© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/24 / 29. November 2024

Unbezahlbare Luftschlösser
Wasserstoff zur CO2-neutralen Stahlproduktion zu verwenden ist möglich, aber viel zu teuer / Mehr Produktion im Ausland
Rüdiger Stobbe / Jörg Fischer

Wasserstoff (H₂) ist in Verbindung mit Luft hochexplosiv. Das zeigte sich 2011 in Fukushima, als dort drei Reaktoren zerstört wurden. Die Kernschmelze selbst fand eher „im stillen“ statt. Geringere Auswirkungen hatte im August 2024 die „H₂-Verpuffung“ in Leuna: Folge ist ein andauernder Engpaß bei 36 von 82 H₂-Tankstellen. Etliche Besitzer von H₂-Fahrzeugen sind betroffen. H₂ ist viel schwieriger zu handhaben als Benzin, sehr flüchtig und durchdringt auf Dauer jedes Behältnis. Eine längere Lagerung ist immer mit Verlusten verbunden, was zum Beispiel die H₂-Speicherung von überschüssigem Sommer-Photovoltaikstrom für den Winter unmöglich macht. Gleichwohl ist H₂ der einzige praktikable Massenspeicher für Strom.

Wenn H₂ aus regenerativ hergestelltem Strom per Elektrolyse produziert wird, handelt es sich um „grünen Wasserstoff“. Dieser könnte zum Teil die etwa 70 Terawattstunden (TWh) an „grauem Wasserstoff“ aus Erdgas ersetzen, welche seit Jahr und Tag von der deutschen Industrie benötigt werden. Ein von der EU und der Bundesregierung angestoßenes und hochsubventioniertes Leuchtturmprojekt ist die Herstellung von „Grünem Stahl“. Dieser kann durch das Direktreduktionsverfahren mit H₂ als Energieträger hergestellt werden. Statt flüssigem Eisen (Fe) entsteht Eisenschwamm, der mittels Elektrolichtbogen zu Rohstahl wird.

Dieser Rohstahl kann dann weiter veredelt werden. Wichtig ist, daß die für die Stahlerzeugung benötigte elektrische Energie aus Windkraft- und PV-Anlagen gewonnen wird. Der grüne Strom wird mittels Power-Gas-Power für den energieintensiven Aufbau des Elektrolichtbogens aufbereitet. Für den Betrieb einer Direktreduktionslange kann statt des H₂ auch Erdgas (CH4) als Energieträger verwendet werden. Das Verhältnis von H₂ zu CH4 ist beliebig. Der Strom für den Elektrolichtbogen kann ebenfalls konventionell-fossil erzeugt werden.

So kann für eine Übergangszeit fossile Energie zur Stahlherstellung dann eingesetzt werden, wenn kein oder nicht genügend grüner Strom/grüner Wasserstoff zur Verfügung stehen. Die Produktion von grünem Stahl hängt somit entscheidend davon ab, wieviel grüner Strom zwecks H₂-Produktion vorhanden ist. Dabei steht der regenerativ erzeugte Strom für die Stahlproduktion immer in Konkurrenz zur Verwendung im allgemeinen Stromnetz. Dort könnten etwa 90 Prozent des regenerativ erzeugten Stroms den Grünstromanteil erhöhen. Der Rest sind Übertragungsverluste. Wird der „Stahl-Grünstrom“ nicht ins Netz eingespeist, muß diese „Stromlücke“ konventionell-fossil und/oder durch Stromimporte geschlossen werden.

Die unterschätzten Tücken der regenerativen Stromerzeugung

Allerdings hat der Brennstoffzellenexperte Ulf Bossel schon 2010 dargelegt, wie sich die H₂-Transformation auf die Energieverteilung auswirkt. Unter Berücksichtigung der Power-Gas-Power-Transformation gilt die Faustformel: 100 Prozent grüner Strom ergeben 50 Prozent grünen Wasserstoff, der für die Direktreduktionsanlage verwendet werden kann. Wird aus diesem H₂ per Brennstoffzelle wieder grüner Strom hergestellt, halbiert sich der Energiegehalt nochmals. Aus 100 Prozent Grünstrom werden 25 Prozent. Dieser kann dann für den Elektrolichtbogen genutzt werden. Die Menge des Wind- und PV-Stroms fällt je nach Jahres- und Tageszeit sowie der Wetterlage unterschiedlich aus. Zudem wurden Dutzende konventionelle Kraftwerke stillgelegt. Seit 2023 wird mehr Strom im- als exportiert. Bei Sonnenschein kommt es zur PV-Stromübererzeugung, die zu Negativpreisen führt. Nach Sonnenuntergang werden wie bei einer Dunkelflaute Stromimporte nötig. Diese schwankende Stromerzeugung verhindert eine kalkulierbare Produktionskontinuität. Aussagen wie „die Hälfte des Stroms wurde 2023 erneuerbar hergestellt“ sind irreführend: Mal sind es zehn, mal 120 Prozent des benötigten Stroms. Im Windkraftbereich müssen vier Anlagen installiert werden, um 100 Prozent der möglichen Strommenge zu ernten: der Vollastanteil liegt bei 25 Prozent. Bei PV-Anlagen sind es zehn Prozent.

Die Erzeugung von regenerativem Strom ist aufwendig und teuer. Er sollte nicht für Prestigeprojekte verwendet werden, sondern den „grünen“ Anteil im allgemeinen Stromnetz erhöhen. Nur überschüssiger Grünstrom sollte gespeichert und anderweitig verwendet werden. Alles andere ist Energieverschwendung. Dennoch soll bei Saarstahl, Salzgitter & Co. die Erzeugung von „Grünem Stahl“ mit Milliarden von den Steuerzahlern und Aktionären erzwungen werden. Thyssenkrupp (TK) und VW vereinbarten im Oktober die Belieferung mit „CO₂-reduziertem Stahl“ aus einer Direktreduktionsanlage in Duisburg, die 2027 in Betrieb gehen soll. Zunächst dient fossiles Erdgas als Reduktionsmittel, später „soll sukzessive auf Wasserstoff umgestellt werden“, verspricht TK.

All das ist extrem teuer. Deswegen werden dort künftig nur noch 8,7 statt 11,5 Millionen Tonnen Stahl produziert. Das teilte der TK-Konzern am Montag mit. Der Standort Kreuztal-Eichen (die früheren Hüttenwerke Siegerland) wird geschlossen. Die Beteiligung an den Hüttenwerken Krupp-Mannesmann (HKM) soll veräußert werden – wenn sich ein Käufer findet. Bis 2030 werden so 5.000 Arbeitsplätze wegfallen. Für 6.000 weitere Stellen besteht die trügerische Hoffnung, daß externe Dienstleister oder ein HKM-Käufer die TK-Fachkräfte übernimmt. Zwischen 2008 und 2023 sank die deutsche Stahlproduktion von 45,8 auf 35,4 Millionen Tonnen – die Grün-Stahl-Doktrin wird noch mehr Produktion ins Ausland vergraulen.

thyssenkrupp-steel.com/de/unternehmen/nachhaltigkeit/klimastrategie/klimastrategie.html

leibniz-institut.de/archiv/bossel_16_12_10.pdf

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