Deutschrap gilt als migrantisch geprägt, vor allem Araber, Türken, Kurden, Albaner und Afghanen bestimmen die Szene – samt Slang, Kleidung und oftmals islamisch angehauchten Bräuchen. Ganz Deutschrap? Nein, in den mitteldeutschen Bundesländern hat sich eine eigene Form der Hip-Hop-Kultur etabliert, die man als „Ostrap“ bezeichnen könnte.
Zwar gibt es auch hier Migranten wie den Kubaner Omik K. aus Leipzig, aber Deutsche dominieren das „Game“ und machen keinen Hehl aus ihrer Verbundenheit zur Heimat, zu Deutschland und insbesondere zum Osten. „Ostdeutschland! Ostdeutschland!“, schallte es bereits 2007 im Song „Ich liebe mein Land“ der Rapper Dissziplin und Ossi Ostler. In ihren Texten, „in ihrem Sound for the East“, behandelten die Cottbuser harte Maloche, weite Pendlerwege, Abwanderung, Arbeitslosigkeit und verwahrloste Plattenbauten – aber auch Zusammenhalt und Unbeugsamkeit.
Mit der von Mainstreammedien und -politik vorangetriebenen Diffamierung von „Dunkeldeutschland“ und „Kaltland“ feiert dieser Stolz auf die ostdeutsche Identität ein massentaugliches Comeback. Wenn der in Frankfurt/Oder geborene Rapper Finch auftritt, skandiert die Menge begeistert und selbstbewußt „Ost-, Ost-, Ostdeutschland!“ In dem Liedtext zu „Ostdeutschland“ (2018) heißt es: „Guten Morgen Deutschland, ja es ist an der Zeit, habt es jahrelang probiert, doch ihr kriegt uns nicht klein. Im ganzen Land gehaßt, von den Medien verpönt. Kaum Geld in der Tasche, doch das Leben ist schön. (…) Ja, man sagt, was man fühlt, denn man weiß, wo man steht. Es zählt nur die Gemeinschaft, die Loyalität.“
Deutsch, stolz und mit engen Verbindungen zum Fußball
Schon 2006 brachte Dissziplin einen Track namens „Ostdeutschland“ heraus und feiert darin das etwas andere, stabilere Deutschland, das auch ein Gegenmodell zum damaligen Mainstream-Deutschrap sein wollte: „Siehst du das? Hier gibt es keine XXL-Shirts, keine schrägen Basecaps. Kids saufen, bis es hell wird. Ich lieb das, Junge, keiner will hier Hip-Hop sein. Jeden zweiten findest du im Kickbox-Verein. Du siehst die Typen, die sich Adler auf die Waden hacken, du siehst hier Prolls, die den ganzen Tag auf Harten machen. Hier siehst du nicht viele Schwarze und Kanacken, dafür breit gepumpte Schränke, die trainieren in Baracken.“
Kurz versuchte Dissziplin mit seinem Rap an Größen wie das Berliner Aggro-Label anzudocken, und Songs wie „Ich bin Deutschland“ (2009)erhielten eine größere Aufmerksamkeit. Doch provozierende Zeilen über „ein gebücktes Volk“ und gleichzeitig „schwarz-rot-gold wehende Flaggen im Wind“ waren für viele, die lediglich aus wirtschaftlichem Kalkül den ostdeutschen Musikmarkt mit einheimischen Interpreten abdecken wollten, zu politisch.
Hinzu kamen die üblichen „Nazi!“-Vorwürfe, obwohl Dissziplin klarmachte: „Ich scheiße auf das Nazi-Pack!“ Ein Schicksal, das auch Joe Rilla aus Berlin-Marzahn ereilte, der 2007 ankündigte: „Der Osten rollt!“ Doch Ostrap konnte sich in den nuller Jahren in der Breite nicht durchsetzen. Und auch Finch mußte erst seinen früheren Beinamen „Asozial“ ablegen, sich chronisch erklären und gesellschaftlich brave Tracks gemeinsam mit dem linken Rapper Tarek K.I.Z. machen, bis er in der Öffentlichkeit halbwegs akzeptiert wurde – wo sich andere gefälligere, kommerziell erfolgreiche Klang-Künstler wie der Rostocker Marteria oder der Chemnitzer Trettmann jedoch mehr an Pop heranrappen.
Allerdings hinterließ Ostrap in der Nische und von Rügen bis zum Thüringer Wald deutliche Spuren. Der gebürtige Bautzener und seit langem in Dresden wohnende Musiker Pie Kei feiert dieses Jahr „20 Jahre Rap aus dem Osten“ mit dem gleichnamigen Album. „Der Rücken gerade und die Hände sind rauh. Die Arme zugescheppert und das Kreuz wie ein V. Deine Jungs sind Gangster, meine Jungs sind auf dem Bau. Das ist der Osten mein Freund, hier ist der Ton meistens rauh“, knallt es einem in „Das ist der Osten“ aus dem Jahr 2019 entgegen. Der bekennende Anhänger von Dynamo Dresden spielt immer wieder mit handfesten Querverbindungen zum Fußball. Zwar gibt es auch im Westen Überschneidungen mit der Ultra- und Hooligan-Subkultur wie die Rapper Twin oder Bosca aus Frankfurt am Main zeigen, doch im Ostrap gehören Fußballvereine neben viel Lokalpatriotismus zur DNS (was auch betont rechte Rapper wie Bloody32 oder Prototyp NDS nutzen).
Hier hat der Ostrap mehr mit dem polnischen und tschechischen Hip-Hop gemein als mit dem westdeutschen und westeuropäischen Ausländer-Gangsterrap. Anlehnmöglichkeiten an Osteuropa, die der Ostberliner Rapper und Union-Fan Came nutzte und mit slawischen Sprechgesangsmusikern zusammenarbeitete.
Fotos: Der gebürtige Bautzener und bekennende Dynamo-Dresden-Fan Pie Kei (o.) und der Cottbuser Rapper Dissziplin (l.) haben Maßstäbe im „Ostrap“ gesetzt: Texte über den Alltag, verwahrloste Plattenbauten, aber eben auch über Heimat, Zusammenhalt und Unbeugsamkeit