Als wir auf der ersten Sandbank strandeten, war uns das Glück beschieden: Eine Gruppe Kinder spielte gerade im seichten Wasser und nutzte die Gelegenheit, sich auf ein freundliches Wort unseres Ruderers hin eine Münze Taschengeld zu verdienen. Mit vereinten Kräften und unter Zuhilfenahme der Staken bekamen wir das Boot wieder frei; in der glühenden Mittagssonne den Fluß Suriname hinauf und tief in den grünen Dschungel hinein.
Rund hundert Kilometer südlich des Dorfs Brownsweg endet am westlichen Ufer des großen Brokopondo-Sees die letzte asphaltierte Straße in den waldreichen Süden Surinames. Wer tiefer ins Land vorstoßen möchte, bedarf auch heute noch eines Kanus. Rund 93 Prozent der Fläche Surinames bestehen aus Regenwald. „Das waldreichste Land der Welt“, so wurde uns das abgeschiedene Land im Norden Südamerikas schon am Flughafen angepriesen.
Nachts stoßen wir im Dschungel auf gewaltige Spinnen und hochgiftige Schlangen.
Die Ufer des gleichnamigen Suriname-Flusses sind die Heimat der Maroons, der Nachkommen schwarzafrikanischer Sklaven, denen vor Jahrhunderten die Flucht aus den Plantagen im Norden gelang. In den undurchdringlichen tropischen Wäldern haben sie ihr neues Zuhause gefunden. Doch „Maroon“ ist eine Fremdbezeichnung und bedeutet „entlaufenes Vieh“; sie selbst nennen sich die Saramaccaner. Zur Regenzeit ab Dezember steht der Fluß drei Meter höher. Etwas früher eingetroffen, mühen wir uns in Zentimeterarbeit zwischen schroffen Klippen hindurch, bis wir unser Ziel erreichen: Eine gepflegte kleine Siedlung spartanisch eingerichteter Holzhütten. Eine Kirche, eine Grundschule, einen Topf schmackhaften Cassavawurzelbrei zum Abend. Ananas, Papaya und Cashewnüsse wachsen in den Gärten, Hühner gackern hinter Zäunen.
Meine Begleiterin und ich nutzen die Gelegenheit zu einem Bad im brühwarmen Fluß. Zwei alte schwarze Frauen, nur mit einem knappen Tuch vor der Sonne geschützt, schuppen Fische am Uferstrand. Mit weit ausgebreiteten Armen wollen wir wissen, welche Riesenbarsche sich in den Fluten tummeln. Die Frauen lachen und antworten im feinsten Holländisch: „Nee, niet zo groot.“
Nachts wagen wir uns in den Dschungel hinein. Wohin wir auch leuchten, reflektieren Tausende grüne und orangene Augen unser Licht: gewaltige Spinnen, hochgiftige Schlangen, ein Kaiman, der aus der Entengrütze seines Tümpels lugte. Und sowieso Myriaden dankbarer Moskitos. Jedes Tier hat im Urwald seine Stunde. Auf die Zikaden folgen im Morgengrauen die Frösche, dann die Papageien. Der Tag gehört den Brüllaffen. Und unserem Kanufahrer, der uns tiefer ins Land bringen wollte. Zum Abschied freuten sich die Kinder über einen echten Dresdner Christstollen. Auch tief im Regenwald ist Weihnachten eines der schönsten Feste.