© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/24 / 06. Dezember 2024

Die Freiheit schreitet voran
Argentinien: Nach einem Jahr Präsidentschaft zeigt Javier Mileis Politikumsturz erste Früchte
Philipp Bagus

Am 10. Dezember jährt sich der Amtantritt des argentinischen Präsidenten Javier Milei. Um seine Erfolge einschätzen zu können, müssen wir uns zunächst die Ausgangsposition vor Augen führen. 20 Jahre Kirchnerismus hatten das Land zugrunde gerichtet. Die Situation Argentiniens, und nicht nur der Staatsfinanzen, war besorgniserregend, als Milei im Dezember 2023 die Präsidentschaft übernahm. Im November 2023 lag die Armutsquote bei 55 Prozent und die Quote extremer Armut bei 17,5 Prozent. Zudem stand das Land vor dem Staatsbankrott, dem zehnten in seiner Geschichte. 

Die Staatsschulden lagen 2023 um die 88 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zudem schuldete Argentinien 60 Milliarden Dollar für noch nicht bezahlte Importe. Am 21. Dezember 2023, wenige Tag nach Mileis Amtsantritt, wurde eine Zinszahlung an den Internationalen Währungsfonds fällig. Die Argentinische Zentralbank bilanzierte minus 10,5 Milliarden Dollar Währungsreserven, da sie sich in US-Dollar verschuldet hatte. 

Der Rückgang der Staatsausgaben liegt bei bis zu 35 Prozent

Als wäre das nicht genug, war Argentinien in einer inflationären Dynamik gefangen, die sich ungebremst in eine Hyperinflation beschleunigte. Die monatliche Konsumgüterpreisinflation lag 2023 von Januar bis Juli zwischen sechs und 8,4 Prozent. Im August beschleunigte sie sich schon auf 12,4, und im Dezember sprang sie auf 25,5 Prozent, was einer annualisierten Teuerungsrate von 1.228 Prozent entspricht. Die Großhandelspreise, die in der Regel der künftigen Konsumgüterinflation vorauslaufen, zeigten eine weitere Beschleunigung an. Sie stiegen im Dezember 2023 um 54 Prozent, das sind annualisiert 17.000 Prozent. 

Das Staatsdefizit war wenig hilfreich. Das konsolidierte Staatsdefizit lag 2023 bei sage und schreibe 15 Prozent, davon fünf Prozent in der Staatskasse und zehn Prozent in der Zentralbank. Denn nicht nur das Finanzministerum hatte Schuldtitel ausgegeben, auch die Zentralbank. So verkaufte die argentinische Zentralbank kurzfristige Schuldpapiere zu attraktiven Zinsen an die Banken, um die zuvor geschaffenen Pesos wieder abzuschöpfen. Statt in die Wirtschaft zu fließen, gelangten die Pesos zurück zur Zentralbank und wurden so sterilisiert. 

Das Problem dabei ist offensichtlich. Die Zentralbank mußte attraktive Zinsen auf die von ihr ausgegebenen Verbindlichkeiten zahlen. Durch die hohe Inflation im Jahr 2023 lag der Zinssatz bei etwa 135 Prozent. Doch wie bezahlte die Zentralbank diese Zinsen auf ihre Schulden? Indem sie neues Geld druckte. Ein Teufelskreis. Ende 2023 implizierten die Zinszahlungen der argentinischen Zentralbank einen endogenen Anstieg der Geldmenge von zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Mit den verzinslichen Verbindlichkeiten schlummerte eine Zeitbombe in der Zentralbankbilanz, die jederzeit eine Hyperinflation zünden konnte.

Ende 2023 war Argentinien also vollkommen verarmt, praktisch pleite, mit einem konsolidierten Defizit von 15 Prozent des BIP. Der argentinische Staat war ohne Kredit, ohne Reputation, unfähig sich zu finanzieren. Die Gesellschaft war am Limit und konnte keine große Anpassungskrise überstehen, schon gar keinen Währungszusammenbruch. Daß sein Parteienbündnis nur über 15 Prozent der Abgeordneten im Parlament und zehn Prozent im Senat verfügte und die Opposition alle Gesetzesvorhaben blockierte, machte die Situation nicht leichter. Die Probleme in den Griff zu bekommen war eine herkulische Aufgabe. 

Bei seinem Amtsantritt machte Milei sich zunächst an die makroökonomische Stabilisierung. Das Herzstück von Mileis Ansatz war die Eliminierung des Defizits. Milei wiederholt unermüdlich, daß die Defizitbeseitigung unverhandelbar sei. Und schon im ersten Monat, im Januar 2024, gelang ihm ein Haushaltsüberschuß. Das war nur durch den beherzten Einsatz der berüchtigten Kettensäge möglich. Milei schaffte Ministerien ab, entließ Staatsbedienstete, legte alle staatlichen Infrastrukturprojekte auf Eis, schloß Behörden und beseitigte die Transfers an die Provinzen. Außerdem erhöhte er die Gehälter von öffentlichen Angestellten und Rentnern nicht im gleichen Rhythmus wie die Inflation. Der reale Rückgang der Staatsausgaben wird zwischen 27 Prozent und 35 Prozent geschätzt. Das ist eine unglaubliche gute Zahl. Denn dieser Rückgang der Staatsausgaben repräsentiert die Verringerung der Last des Staates, die auf den Schultern der argentinischen Zivilgesellschaft liegt. 

Das Resultat war ein Haushaltsüberschuß, auch nach Zinsen. Weil es kein Defizit mehr gibt und Milei verdeutlichte, daß es mit ihm auch keines mehr geben wird, wurde ein monetärer Anker für die Inflationserwartungen geschaffen: In Zukunft wird es nicht mehr nötig sein, Pesos zu drucken, um das Defizit zu finanzieren. Mit den Inflationserwartungen fielen die Zinsen. Deren Rückgang bedeutete weitere Einsparungen, weil der Staat und die Zentralbank weniger Zinsen auf ihre Schulden zahlen mußten.

Während das Haushaltsdefizit im Januar beseitigt wurde, dauerte es bis zum Juni 2024, bis das zehnprozentige Defizit der Zentralbank eliminiert wurde. Die Banken bekamen Anreize, die verzinsten Zentralbankverbindlichkeiten gegen langfristige  Staatsanleihen zu tauschen.  Durch die Beseitigung des Defizits sowohl im Haushalt als auch bei der Zentralbank entfällt der endogene Druck, neue Pesos herzustellen. Seit Juli 2024 werden netto auch durch Dollarankauf keine Pesos mehr in den Umlauf gebracht. Zwar müssen Exporteure ihre Dollars weiterhin an die Zentralbank zum offiziellen Wechselkurs gegen Pesos abgeben, doch verkauft die Zentralbank in der Folge die Dollars wieder zum Marktpreis. Somit sammelt sie die Pesos wieder ein, wobei durch die Differenz zwischen offiziellem Wechselkurs und Marktpreis ein Gewinn verbleibt. Entscheidend: Die Nettoemission ist null.

In Zukunft möchte Milei auch die Emission für eine Bankenrettung vermeiden. Ein Teildeckungsbankensystem erzeugt zyklische Krisen, und in diesen Krisen produziert die Zentralbank Geld, um die Teildeckungsbanken zu retten. Um dieses Risiko zu beseitigen, plädiert er für ein vollgedecktes Bankensystem –  eine Revolution, denn es wäre das erste Bankensystem weltweit mit einer 100-Prozent-Reservedeckung, wodurch die allgemeinen Rechtsprinzipien wieder respektiert wären. Bankenkrisen und Wirtschaftszyklen wären Geschichte.

Infolge dieser Maßnahmen ist die Monatsinflation von 25 Prozent im Dezember auf 2,7 Prozent im Oktober gefallen. Die Märkte erwarten eine weiter fallende Inflationsrate. Die Risikoprämie auf argentinische Staatsanleihen geht immer weiter zurück, und der Marktpreis des Pesos nähert sich dem offiziellen Wechselkurs. Die Abwendung der Hyperinflation und Stabilisierung des Pesos ist Mileis größte Leistung und sein größtes politisches Kapital.

Daher hat Milei steigende Zustimmungswerte. Das ist dadurch zu erklären, daß er zehn Jahre lang im Kampf um die besseren Ideen – dem Kulturkampf, wie er es nennt – Aufklärungsarbeit geleistet hat: Die Staatsausgaben seien das Problem, weil sie zu einem Defizit führten, das durch die Ausgabe neuen Geldes finanziert werde, was die Preise steigen lasse. 

Diese Inflationssteuer, die vor allem die Armen treffe, sei mit der Nullemission seit Juli eliminiert. Milei hat auch erklärt, daß weniger Staatsausgaben nicht schlecht für eine Wirtschaft sind. Ganz im Gegenteil bedeutet ein Rückgang der Staatsausgaben, daß dem Privatsektor mehr Ressourcen zur Verfügung stehen. Und er hatte angekündigt, der Entzug der Inflationsdroge würde hart werden, am Ende des Tunnels jedoch ein neues Argentinien warten. Doch dieses Mal lohne sich der Aufwand. Und das wählten die Argentinier. Daher genießt Milei bis heute noch so hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung, trotz der Sparmaßnahmen.

Aber nicht nur die makroökonomische Stabilisierung ist Milei gelungen. Auch bei der Deregulierung der argentinischen Wirtschaft gibt es gewaltige Fortschritte. Beginnend mit seinem „Decreto de Necesidad y Urgencia“ hob Milei mehr als dreihundert Verordnungen auf. Besondere Aufmerksamkeit erregte  das Ende der Mietpreiskontrolle. Die realen Mieten fielen, als zurückgehaltene Wohnungen wieder auf den Markt kamen. Im Juni brachte Milei auch seinen umfassenden Reformplan („Ley Bases“) durch beide Kammern. Es handelt sich um die größte Strukturreform Argentiniens. Das Ley Bases beinhaltet die Gründung eines Deregulierungsministeriums, Privatisierungen und eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Täglich werden alte Verordnungen abgeschafft. Zu den Deregulierungen gesellen sich auch sukzessive Steuersenkungen. 

Ab April 2025 soll es langsam 

aber sicher aufwärts gehen 

Die Ziele Mileis sind klar und wurden im Juli mit der Unterzeichnung des „Pacto de Mayo“ (Maipakts) zwischen dem Präsidenten und den Gouverneuren bekräftigt. Zu den zehn Grundprinzipien dieses Pakts gehören „die Unverletzlichkeit des Privateigentums“, „die Reduzierung der öffentlichen Ausgaben auf 25 Prozent des BIP“ und die Umsetzung einer Reform, die „die Steuerlast senkt und das Leben der Argentinier vereinfacht und den Handel fördert“. Langfristig möchte Milei Argentinien zum freiesten Land der Welt machen. Die ersten Schritte sind getan.

Derweil mehren sich die Anzeichen, daß die Talsohle im April erreicht worden ist und es langsam aufwärtsgeht. Seit Mai steigen Autoproduktion, private Bauaktivität, Konsumentenvertrauen, Exporte und die Reallöhne. JP Morgan schätzt die derzeitige Wachstumsrate auf 8,5 Prozent. Dieser Mentalitätswechsel weg vom Staat hin zur Freiheit, den Milei vornimmt, ist einzigartig und nicht nur auf Argentinien begrenzt. Durch seine Reden beim Weltwirtschaftstreffen in Davos oder bei den Vereinten Nationen trägt Milei dazu bei, die Ideen der Freiheit global zu verbreiten.


Prof. Dr. Philipp Bagus. Der Ökonom, geboren 1980 in Wiesbaden, lehrt an der Universität Madrid. Er publizierte Bücher wie „Warum andere auf Ihre Kosten immer reicher werden“ oder „Die Tragödie des Euros“. Eben erschienen: „Die Ära Milei. Argentiniens neuer Weg“

 www.philippbagus.de




Die Lebensstationen von Javier Milei 

Javier Milei wurde am 22. Oktober 1970 in Palermo, einem Ortseil von Buenos Aires geboren. „Mein alter Herr hat mich immer verprügelt“, erklärte Milei später. Er besuchte die Sekundarschule Cardenal Copello (Villa Devoto). Während seiner Teenagerzeit, von 1987 bis 1989, spielte er als Torwart in der Jugendabteilung der Chacarita Juniors und gehörte sogar zur Profimannschaft. Als Sänger war er Mitglied der Band Everest, die hauptsächlich Lieder von den Rolling Stones coverten. 

Milei hat einen Abschluß in Fach Wirtschaftswissenschaften von der Universität Belgrano. Er absolvierte zwei Postgraduiertenprogramme am Institut für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (IDES) und an der Universität Torcuato di Tella. Zudem wurde ihm die Ehrendoktorwürde der ESEADE-Universität verliehen. Er war Chefökonom der privaten Rentenversicherungsanstalt Máxima AFJP, Koordinator des Finanzunternehmens Estudio Broda und Berater der argentinischen Regierung beim Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten. 

Miliei gilt als ein Spezialist für Fragen des Wachstums und lehrte an Universitäten in Argentinien und im Ausland Mikroökonomie, Makroökonomie, Geldtheorie, Finanztheorie, Wirtschaftswachstum und mathematische Ökonomie. Von 2017 bis 2022 moderierte er eine  Radiosendung mit dem Titel „Demoliendo mitos“ (Mythen zerstören). Im Jahr 2018 spielte er sich als Schauspieler in seinem eigenen Theaterstück „El consultorio de Milei“. Seit 2022 moderierte Milei ein Online-Programm namens „Cátedra Libre“. Im Februar 2019 gab er während einer politischen Veranstaltung in der Hauptstadt seinen Beitritt zur Libertären Partei bekannt und wurde schnell deren Vorsitzender. 

Am 6. November 2021 gewann Milei ein Mandat als nationaler Abgeordneter mit 314.000 Stimmen und einem Anteil von 17,04 Prozent der Gesamtstimmen. Im Anschluß gründete er mit Victoria Villarruel das Wahlbündnis La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran). 

Am 22. April 2022 kündigte Milei seine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2023 an. Bei den Vorwahlen am 13. August erzielte er mit fast sieben Millionen Stimmen knapp über 30 Prozent der Stimmen. Am 19. November 2023 setzte sich Milei dann gegen den peronistischen Kandidaten Sergio Massa durch und errang mit 56 Prozent der Stimmen das Präsidentenamt. 

Die Amtsgeschäfte übernahm er dann am 10. Dezember 2023 auf eine eher unkonventionelle Art und Weise. Javier Milei hielt seine erste Rede auf den Stufen des Nationalkongresses und wandte sich direkt an die Bürger und nicht an die gesetzgebende Versammlung. In Anwesenheit internationaler Persönlichkeiten erklärte er den Beginn „einer neuen Ära in Argentinien“ in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. (ctw)