© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/24 / 06. Dezember 2024

Ländersache: Bayern
Unhaltbare Zustände hinter Gittern?
Paul Leonhard

Wird in bayerischen Gefängnissen gefoltert? Vorkommnisse in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Augsburg-Gablingen legen das nahe. Dort wird aktuell gegen 17 Beschuldigte einschließlich der langjährigen stellvertretenden Leiterin der Einrichtung ermittelt. Die „Tagesschau“ vermutet den „womöglich größten bayerischen Justizskandal der Nachkriegszeit“: Häftlinge sollen teils wochenlang und ohne ausreichende rechtliche Grundlage nackt in Spezialzellen eingesperrt worden sein, habe das ARD-Rechercheteam herausgefunden. Und trotz eines detaillierten Briefs an das Justizministerium des Freistaats, in dem die damals zuständige Anstaltsärztin bereits im Oktober 2023 die von ihr erlebten Zustände als menschenunwürdig geschildert hatte, habe die Staatsanwaltschaft Augsburg nach neun Monaten Vorermittlung den Fall zu den Akten gelegt.

Ende November wurden nun auch ähnliche Vorwürfe aus der JVA Nürnberg bekannt. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ermittelt wegen Körperverletzung und Beleidigung gegen Unbekannt. Die Nürnberger Nachrichten hatten berichtet, daß ein psychisch instabiler Gefangener für einen Zeitraum von zwei Wochen in einen besonders gesicherten Haftraum gesperrt und dort mißhandelt worden sein soll. Er habe nur Brot mit einer Scheibe Wurst zu essen bekommen und sei nicht psychologisch betreut worden.

Im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen die Bediensteten der JVA Gablingen gab es inzwischen mehrere Durchsuchungen; Unterlagen und Datenträger wurden sichergestellt. Auslöser war eine anonyme Anzeige vom 13. August 2024 von JVA-Bediensteten in Zusammenhang mit einem unangekündigten Kontrollbesuch der Anti-Folterkommission, die regelmäßig Haftorte in Deutschland auf Einhaltung menschenrechtlicher Standards überprüft.

Deren Mitglieder mußten ungewöhnlich lange an der Pforte warten. Die Wartezeit der Inspekteure wurde laut Anzeige genutzt, die besonders gesicherten Hafträume mit Unterwäsche, Matratzen und Kissen auszustatten. Am 2. Oktober nahm die Staatsanwaltschaft Augsburg die Ermittlungen auf und beschlagnahmte Beweismittel.

Brisanz hat auch ein Schreiben des Leiters der Abteilung Justizvollzug im Bayerischen Justizministerium, der die unabhängige Kommission schriftlich rügt, weil sie die Kontrolle nicht angemeldet habe. Dies entspreche nicht der „üblichen Praxis“. Besonders irritiert habe ihn, daß das Schreiben eintraf, als das Ministerium „längst über einen anonymen Hinweis zu möglichen Täuschungsversuchen der JVA vor der Inspektion informiert war“, so Kommissionschef Rainer Dopp gegenüber dem ARD-Magazin „Kontraste“.

Grüne und SPD im Münchner Landtag haben inzwischen die Staatsregierung aufgefordert, den Verfassungsausschuß über die Vorfälle und ihre Hintergründe zu informieren. Justizminister Georg Eisenreich (CSU) will erst jetzt von den Vorwürfen erfahren haben und verspricht „rückhaltlose“ und „mit Hochdruck“ laufende Aufklärung: „Straftaten im Justizdienst sind inakzeptabel“, betonte der Staatsminister.