© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/24 / 06. Dezember 2024

Frisch gepresst

Theodor Lessing. Obwohl mit einer „Philosophie als Tat“ (1914), mit erkenntniskritischen Betrachtungen über „Die Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen“ (1919) sowie einer fundamentalistischen Kritik der kapitalistisch-technischen Zivilisation auf den Plan getreten, erntete Theodor Lessing (1872–1933) Ruhm und Nachruhm doch nicht als Philosoph. Der von Thomas Mann als „Schreckbeispiel schlechter jüdischer Rasse“ verhöhnte Pathologe der Moderne, unorthodoxe Sozialist, Pazifist, Zionist, früh engagierte Umweltschützer geriet vielmehr durch zwei Skandale ins grelle Licht der Öffentlichkeit. Diese entzündeten sich an seinen Gerichtsreportagen über den Serienmörder Fritz Haarmann, die eine bürgerliche Gesellschaft mit auf die Anklagebank setzten, die ein solches „Tiermenschentum“ ermöglichte, und an seiner Attacke auf den 1925 frisch zum Reichspräsidenten Paul von Hindenburg als Repräsentanten eben jener unmenschlichen Gewaltkultur, deren Produkt Haarmann war. Die Hindenburg-Polemik machte Lessing zur prominenten Haßfigur des völkisch-nationalen Lagers. Diesem Sumpf entstiegen dann sudetendeutsche Nationalsozialisten, die ihn 1933 im tschechischen Exil ermordeten. Den lange Vergessenen brachte Rainer Marwedels aus dem Nachlaß geschöpfte, einen der streitbarsten Intellektuellen der Weimarer Republik würdigende Biographie 1987 wieder in Erinnerung, die jetzt weitgehend unverändert nochmals erschienen ist. (wm)

Rainer Marwedel: Theodor Lessing. Eine Biographie. Wallstein Verlag, Göttingen 2024, gebunden, 423 Seiten, Abbildungen, 36 Euro




Mecklenburg. Von Bismarck soll der Ausspruch stammen, bei absehbarem Weltuntergang ginge er nach Mecklenburg, da käme er erst hundert Jahre später. Das boshafte Bonmot bringt das im Kaiserreich ubiquitäre Vorurteil über die Zurückgebliebenheit eines Landes auf den Punkt, dessen seit 1755 geltende landständische, die Macht des grundbesitzenden Adel zementierende Verfassung erst 1918 entsorgt wurde. Nach Ansicht des Schweriners Andrew Stüve leidet seine Heimat noch heute unter diesem Klischee. Mit seiner historisch-literarisch unterfütterten Landeskunde im Stil des märkischen Wanderers Theodor Fontane bezweckt er, daß sich die Mecklenburger „selbst besser kennenlernen, damit andere uns kennenlernen“. Nur dann könne sich der Einzelne als Teil des Ganzen begreifen und lasse sich seine „Freude am Eigenen steigern“. Ob diese Identität zu stiften ist, indem man auf eine volkskundliche Begrifflichkeit abhebt wie Wesensart, Menschenschlag und Landesseele, ist zwar sympathisch und verständlich, aber leider doch eher zu bezweifeln. (dg)

Andrew Stüve: Die Seele Mecklenburgs. Landt Verlag, Lüdinghausen 2024, gebunden, 430 Seiten, 32 Euro