Einen Pyrrhussieg erzielte am Montag die von Premierminister Michel Barnier geführte Mitte-Rechts-Minderheitsregierung, als sie den Sozialetat für 2025 per Dekret durchsetzte. Die französische Verfassung läßt dies nach Artikel 49.3 zwar ausdrücklich zu, allerdings bekommt die Opposition dann das Recht, Mißtrauensanträge gegen die Regierung zu stellen. Sowohl das Linksbündnis NFP (Neue Volksfront) um Jean-Luc Mélenchon, als auch Le Pens Rassemblement National, die zusammen die Parlamentsmehrheit stellen, kündigten an, davon Gebrauch machen zu wollen. Da zu Redaktionsschluß, im Gegensatz zu einem Antrag im Oktober, Marine Le Pen ankündigte, dem Mißtrauensantrag der Linken zustimmen zu wollen, dürfte Frankreich ziemlich sicher noch diese Woche ohne Regierung dastehen. Die Linke ihrerseits hatte seit Wochen darauf hingearbeitet, Le Pen zu dieser Zusammenarbeit zu bewegen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die „graue Eminenz“ Mélenchon, hofft, damit auch Präsident Emmanuel Macron zu Rücktritt und Neuwahlen zu bewegen. Denn diese dürften für den 73jährigen altersbedingt die letzte Chance darstellen, als gemeinsamer Kandidat der Linken nominiert zu werden. Doch auch Marine Le Pen könnten vorgezogene Präsidentschaftswahlen inzwischen entgegenkommen. Ihr droht im kommenden März aufgrund eines Prozesses wegen mutmaßlicher Veruntreuung von EU-Geldern nämlich der Verlust des passiven Wahlrechts und damit das Ende auch ihres Präsidentschaftstraums.
Vorausgegangen waren große Differenzen in der Haushaltsdebatte. „Frankreichs Finanzlage ist gefährlich geworden“, so der Präsident des französischen Rechnungshofs, Pierre Moscovici. Der Schuldendienst im Staatshaushalt erhöhte sich binnen drei Jahren von 25 auf 70 Milliarden Euro, und die Staatschulden stiegen auf 3,2 Billionen Euro.
Die Regierung plante zur Konsolidierung des mit sechs Prozent vom Bruttoinlandsprodukt 100 Prozent zu hohen Haushaltsdefizits Mehrbelastungen für die Bürger von 30 bis 40 Milliarden Euro. Diese sollten in Form von Steuererhöhungen, Zuzahlungen bei Medikamenten, Strompreiserhöhungen und per Wegfall des Inflationsausgleichs für Rentner vereinnahmt werden. Das Linksbündnis, als stärkste Fraktion in der Nationalversammlung, lehnt dies ab und fordert dagegen sogar die Wiederabsenkung des Renteneintrittsalters von 64 auf 62 Jahre, womit eine der wichtigsten Reformen Macrons rückgängig gemacht würde. Auch Le Pen nannte den Gesetzentwurf „zutiefst ungerecht“ und baute in einem Gastbeitrag im Figaro dem Vorwurf destruktiven Verhaltens vor: Es gäbe in der französischen Verfassung keinen „Lockdown“, der im Fall der Regierungslosigkeit die Auszahlung von Renten, Beamtengehältern oder Zinszahlungen im Wege stünde. Vielmehr würde dann der bestehende Haushalt fortgeschrieben. Ansonsten habe der Premier die Wünsche von elf Millionen RN-Wählern ignoriert, auch indem er – und viele Abgeordnete des Regierungslagers – nicht einmal der „Gegenhaushalt“-Vorstellung des RN im Parlament beigewohnt hätten. Dieser habe auf den Grundgedanken aufgebaut, die Kaufkraft der unteren und mittleren Bevölkerungsklassen – darunter auch der Rentner – zu erhalten. Dafür sollten im Gegenzug die Strukturkosten des Staats und das Migrationsbudget gekürzt werden.
Wie es nach einem Sturz der Regierung weitergeht, ist unklar. Macron könnte einen Vertreter des Linksbündnisses mit der Regierungsbildung beauftragen. Auch eine Expertenregierung wäre denkbar. Einen Rücktritt als Präsident und damit Neuwahlen vor 2027 hatte Macron dagegen immer wieder ausgeschlossen.