten müsse der für Ernährung ausgegebene Ausgabenanteil wachsen, „wobei Veränderungen im Ernährungsverhalten kostensenkend wirken können“. Sprich: Weniger Fleisch- und Milchprodukte essen – für Klima und Gesundheit. Auch der diesjährige ZKL-Ergänzungsbericht „Zukunft Landwirtschaft. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe in schwierigen Zeiten – Strategische Leitlinien und Empfehlungen“ geht in diese Richtung.
Immerhin fanden Forderungen nach einem Bürokratieabbau Eingang in den neuen Bericht: „In der Landwirtschaft und im Gartenbau ist inzwischen eine Regelungsdichte erreicht, die landwirtschaftliche Betriebe und Behörden überfordert.“ Gleichzeitig plädieren die mehr als zwei Dutzend Kommissionsmitglieder für mehr Kooperation als grundsätzliches Prinzip für Naturschutz, Anreizsysteme und Fördermaßnahmen anstelle pauschaler rechtlicher Vorgaben, für einen verpflichtenden Ausgleichsanspruch für Naturschutzauflagen oberhalb der Anforderungen der guten fachlichen Praxis sowie eine deutliche Verschlankung der Düngeregelungen und Entlastungen für Höfe in den „Roten Gebieten“ mit hoher Nitratbelastung. Schwachpunkte der Tierhaltungskennzeichnung seien beispielsweise, daß bestehende Initiativen nicht berücksichtigt wurden, zentrale Nutztierarten und Produktgruppen fehlten und die staatliche Kennzeichnung grafisch in einer für Verbraucher „kaum verständlichen Form“ umgesetzt sei. Schon länger in den Kühltheken verbreitet ist eine eigene freiwillige Kennzeichnung des Handels.
Angebliche ökologische Kosten von jährlich 90 Milliarden Euro
Gleichzeitig wird die „fehlende Kultur der Zusammenarbeit zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft“ kritisiert. Als Beispiel werden die nicht koordinierten Planungen für eine Ausweitung der verpflichtenden staatlichen Herkunftskennzeichnungen genannt. Auch fordert die ZKL weiterhin eine schrittweise und „moderate“ Erhöhung des derzeit geltenden ermäßigten Mehrwertsteuersatzes von sieben Prozent auf tierische Produkte. Damit soll die angeblich von „vielen Verbrauchern“ geforderte verstärkte bessere Tierhaltung finanziert und gleichzeitig der Fleischkonsum verringert werden – weil Fleisch dann mit 19 Prozent Besteuerung für viele Bürger nicht mehr täglich bezahlbar ist.
Es sei bemerkenswert, daß „man ein komplettes Kapitel der unzureichenden Kultur der Zusammenarbeit der Ampelregierung widmet und sich für eine neue Kultur der Zusammenarbeit zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ausspricht“, so Torsten Staack, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Schweinehalter: „Unsere Haltung zu den mangelhaften politischen Rahmenbedingungen für die Schweinehalter ist bekannt“, womit die Novellierung des Tierschutzgesetzes gemeint ist. So hat sich die Zahl der Schweinehalter in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren halbiert. Die Haltung verlagerte sich zunehmend ins Ausland, was das gewünschte hohe Tierwohl konterkariert.
Kritik kommt auch von den Freien Bauern, der Interessenorganisation der bäuerlichen Familienbetriebe, die als einzige Berufsvertretung das ZKL-Papier nicht unterzeichnet hat: Der Abschlußbericht unterstelle „der deutschen Landwirtschaft, ökologische Kosten von jährlich 90 Milliarden Euro zu verursachen“, kritisierte Bundessprecher Marco Hintze die zentrale Aussage des Gremiums: „Dem steht eine Bruttowertschöpfung von rund 30 Milliarden Euro gegenüber, so daß man sich schon die Frage stellen muß, welche Existenzberechtigung die Landwirtschaft in dieser fragwürdigen Argumentationskette überhaupt noch hat.“ Die Agrarpolitik sei nach wie vor weit von der Realität entfernt. Ein wirklicher Kurswechsel bedeute, daß die kommende Bundesregierung das EU-Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten nicht ratifizierr, die Zollfreiheit für Agrarimporte aus der Ukraine nicht verlängert und die Monopole im Lebensmitteleinzelhandel durch eine Kartellrechtsreform zerschlägt: „Keine Wolkenkuckucksheime mehr, sondern ran an die ökonomischen Machtfragen.“
Von den Vorschlägen, die die ZKL 2021 der Merkel-Regierung gemacht hatte, wurde fast nichts im Sinne der Bauern umgesetzt, einiges aber ins Gegenteil verkehrt. Im Abschlußpapier steht daher die Forderung, den Agrardiesel mit dem durchschnittlichen EU-Steuersatz wieder einzuführen, was der ursprünglichen Rückerstattung von 21,48 Cent pro Liter entsprechen würde. Auch andere alternative Kraftstoffe sollten steuerlich entlastet werden. Gleichzeitig wird eine Strategie verlangt, um Traktoren und Erntemaschinen von fossilen Energien unabhängig zu machen. Die Bauern würden auf emissionsfreie und emissionsreduzierte Antriebe setzen – wenn dies denn irgendwie gefördert werde.
www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Landwirtschaft/zukunft-landwirtschaft-bericht-2024.pdf
Radikaler Transformationsprozeß der Landwirtschaft
Passend zur Sprachregelung in der Corona-Zeit wurde die Landwirtschaft im ersten Abschlußbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) zwar als „systemrelevant“ bezeichnet, doch „angesichts der externen Kosten“, die die bäuerliche Landwirtschaft verursache, scheide eine „unveränderte Fortführung des heutigen Agrar- und Ernährungssystems aus ökologischen und tierethischen wie auch aus ökonomischen Gründen aus“. Deshalb stehe „unsere Zivilisation“ am „Beginn eines durchgreifenden Transformationsprozesses“. Daher müsse „auf der Ebene der individuellen Lebenshaltungskosten der für Ernährung ausgegebene Anteil wachsen“. Essen müsse spürbar teurer werden, etwa durch eine Fett-, Tierwohl- und Zuckerabgabe, den Zertifikatehandel (versteckte CO₂-, Methan-, Ammoniak- und Stickoxid-Steuern) oder durch das Drehen an der Mehrwertsteuerschraube. Für Ärmere hat die ZKL aber eine Lösung parat: „Veränderungen im Ernährungsverhalten“ könnten „kostensenkend wirken“. Eine „pflanzlich orientierte Ernährung“ statt der klimaschädlichen Fleisch- und Milchprodukte ist einfach billiger. Manche der „People of Colour“ oder der „Geflüchteten“, die in der Agrarbranche „etabliert“ werden sollen, dürften das anders sehen. (pl)