© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/24 / 06. Dezember 2024

„Mut ist, nicht zurückzuweichen“
Interview: Hamed Abdel-Samad hat ein Buch über die Freiheit geschrieben: Seit über zehn Jahren lebt der Autor aus Angst vor Islamisten versteckt. Nun appelliert er an Europa, sich seiner freiheitlichen Tradition zu besinnen – und sie auch in der Migrationspolitik durchzusetzen
Moritz Schwarz

Herr Abdel-Samad, was Sie in Ihrem neuen Buch beschreiben, ist ein Albtraum! 

Hamed Abdel-Samad: In der Tat ist es unvorstellbar belastend, seit nunmehr elf Jahren unter dieser Bedrohung zu leben. 

Allein die ständige Angst, Opfer eines Angriffs, vielleicht gar eines Mordanschlags zu werden, hält doch kein Mensch auf die Dauer aus. Wie gelingt Ihnen das?  

Abdel-Samad: Es ist sehr schwer – aber indem ich mich weigere, es als Normalzustand zu akzeptieren. Denn es darf nicht normal sein, daß man mitten in Europa um sein Leben fürchten muß, weil man von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch macht! 

Was Sie im neuen Buch schildern, bedeutet im Grunde „kein Leben“ mehr zu haben: Sie wohnen versteckt, können nur unter Polizeischutz ausgehen. Freiheit, Spontanität, Unbeschwertheit und Privatheit gibt es für Sie außerhalb Ihrer Wohnung nicht. Einkaufen, Ausgehen, selbst Spazierengehen – alles ist nur mit Polizeieskorte möglich, viele Orte und öffentliche Veranstaltungen verbieten sich ganz. Man denkt an den „Graf von Monte Christo“, nur daß Ihr Kerker eine Art mobiler Käfig ist, der Sie überall hinbegleitet, Sie aber genauso vom Leben und der Welt trennt. 

Abdel-Samad: Ja, man muß wirklich versuchen, nicht den Verstand zu verlieren und lernen, trotzdem zu leben. Und doch ist es schrecklich – es ist schrecklich, etwa sechs Leibwächter zu brauchen, nur um einen Laib Brot zu kaufen! Und es ist eine Schande, daß sich ein Schriftsteller in Deutschland verstecken und eine schußsichere Weste tragen muß, um einen Vortrag zu halten, während sich Islamisten und arabische Clans frei und unbekümmert bewegen. Ich versuche all das zu verkraften, indem ich mir bewußtmache, daß dem Verlust meiner äußeren Freiheit der Gewinn meiner inneren Freiheit gegenübersteht. 

Das ist, was Sie mit „Der Preis der Freiheit“ – so der Titel Ihres Buches – meinen?

Abdel-Samad: Ja, denn ich wäre der Versuchung abzuschwören, um mir mein altes Leben zu erkaufen, beinahe erlegen. Doch stattdessen bin ich geistig frei geblieben und schreibe weiterhin das, was die nicht veröffentlicht wissen wollen, die mich zum Schweigen bringen möchten. Dieses Buch ist meine Form des Widerstands, denn es beschreibt nicht nur meine Erfahrung mit der Freiheit in Deutschland und Ägypten, sondern es ist auch die Summe meines Denkens, mein Manifest! Dabei schreibe ich nicht, um unfreie Menschen frei zu machen – diese Idee habe ich längst aufgegeben –, sondern damit freie Geister sich nicht alleine fühlen.

Ihre Ehe ist an all dem zerbrochen, Ihr Kinderwunsch gescheitert. Ist die innere Freiheit das wert? 

Abdel-Samad: Verstehen Sie, daß die Konsequenz wäre, meine Würde zu verlieren, meine Authentizität als Mensch und als Schriftsteller? Und daß Islamisten und Clans dann ihre Ideen und ihre Macht unwidersprochen ausbreiten? Es ist verrückt, aber ich kann mich diesem Wahnsinn nicht beugen, ich kann nicht aufhören, darüber und über die Ursachen dafür zu schreiben und stumm und depressiv werden. Sonst hätten jene, die mir diese Hölle bereiten, gewonnen – denn sie warten nur darauf, daß man aufgibt! Und dann knöpfen sie sich den nächsten vor. Und sind alle entschiedenen Kritiker zum Schweigen gebracht, kommen die milderen Kritiker an die Reihe und nach ihnen jene, die sie zwar nicht kritisieren, sich aber nicht an ihre Regeln halten und so weiter. Viele Menschen glauben, Mut sei keine Angst zu haben. Für mich aber heißt Mut, trotz Angst nicht zurückzuweichen. 

Als Sie vor elf Jahren diese Entscheidung getroffen haben, war Ihnen da klar, daß es so lange dauern würde? Oder glaubten Sie, „nur“ etwas durchhalten zu müssen, bis die Gesellschaft aufwacht?

Abdel-Samad: Tatsächlich dachte ich, in vier, fünf Jahren würde man schon merken, daß die Islamdebatte schiefläuft. Doch nichts da! Gleich ob Merkel oder die Ampel: es bleibt bei einer Laissez-faire-Politik, die alle Warnsignale ignoriert, nur mit kosmetischen Korrekturen reagiert, glaubt, Probleme mit immer mehr Geld zu lösen und auf Beschwichtigung durch Entgegenkommen setzt. Alarmierend war für mich, als Salman Rushdie 2022 in New York von einem Messerattentäter in Hals, Gesicht und Oberkörper gestochen und notoperiert wurde, er beinahe das Leben, dafür aber ein Auge verlor – und das 33 Jahre nach der Fatwa gegen ihn! Da wurde mir klar, was für ein Langzeitgedächtnis Islamisten haben und daß für sie mein „Verbrechen“ nicht verjährt.“

2013 hielten Sie in Kairo einen islamkritischen Vortrag, in dem Sie unter anderem die Moslembruderschaft des „islamischen Faschismus“ ziehen. Wenn Ihr „Verbrechen nicht verjährt“, heißt das, Ihnen ist klar, daß Sie bis zum Lebensende so werden leben müssen? 

Abdel-Samad: Ich hoffe, nicht. Aber ich muß einräumen, daß ich im Laufe der Jahre mehrfach ans Auswandern gedacht habe, denn zum Beispiel in den USA benötige ich keinen Schutz.  

Warum, weil man Sie dort nicht erkennt?

Abdel-Samad: Auch, aber nicht nur, denn das gilt zum Beispiel auch für Dubai. 

Wie bitte? Dubai ist doch ein islamisches Emirat.

Abdel-Samad: Und dort bin ich so bekannt, daß mich Menschen sogar nach Hause einladen und junge Moslems Selfies mit mir machen wollen. 

Wie das?

Abdel-Samad: Der Grund ist hamed.tv, mein arabischsprachiger Youtube-Kanal zum Thema Islam, der für viele inspirierend ist.

Aber warum werden Sie dort nicht auch bedroht?

Hamed-Samad: Weil Dubai zwar keine Demokratie, aber ein Rechtsstaat ist. Migranten setzt man dort klare Grenzen: Sie sind herzlich willkommen, wenn Sie arbeiten wollen, wer sich aber nicht an die Regeln hält, fliegt raus. Und die Politisierung des Islam wird konsequent unterbunden! In Deutschland dagegen fehlt es an Konsequenz. Obwohl die Politiker – und ich habe mit vielen gesprochen – genau wissen, was los ist. Aber sie wollen niemanden verärgern, da viele Moslems heute Staatsbürger und damit Wähler sind. Doch ist es nicht nur das, es sind auch die Signale, die der deutsche Staat sendet – nicht nur an Zuwanderer, an die ganze Bevölkerung –, die vermitteln, wie zahnlos die Demokratie geworden ist und daß die Politik keine Konzepte mehr hat.

Zum Beispiel? 

Abdel-Samad: Etwa machen wir Einwanderern keine klaren Vorgaben, was hier zulässig ist und was nicht. Es gibt kein anderes Einwanderungsland, in dem Neuankömmlinge nach einem halben Jahr durch massenhafte sexuelle Belästigung auffallen, wie es in der Silvesternacht in Köln der Fall war! Normalerweise sind Zuwanderer zurückhaltend, wenn nicht schüchtern, wollen nicht auffallen und bei der Gastbevölkerung Anerkennung finden. Doch statt von ihnen etwas zu verlangen, vermitteln wir ihnen, sie könnten von uns etwas verlangen. Früher zeigten Migranten, was sie können, um so integriert zu werden, heute zeigen sie ihre Wunden und Traumata und wollen dafür Entschädigung. Das aber ist kein guter Start für Integration. Davon unbenommen ist natürlich, daß sich auch viele Migranten aus eigener Kraft integrieren, weil sie den Willen dazu haben, da sie erkennen: Hier gibt man mir eine Chance, Teil dieser Gesellschaft zu werden, worum mich in der Heimat Millionen beneiden, und die nehme ich wahr! Doch stehen ihnen die vielen gegenüber, die ganz andere Schlüsse ziehen: Warum soll ich mich anstrengen, diese schwere Sprache lernen, arbeiten, mich integrieren, wenn ich hier auch so Geld bekomme? Und das ist erst der Anfang, denn es führt zur Ausbildung einer Anspruchshaltung und einem Gefühl der Unzufriedenheit, wie es typisch ist, wenn der Mensch nicht durch eigene Leistung Erfolg und Anerkennung gewinnt, sondern sie geschenkt bekommt. Und vor dem Irrglauben, Anspruchsdenken und Unzufriedenheit mit Integrationskursen zu beheben, kann ich ebenso nur warnen. In den schlimmsten Fällen endet all das in Kriminalität oder Radikalismus.

Käme es aber bei entschlossenerem Auftreten des Staates nicht zu den üblichen Vorwürfen: „Rassismus“, „Islamophobie“, „Haß und Hetze“ etc., weshalb auch kaum ein Politiker dazu bereit ist? Selbst Sie klagen im Buch, es herrsche hierzulande ein „Feindbild Asylbewerber“.

Abdel-Samad: Das wurde in der Tat etwa von Bild-Zeitung und AfD geschaffen. Dabei ist nicht der Asylbewerber das Problem, sondern Staat und Gesellschaft, die, wie gesagt, falsche Signale geben. Statt klipp und klar unsere Bedingungen zu formulieren, wird er als erstes durch linke Organisationen belehrt, was er alles zu beanspruchen hat. Dann entsteht natürlich jene Haltung, die so problematisch ist und die sich von der der Migranten in Dubai unterscheidet, die klare Vorgaben bekommen. 

Unter anderem beklagen Sie im Buch, als junger Student nach den Anschlägen vom 11. September 2001 im Zuge einer Rasterfahndung von der Polizei verhört worden zu sein. Ist das kein Widerspruch?

Abdel-Samad: Nein, denn man lud mich wegen meines arabischen Namens vor und weil ich aus Ägypten kam. Doch habe ich damals hier studiert, meinen Unterhalt selbst verdient und keine Straftat verübt. Somit gab es auch keine Grundlage, mich so zu behandeln, sondern es war Ausdruck eines Generalverdachts. Anders ist es bei Leuten, die tatsächlich straffällig werden oder sich weigern, zu arbeiten. Irgendwann muß man Inventur machen und jene, die sich bemüht und integriert haben, mit Anerkennung belohnen, den anderen aber sagen: So geht es nicht, bitte sucht euch ein anderes Land! Übrigens sollten wir diese Konsequenz auch üben, um integrationswillige Migranten zu schützen. Denn die, die sich nicht an die Regeln halten, erzeugen mit der Zeit Ablehnung, die sich pauschal gegen alle Migranten richten kann. Das gleiche gilt für Islamisten: wer sie schont, erweist den anständigen Muslimen einen Bärendienst, da ihnen droht, gesellschaftlich für die Umtriebe der Radikalen in Mithaftung genommen zu werden. Viele Einwanderer bringen ein positives Potential mit, weil in aller Regel ein Mensch der auswandert, etwas erreichen will. Wir sind es aber, die dieses Potential oft wieder verschütten, durch die Art, wie wir mit den Menschen umgehen. So wie man auch das Potential eines Schülers nicht weckt, wenn man ihm die guten Noten schenkt.  

Entsprechen Ihre Forderungen letztlich nicht der Einwanderungspolitik der AfD? Der Sie allerdings eben ein „Feindbild Asylbewerber“ vorgeworfen haben.

Abdel-Samad: Das Parteiprogramm ist das eine, etwas anderes sind die Äußerungen von AfD-Politikern, die oft nicht vom Pragmatismus des Programms geprägt sind, sondern von Wut, Angst und Haß. Also Emotionen, die beide Seiten des politischen Spektrums nutzen, um Wähler zu gewinnen, was sehr gefährlich ist! Die AfD legt durchaus den Finger in die richtige Wunde, nur zweifle ich, daß sie es tut, um diese zu heilen. Wenn aber die anderen Parteien ihr dies weiter überlassen, sind sie selbst schuld, wenn die AfD trotz der Dämonisierung durch Politik und Medien immer mehr Zulauf gewinnt. Ergebnis ist eine unversöhnliche Stimmung, die der in der Weimarer Republik immer ähnlicher wird, als man sich gegenseitig das politische Existenzrecht absprach und sich die müde Mitte schließlich 1933 der siegreichen Seite ergab.

Was meinen Sie mit „Weimar“ konkret?

Abdel-Samad: Die unterschiedlichen politischen Konzepte werden als Kulturkampf ausgetragen, der Debattenraum wird immer enger, das Funktionsprinzip der Demokratie zunehmend außer Kraft gesetzt. Dieses besteht darin, daß die verschiedenen Konzepte legitim sind und fair im Kampf um die beste Lösung konkurrieren. So löst eine Demokratie Probleme! Wird dieser Mechanismus aber lahmgelegt – wie und warum, dem widme ich mich ausführlich im Buch –, werden die Probleme natürlich nicht gelöst. Folge ist wachsender Verdruß der Bürger, der sich schließlich gegen die Demokratie selbst richtet, die als unfähig erscheint. Und wie gefährlich das ist, brauche ich wohl nicht zu erklären.

Ist es aber zum Beispiel mit einer anderen Integra­tionspolitik schon getan? Brauchen wir nicht auch eine drastische Reduzierung der Einwanderung, zum Teil auch eine Remigration, um das Problem zu lösen?

Abdel-Samad: Für alle, die keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, sich nicht integrieren wollen und sogar straffällig werden, ist die Abschiebung die logische Konsequenz. Was künftige Migranten angeht, benötigen wir einen Filter, der sowohl den Zuzug mindert als auch nach unseren Bedürfnissen steuert – sowie ihn „bunt“ macht, also die Einwanderer nicht nur aus einem Kulturkreis holt. Ferner ist die Trennung von Einwanderung und Asyl nötig. Und angesichts der Lage in der Welt ein Nachdenken darüber, ob wir wirklich jeden aufnehmen können oder ob wir damit nicht unsere Möglichkeiten überlasten. Übrigens ist längst nicht jeder, der flieht, auf uns angewiesen. Was sich daran zeigt, daß viele, die zu uns kommen, sichere Drittstaaten passieren, ja zum Teil schon jahrelang dort gelebt haben, bevor Frau Merkels Politik sie ermunterte, hierher aufzubrechen. Tatsächlich haben wir mit ihrer Integration und ihrem Familiennachzug bereits genug zu tun. 

Allerdings warnen Sie davor, zu glauben, Einwanderung und Islam seien unsere einzigen Probleme. 

Abdel-Samad: Ja, Europa ist in einer tiefgreifenden Krise, deren ganzes Panorama ich im Buch entfalte, die aber im Kern darin besteht, daß es nicht mehr an seine eigenen Werte glaubt – an seine Kultur der Freiheit, der Neugier und der humanen Vernunft. Und erst das macht all die Probleme, von der Migration, über die Spaltung der Gesellschaft, bis hin zu einem immer übergriffigeren Staat oder der immer mächtigeren KI, zu wirklichen Gefahren.



Hamed Abdel-Samad ist dank seiner zahlreichen Bücher und Medienauftritte Deutschlands bekanntester Islamkritiker. Geboren 1972 in Ägypten, wandte er sich zunächst den Moslembrüdern zu. Nach seiner Abkehr wanderte er 1995 nach Deutschland aus. Erste Beachtung erlangte er mit den Titeln „Mein Abschied vom Himmel. Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland“ (2009) und „Der Untergang der islamischen Welt“ (2010), später mit „Der islamische Faschismus“ (2014) und „Mohamed. Eine Abrechnung“ (2015). Einige seiner Bücher wurden Bestseller, darunter „Aus Liebe zu Deutschland“ (2020) „Schlacht der Identitäten“ (2021) und „Der Islam. Eine kritische Geschichte“ (2023). Nun ist sein neuer Band erschienen: „Der Preis der Freiheit. Eine Warnung an den Westen“  www.hamed.tv