© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/24 / 06. Dezember 2024

Paradoxes Paradebeispiel
Kranken- und Altenpflege: Während Fachkräfte fehlen, steigt zugleich in dieser Berufsgruppe die Zahl der Arbeitslosen
Sandro Serafin

Der Personalmangel in der Pflege gehört zu den großen ungelösten Problemen Deutschlands: Nach Einschätzung des Statistischen Bundesamtes werden hierzulande im Jahr 2049 zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte fehlen. Aktuell sind laut der Bundesagentur für Arbeit 34.000 Stellen unbesetzt. Die Berufsgruppe der Pfleger gilt damit als „Engpaßberuf“.

Um so erstaunlicher ist, was nun durch eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten René Springer  (AfD) bekannt wurde: Demnach steigt trotz vieler unbesetzter Pflegestellen die Zahl der arbeitslosen Pflegekräfte in Deutschland. Konkret waren laut Arbeitsagentur im Oktober 2024 gut 20.000 Gesundheits- und Krankenpfleger arbeitslos. Im Dezember 2015 waren es noch knapp 11.000 gewesen. Das entspricht einer Steigerung um mehr als 83 Prozent. In der Altenpflege sind noch mehr Pfleger ohne Arbeit: Im Oktober 2024 waren es rund 39.900, verglichen mit 32.400 im Dezember 2022 – eine Steigerung um rund 23 Prozent in nicht einmal zwei Jahren. Sowohl in der Alten- als auch in der Krankenpflege handelt es sich bei einem erheblichen Anteil der gemeldeten Arbeitslosen allerdings nicht um Fachkräfte, sondern um sogenannte Helfer – in der Altenpflege sind es 88 Prozent der Arbeitslosen.

Gleichzeitig legt aber auch die Gesamtzahl derer zu, die in der Pflege beschäftigt sind: Ende 2015 gingen 1,02 Millionen Personen einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit in der Krankenpflege nach; aktuell sind es 1,22 Millionen. In der Altenpflege ist die Zahl von 532.200 Ende 2015 auf nunmehr 636.100 gestiegen.

Gleichwohl stellt sich die Frage: Warum wird zum einen händeringend nach Pflegefachkräften gesucht, während zum anderen offenbar eine zunehmende Zahl von Pflegern arbeitslos ist? Was auffällt: Vor allem bei den ausländischen Pflegekräften in Deutschland ist ein starker zahlenmäßiger Anstieg von Arbeitslosen festzustellen, von etwa 2.000 im Dezember 2015 im Bereich der Krankenpfleger auf 9.000 im Oktober 2024. Das entspricht einer Steigerung um den Faktor 4,5. Unter Deutschen stieg die Zahl im selben Zeitraum um vergleichsweise geringe 23,6 Prozent.

Angeworben wird in Mexiko, Indien und auf den Philippinen

In der Altenpflege ist eine ähnliche Tendenz zu beobachten: Hier nahm die Zahl der deutschen arbeitslosen Pfleger seit 2015 sogar ab, von damals rund 28.100 Personen auf nunmehr 25.200. Die Zahl der ausländischen arbeitslosen Pfleger stieg hingegen erheblich – von 5.700 auf mittlerweile 14.700, eine Zunahme um 156 Prozent.

Diese Steigerung läßt sich mit der starken Zuwanderung im entsprechenden Zeitraum erklären. Denn neben der Zahl der ausländischen Pfleger ohne Arbeit ist auch die Zahl der in der Pflege beschäftigten Ausländer stark gestiegen: von 58.300 Ende 2015 auf nunmehr 176.300 (Krankenpflege), beziehungsweise von 48.800 auf 126.800 (Altenpflege).

Deutschland hat in den vergangenen Jahren immer wieder Projekte zur Anwerbung ausländischer Pflegekräfte ins Leben gerufen. Dazu zählen bilaterale Abkommen mit Drittstaaten wie Mexiko. Im Rahmen des „Triple-Win-Programm“ kooperieren die Bundesagentur für Arbeit und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) außerdem, um Pflegekräfte anzuwerben, etwa aus Tunesien, den Philippinen und Indien.

Trotzdem läßt sich fragen, warum nicht sämtliche arbeitslosen Pflegekräfte, insbesondere Ausländer, mühelos in die offenen Pflegestellen vermittelt werden können. Laut Arbeitsagentur blieben offene Stellen in der Krankenpflege zuletzt immerhin durchschnittlich 269 Tage vakant. In der Altenpflege sind es sogar 296 Tage. Beides ist deutlich länger als noch vor zehn Jahren (136 respektive 152 Tage).

René Springer, der für die AfD im Sozialausschuß des Bundestages sitzt, wirft der Bundesregierung eine „politische Fehlsteuerung“ vor: Von einer „nachhaltigen Strategie“ könne keine Rede sein. Vielmehr werde das Beschäftigungswachstum in der Pflege mit einer wachsenden Zahl ausländischer Bürgergeldempfänger erkauft.

Springer führt aus, daß zugleich mehr als ein Drittel der zu Pflegern ausgebildeten Deutschen nicht in dieser Berufsgruppe tätig ist, wie die Zahlen der Arbeitsagentur zeigen: „Statt also in fremden Arbeitsmärkten zu wildern, muß endlich das vorhandene Potential im eigenen Land aktiviert werden.“

Die Bundesagentur für Arbeit verwies auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT darauf, daß die Arbeitslosigkeit von Pflegekräften im Vergleich zu anderen Berufsgruppen immer noch „sehr niedrig“ sei. Als Grund für die gestiegene Zahl an arbeitslosen ausländischen Pflegekräften führte sie an, daß neu Eingewanderte teils durch Spracherwerb und notwendige Qualifizierungen „nicht sofort eine Beschäftigung aufnehmen konnten“. Bei deutschen Pflegern wiederum habe es einen „Sondereffekt durch die verpflichtenden Impfungen im Gesundheitssektor gegeben“. Dies sei aber nur kurzfristig relevant.