Am 9. August 2022, zum 80. Jahrestag der Uraufführung von Dimitri Schostakowitschs „Leningrader Sinfonie“, fand in Sankt Petersburg ein großes multimediales Musikfest statt. Die Einführung zu diesem Konzert hatte der bis dahin als Musikkritiker nicht aufgefallene russische Präsident Wladmir Putin übernommen. Er interpretierte dem Publikum per Videoschalte, welche „ewigen Werte“ diese erstmals während der deutschen Blockade Leningrads gespielte Sinfonie auch heute vermittle: „Liebe zur Heimat und die Bereitschaft, sie zu verteidigen.“ Für die Hamburger Musikwissenschaftlerin Antonia Klokova zeigt dieser Auftritt Putins wie unterm Vergrößerungsglas, in welchem Umfang russische Musikkultur gegenwärtig in den Dienst der geistigen Mobilmachung an der „Heimatfront“ des Ukraine-Krieges gestellt werde. Nicht nur Schostakowitschs einst den „Widerstandsgeist der Sowjetunion“ aufpeitschende Sinfonie finde wieder als „klingende Waffe“ Verwendung. „Putins Regime“ habe schon vor der Ukraine-Invasion begonnen, bedeutende russische Komponisten politisch zu vereinnahmen und ihre Werke umzuwerten. Damit knüpfe man an die propagandistische Nutzung klassischer Musik unter bolschewistischer Herrschaft an, die in den 1920ern selbst Bach, Beethoven, Händel und Mozart nachträglich in „Revolutionshelden“ verwandelte. Der jüngste Zugriff solcher Art, begleitet von der Betonung der religiösen und spirituellen Elemente seines Tonschaffens, erfolgte im vorigen Jahr zum 150. Geburtstag Sergej Rachmaninovs, der, von Moskau finanziert und dirigiert, im großen Stil auch in Berlin, Wien, Paris und Rom zelebriert wurde (Osteuropa, 5/2024). https://zeitschrift-osteuropa.de