© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/24 / 06. Dezember 2024

Ziemlich dünn und dürftig
Gutachten für den Bundestag: 17 Staatsrechtler sammeln Argumente für ein AfD-Verbot / Das Echo ist eher überschaubar
Jörg Kürschner

Juristen und Politiker halten den medialen Dauerbrenner „AfD-Verbotsverfahren“ unverdrossen bis zum bitteren Ende der durch das Ampel-Aus verkürzten Wahlperiode in der Diskussion. Jetzt haben 17 Jura-Professoren ein Gutachten an den Bundestag geschickt, in dem sie sich für ein AfD-Verbotsverfahren aussprechen. Dazu präsentieren sie eine dürftige Materialsammlung von AfD-Äußerungen, die in ihrer „Gesamtschau“ die Verfassungswidrigkeit der Partei belegen sollen.

Das Gutachten bezieht sich auf die Verbots-Initiative des CDU-Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz. Er hat zusammen mit 112 Abgeordneten aus mehreren Fraktionen bei Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD) den Antrag gestellt, vor dem Bundesverfassungsgericht ein Parteiverbotsverfahren einzuleiten. Nur das höchste deutsche Gericht kann eine Partei verbieten. Das Professoren-Gutachten ist bisher im Bundestag auf ein überschaubares Echo gestoßen. Was mit der arg abgespeckten Tagesordnung bis zur Neuwahl zusammenhängen mag, denn der Bundestag hat seine Arbeit nahezu eingestellt. Die geringe Resonanz dürfte eher im Inhalt des gerade mal 13seitigen Gutachtens (mit 18 Seiten Materialsammlung) begründet sein, das wissenschaftlichen Ansprüchen in keiner Weise genügt.

Ein Beispiel: Für eine angeblich verfassungswidrige Äußerung muß etwa der Berliner AfD-Abgeordnete Karsten Woldeit herhalten, der mit den Worten zitiert wird: „Wir haben ein massives Problem mit aggressiven migrantischen jungen Männern, die auch immer wieder zu Tatmitteln greifen wie Messern“. Zuvor hatte die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik eingeräumt: „Die Gewalt in Berlin ist jung, männlich und hat einen nicht-deutschen Hintergrund“. Noch Fragen?

„Partei redet mit gespaltener Zunge“

Höchst bedenklich erscheint, daß die Professoren nur unzureichend in der Lage sind, zwischen zulässiger Meinungsäußerung und verfassungswidriger Aussage zu unterscheiden. So hatte AfD-Parteichefin Alice Weidel kürzlich geäußert: „Der Verfassungsschutz ist selbst zum Verfassungsfeind geworden und er gehört in dieser Form abgeschafft“. Verfassungswidrig? Ja, denn die AfD „delegitimiert die Demokratie“, „einem solchen Verhalten stehen demokratische Parteien faktisch machtlos gegenüber“, meinen die Rechtsprofessoren allen Ernstes. Machtlos? 

Zur Erinnerung: Es war der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der 2019 als Mitglied der Bundesregierung drohte, Verfassungsfeinden Grundrechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu entziehen. Gemeint waren AfD-Politiker. Der entsprechende Grundrechtsartikel wurde seit 1949 nicht genutzt. 

Der Kern eines Verbotsverfahrens liegt in der Beurteilung, ob die Partei die freiheitliche demokratische Grundordnung beeinträchtigen oder beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik gefährden will. Eine hohe Hürde. 

Dementsprechend fällt die Reaktion der AfD-Bundestagsfraktion auf das Gutachten aus: „Nicht einmal der Gedanke, daß gerade wegen der Naziherrschaft dem Parteienverbot erhebliche Schranken auferlegt wurden, findet Anklang in diesem Gutachten. Stattdessen verwenden die Staatsrechtler ohne rechtliche Hinterfragung den vom Verfassungsschutz erfundenen neuen Phänomenbereich der ‘verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates’, der weder im Grundgesetz noch in der Rechtsprechung seine Grundlage findet“, kritisiert Christian Wirth, Staatsrechtsexperte der Fraktion. 

Die Autoren beziehen sich in ihrer Materialsammlung auch auf das „Geheimtreffen“ in Potsdam. Daß einer der Teilnehmer, der Jurist Ulrich Vosgerau, inzwischen mehrere Gegendarstellungen erstreiten konnte, fällt unter den Tisch. Es heißt lediglich, führende AfD-Funktionäre hätten sich die dort erhobenen Forderungen nach „Remigration“ zu eigen gemacht. Vorsichtig formulieren die Juristen, es sei nicht entscheidend, „ob die Recherche von Correctiv vor dem Bundesverfassungsgericht als Beweismittel Bestand hätte“. Immerhin ist den Autoren aufgefallen, daß ein Verbotsverfahren in der politischen Debatte auf „Skepsis“ stößt. So ist wohl das Interview von Matthias Goldmann, einem der Verfasser, zu erklären, das aufschlußreicher und zugleich entlarvender als das Gutachten ist. 

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsse im Hinblick auf die AfD „weiterentwickelt“ werden, forderte er soeben in der taz. „Die ist immer noch sehr stark an der NSDAP orientiert – und deshalb wahrscheinlich nicht ideal auf die AfD eingestellt“. Denn eine Partei als Ganzes müsse ihrem Ziel nach die freiheitliche demokratische Grundordnung abschaffen. Das sei bei einer Partei wie der AfD mit einer Brückenfunktion schwierig. „Sie verbindet ein eindeutig rechtsradikales, völkisches Milieu mit Wirtschaftsliberalen und mit nationalkonservativen Kräften. So kann die Partei immer mit gespaltener Zunge reden“, beklagt Goldmann. 

Die bisherige Rechtsprechung sehe aber eine Partei als Ganzes. Da lasse sich bei einer Partei wie der AfD der Nachweis, die Verfassungsordnung umzustürzen oder zu beeinträchtigen, nur schwer feststellen. „Das ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht so angekommen“, bedauert Goldmann. Gleichwohl sei der „Aufschlag“, gemeint ist das Gutachten, richtig, „bevor es zu spät ist“.