Dügün Salonu steht auf dem Hinweisschild, das mit einem Richtungspfeil zur Halle der Bergischen Eventlocation im Wuppertaler Stadtbezirk Vohwinkel weist. Dügün Salonu ist Türkisch und bedeutet Hochzeitssaal. Doch die zwei, die sich hier am vergangenen Samstag gegenüberstehen, wollen nicht heiraten. Sie wollen in den Bundestag. Und auch nicht gemeinsam, sondern alleine, anstelle des jeweils anderen. Als Direktkandidat der CDU im Wahlkreis 102, „Wuppertal I“. Die Rede ist vom bisherigen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, und seiner Herausforderin Derya Altunok.
Die Unterschiede zwischen beiden könnten kaum größer sein. Sie ist eine Newcomerin in der Politik. 35 Jahre, leitende Angestellte bei der Agentur für Arbeit in Düsseldorf, gerade einmal zwei Jahre CDU-Mitglied. Dennoch hat ihre Partei sie bereits zur stellvertretenden Vorsitzenden des CDU-Kreisverbandes Wuppertal gewählt. Zudem führt sie die Wuppertaler Frauen-Union an.
„Im Vorstand hält sich die Begeisterung in Grenzen“
Jung, weiblich, türkischer Migrationshintergrund. Eigenschaften, die sich innerhalb der CDU stets dann als nützlich erweisen, wenn es bei Wahlen und Kandidaturen um potentielle Listenabsicherungen geht. Nicht zuletzt deshalb dürfte die Wuppertaler Parteiführung unter ihrem Vorsitzenden Johannes Slawig sie zu einer Kandidatur zum Deutschen Bundestag ermuntert haben. Denn ein Direktmandat in diesem Wahlkreis zu holen, gilt für die Christdemokraten als mehr denn ambitioniert. Seit 60 Jahren gewinnt hier stets die SPD. Der Coup der Wuppertaler CDU: nachvollziehbar, Altunok scheint als Kandidatin sicher.
Dann aber kommt plötzlich alles anders. Thomas Haldenwang wirft seinen Hut in den Ring im Rennen um ein mögliches CDU-Bundestagsmandat. 64 Jahre alt, männlich, Deutscher ohne Einwanderungshintergrund, mit jahrzehntelanger Erfahrung im Politik- und Verwaltungsbetrieb. „Junge migrantische Frau gegen alten, weißen Silberrücken“ wird Haldenwang das Duell der beiden in seiner Rede später nennen. Bis zur Bekanntgabe seiner Kandidatur ist er Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Seitdem ruht das Amt. Haldenwang ist in Wuppertal geboren, lebt auch heute noch in der Stadt. Und verfügt über einen guten Draht zu CDU-Kreischef Johannes Slawig. Die beiden telefonieren. Schließlich kreisen die Gespräche um eine mögliche Bundestagskandidatur des Chefs der Inlands-Schlapphüte.
„Die SPD schwächelt, und wir sind jetzt deutlich stärker als zum Ende der Merkel-Jahre“, meint eines der 114 zur Nominierungsversammlung erschienenen CDU-Mitglieder optimistisch. Geht da mehr? Kann der Wahlkreis jetzt sogar gewonnen werden? Auch diese Überlegung soll eine Rolle gespielt haben, sagen einige in der CDU. Für diesen Fall verspricht sich der Wuppertaler CDU-Kreisvorstand offenbar Vorteile durch die politische Erfahrung und den hohen Bekanntheitsgrad Haldenwangs.
Jedenfalls schwenken die dortigen Gremiums-Mitglieder zwei Wochen vor der Nominierungsversammlung um, sprechen sich nun einstimmig für den Spitzenbeamten als Bundestagskandidaten aus. Auch Altunok stimmt für ihn. Zunächst. Doch als ihr Rückzug öffentlich wird, sei „eine regelrechte Welle der Ermutigung und Zustimmung“ bei ihr eingegangen, erzählt die 35jährige in einem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT im Vorfeld der Kandidatenaufstellung (JF 49/24).
Pikant: Altunok zufolge sei sie auch von Serap Güler zur Kandidatur gegen Haldenwang ermutigt worden. „Denk noch mal darüber nach“, habe die ihr geraten. Güler gehört dem CDU-Bundesvorstand an. Was zu Spekulationen führt. Ist die Haldenwang-Kandidatur der Bundes-CDU ein Dorn im Auge? „Da wird viel zuviel hineininterpretiert“, wiegeln CDU-Vertreter am Samstag im Saal ab. Aber: „Die Begeisterung im Landes- und Bundesvorstand über eine Kandidatur Haldenwangs hält sich in Grenzen“, sagen hingegen CDU-Insider aus Nordrhein-Westfalen im Gespräch mit der JF. Haldenwang verkörpere noch zu sehr „die mit unzähligen Wahlniederlagen und einem Kuschel-Kurs gegenüber Rot-Grün verbundene Merkel-Zeit statt den von der aktuellen Parteiführung beabsichtigten Politikwechsel.“
Der Hintergrund: Die damalige Bundeskanzlerin brachte Haldenwang vor sechs Jahren ins Amt des obersten Verfassungsschützers, nachdem sie dessen Vorgänger Hans-Georg Maaßen, damals ebenfalls noch CDU, entlassen hatte. Maaßen hatte vor allem den islamischen Extremismus als größte Gefahr für Deutschland ausgemacht, Haldenwang hingegen sieht im Rechtsextremismus die „größte Gefahr für die Demokratie.“ Daß seine Behörde die AfD mittlerweile als rechtsextremistischen Verdachtsfall führt, geht nicht zuletzt auf ihn zurück.
„Ich sehe gute Chancen, den Wahlkreis nach 60 Jahren für die CDU zu gewinnen“, betont Haldenwang auf der Nominierungsversammlung im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT und gibt sich im Hinblick auf seinen Kontrahenten Helge Lindh (SPD), der seit 2017 den Wahlkreis in Berlin vertritt, selbstbewußt: „Ich habe mehr in die Waagschale zu legen als Herr Lindh.“
Bei Derya Altunok hingegen haben die Tage nach ihrer erneuten Kandidaturbereitschaft und ihrem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT Spuren hinterlassen. „Ich möchte tatsächlich gar nicht sprechen“, sagt sie im Saal zur JF. Auch in ihrer Vorstellungsrede ist ihr die Nervosität anzumerken. „Manchmal hat es sich angefühlt wie die Schwebebahn im Wind“, umschreibt sie die Turbulenzen um ihre Person aus den vergangenen Tagen. Sie steht hinter dem Rednerpult, den Blick fest auf ihr Manuskript gerichtet. „Ich trete nicht gegen eine Person an, sondern für einen neuen Politikstil“, liest sie ab. Und macht damit deutlich, daß sich ihre Kandidatur entgegen parteiinterner Spekulationen nicht gegen Haldenwang persönlich richte. „Wir stehen für Einigkeit und Recht und Freiheit statt für Spaltung“, betont sie, sagt aber auch: „Immer mehr Menschen fühlen sich fremd im eigenen Land.“
„Mehr Ludwig Erhard und weniger Robert Habeck“
Auch ihre weiteren Ausführungen klingen nicht nach Merkelschem Weiter-so. „Es darf in Deutschland keine No-go-Areas geben“, stellt sie klar, und „die illegale und unkontrollierte Migration müssen wir beenden.“ Zugleich plädiert sie dafür, „mehr Ludwig Erhard und weniger Robert Habeck“ zu wagen. Dezenter, artiger Beifall zum Ende ihrer Rede. Schon da wird klar: Ein Aufstand gegen das Votum des CDU-Kreisvorstandes wird ausbleiben und der nächste Wuppertaler CDU-Bundestagskandidat Thomas Haldenwang heißen.
Der läßt bei seiner Vorstellung das Rednerpult links liegen, spricht frei. Die rechte Hand am Mikrofon, die Linke in der Hosentasche spielt er seine Erfahrung aus, dankt Altunok zunächst für ihre „leidenschaftliche Rede“. Anders als sie spricht er viel über seine Vita. Ein „echter Wuppertaler Junge“ sei er, kenne hier „jede Ecke, jeden Stein“. Die Schulzeit in Wuppertal, das Jurastudium in Marburg, der abgeleistete Wehrdienst bei der Marine auf dem Zerstörer „Schleswig-Holstein“. Und natürlich seine berufliche Karriere, die ihn bis zum Verfassungsschutzpräsidenten geführt hatte. „Ich bin der Richtige, weil ich die Berliner Polit-Szene kenne“, unterstreicht er seine Ambitionen.
Unterstützung erhält er vom Wuppertaler CDU-Mitglied Carsten Schüler, der sich bei den anschließenden Fragen an die Kandidaten als einer von wenigen zu Wort meldet. In den neunziger Jahren gehörte Schüler dem JU-Landesvorstand in Niedersachsen an, zählte damals zum äußersten linken Flügel innerhalb der Jungen Union. Eine Frage an die Kandidaten stellt er zwar nicht. Dafür hält er ein Plädoyer für Haldenwang. „Wenn wir jemanden haben, der etabliert ist und bereit ist, den Faschisten die Stirn zu bieten, dann sollten wir ihn verdammt nochmal zu unserem Kandidaten machen“, appelliert er an die Mitglieder. Und die Mitglieder machen ihn zum Kandidaten. 82 Stimmen gehen an Haldenwang, 32 an Altunok.
Erst in Gesprächen nach Ende der Veranstaltung lassen einige Mitglieder ihrer Enttäuschung über den Gewählten freien Lauf. „Erst sagt er, er möchte gesundheitlich kürzertreten und dann will er auf einmal in den Bundestag. Will er da dann nur eine ruhige Kugel schieben oder was soll man davon halten?“, fragt ein Mitglied. „Wir hätten die Chance gehabt, eine junge Kandidatin aufzubauen. Daß wir jetzt mit einem altgedienten Verfassungsschützer den Wahlkreis rocken, glaube ich nicht, das hatte schon bei Herrn Maaßen nicht funktioniert“, kritisiert ein anderer und wagt bereits einen Tip: „Herr Lindh wird den Wahlkreis erneut gewinnen.“
Fotos: Gewinner Haldenwang mit unterlegener Kontrahentin Altunok: „Wie Schwebebahn im Wind“, Teilnehmer der CDU-Wahlversammlung: „Herr Lindh wird erneut gewinnen“