Rund drei Monate vor der vorgezogenen Bundestagswahl steckt die FDP in einer ihrer schwersten Krisen. Nach dem Aus der Ampelkoalition versuchten sich die Liberalen als Opfer zu inszenieren. Das gelang nur bedingt. Dann wurde ein Strategiepapier durchgestochen, in dem von einem „D-Day“ und einer „Feldschlacht“ gesprochen wurde. „Normales Vorgehen“, wiegelte die Parteispitze um Christian Lindner ab. Was dann in der vergangenen Woche passierte, versetzte selbst hartgesottene, langjährige Beobachter des Berliner Politikbetriebs in blankes Erstaunen. Völlig überraschend postete die Partei das zunächst als Gedankenspiel abgetane Papier auf ihren offiziellen Kanälen. Dabei kam zutage, daß der Begriff „D-Day“ tatsächlich gebraucht wurde. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hatte dies zuvor öffentlich dementiert.
Im Hans-Dietrich-Genscher-Haus hatte man wohl nicht nicht bemerkt, daß der Schuß nach hinten loszugehen drohte, als in der Partei die ersten Absetzbewegungen ins Rollen kamen. Die Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, war die erste. Sie fordere den Generalsekretär öffentlich zum Rücktritt auf. Es war dann nur noch eine Frage der Zeit, bis die Lawine ins Rollen kam. Kurz danach war Djir-Sarai seinen Job los, mit ihm Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann. Beide übernahmen offiziell Verantwortung: der „General“ für die mißglückte Kommunikation, der Geschäftsführer für die Erstellung des Papiers. Es sei „rein auf Mitarbeiter-Ebene“ besprochen worden, beeilte sich Reymann zu versichern. Doch das glaubt kaum noch jemand. Und plötzlich wird in der FDP das Undenkbare gedacht. Ist Christian Lindner noch der richtige Parteichef? Der gefeuerte Finanzminister hat Verdienste um die Partei, das stellt niemand in Abrede. 2013, als die Liberalen erstmals aus dem Bundestag flogen, verpaßte er der Partei eine Kurskorrektur und impfte ihr Selbstbewußtsein ein. Ihr gelang ein strahlendes Comeback. Gut elf Jahre später wirkt der ewigjunge Lindner gealtert und verbittert.
Doch naheliegende Alternativen gibt es nicht. Neben dem Parteichef ist fast nur Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki bundesweit bekannt. Er gibt in diesen Tagen den „Schatten-General“, beschimpft Kanzler Olaf Scholz als Gernegroß und bezeichnet Robert Habeck als den „unfähigsten Wirtschaftsminister aller Zeiten“. Das alles kann nicht von einer inhaltlichen und personellen Leere in den eigenen Reihen ablenken. „Wir werden jedenfalls in der Breite jetzt keine Personaldebatte über Christian Lindner oder die Parteispitze führen“, erklärt Kubicki und räumt damit indirekt ein, daß zumindest im kleinen Kreis über ein Exit-Szenario an der Parteispitze diskutiert wird.
Noch wagt sich niemand aus der Deckung. „Wenn er die Bundestagswahl verliert, dann fressen ihn die Wölfe, würde man normalerweise sagen. Aber in der FDP muß man sich fragen, wo denn die Wölfe sein sollen“, sagt ein hochrangiger Parteifunktionär am vergangenen Wochenende zur JUNGEN FREIHEIT.
Auf Landesebene geht es unterdessen drunter und drüber. In Mecklenburg-Vorpommern fand Landeschef René Domke erst nach langem Suchen mit Sebastian Adler einen Generalsekretär. Für seine Bereitschaft wollte er ihn mit der Spitzenkandidatur für die Landesliste belohnen. Doch beim Kampf um Platz eins unterlag Adler, der dann keine Lust mehr hatte, auf Landesebene den „General“ zu machen. Domke mußte den Parteitag unterbrechen.
Im Saarland blieb rund ein Viertel der reservierten Stühle leer. „Wir Liberale haben was mit der katholischen Kirche gemeinsam. Wir glauben auch an die Auferstehung“, sagte Landeschef Oliver Luksic, bis vor kurzem Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Viel mehr als das Prinzip Hoffnung bleibt den Liberalen auch nicht. Immerhin: Mit dem ehemaligen Justizminister Marco Buschmann konnte ein neuer Generalsekretär präsentiert werden. Für einen Neuanfang steht aber auch er nicht. Kommentar Seite 2