Kapitulieren wird er nicht, aber ausbrechen. Am 10. Februar 1945 hat sich SS-Obergruppenführer Karl Pfeffer-Wildenbruch, Kommandierender General des IX. SS-Gebirgsarmeekorps und Kommandant der Festung Budapest, zu diesem Entschluß durchgerungen. Weiterer Widerstand erscheint ihm nicht möglich. Die sowjetischen Angriffsspitzen fressen sich stündlich immer weiter vor, Haus um Haus muß aufgegeben werden.
Um keine Stadt – abgesehen von Stalingrad – wird im Zweiten Weltkrieg härter gerungen als um die ungarische Hauptstadt – nicht um Königsberg, nicht um Wien, nicht um Breslau und selbst nicht um die Reichshauptstadt Berlin. 102 Kampftage zählen die Militärhistoriker. Bereits Ende Oktober 1944 setzen die Sowjets zum Sturm an. Rodion Jakowlewitsch Malinowski, Marschall der Sowjet-union und Oberbefehlshaber der 2. Ukrainischen Front, erhält von Stalin den Befehl, „wegen politischer Überlegungen Budapest schnellstens zu erobern“. Die fünf Tage Aufschub, um die er bittet, bekommt er nicht. Das rächt sich. Ungarische Fallschirmjäger stoppen den übereilten Angriff. Zwar können die Sowjets die Stadt, in der sich 80.000 Soldaten und 800.000 Zivilisten aufhalten, zu zwei Dritteln einschließen, aber dann stabilisiert sich die Front. Ausreichend Zeit für das Oberkommando der Heersgruppe Süd sowie den eingeschlossenen Pfeffer-Wildenbruch und seinen Stab, die Lage zu analysieren.
Kopfzerbrechen bereitet vor allem die Frage, wie verläßlich die ungarische Armee nach dem mißglückten Waffenstillstandsversuch des Reichsverwesers Miklós Horthy von Nagybánya noch ist. Ein Fall Budapests würde rasch zum Verlust der westungarischen und der Zistersdorfer Ölquellen führen sowie den Wiener Raum öffnen, fürchtet man in Berlin, und versucht, Truppen nach Ungarn umzulenken. Drei deutsche Angriffe sollen die Donaustadt entsetzen, aber alle scheitern.„Beide Kriegsparteien zeigten hohe Fähigkeiten beim Manövrieren von Streitkräften, operativen Reserven und mobilen Gruppen, beide konnten ihre ultimativen Ziele nicht erreichen“, schätzen russische Quellen ein: „Den Deutschen gelang es nicht, die eingekesselte Gruppe zu befreien und ihre Verteidigung entlang der Donau wiederherzustellen. Feindliche Angriffe an der Außenfront zwangen Marschall Tolbuchin an der Innenfront der Einkesselung, in die Defensive zu gehen.“
Schließlich dringen die Russen mit dem am 6. Dezember im Nordosten begonnenen Großangriff schnell bis Budapest vor. Südwestlich bricht die Front am 22. Dezember zusammen. Panzereinheiten erreichen die Vororte von Ofen (Buda). Diesmal selbst überrascht von ihren Erfolgen, stoßen die Russen aber nicht weiter vor. Pfeffer-Wildenbruch nutzt die Chance, eine stützpunktartige Verteidigung zu organisieren. Mehr als ein hinhaltender Widerstand ist aber nicht mehr möglich. Verpflegung und Munition sind knapp, in den unterirdischen Lazaretten liegen Tausende Verwundete. Nachschub kommt nur durch Lastenflieger und Versorgungsbomben.
Eines der hoffnungslosesten Unternehmen der Militärgeschichte
Heiligabend ist der Ring um Budapest geschlossen. Hitler untersagt am 28. Dezember jegliche Ausbruchsversuche: „Die Stadt Budapest ist bis zum letzten Haus zu verteidigen“. Der Stadteil Pest östlich der Donau ist seit dem 18. Janaur komplett in russischer Hand. Am 26. Januar gelingt es der Roten Armee, über die zugefrorene Donau auf die Margareteninsel vorzudringen. Ab dem 6. Februar wird im Zentrum von Ofen gekämpft, am 8. Februar im Bereich des Südbahnhofs, am 10. Februar um die Zitadelle.
In der sich ausbreitenden Agonie gibt Pfeffer-Wildenbruch am 11. Februar um 17.50 Uhr den Ausbruchsbefehl und funkt an die Heeresgruppe: „Die Verpflegung ist verbraucht, die letzte Patrone im Lauf. Kapitulation oder kampflose Niedermetzelung der Besatzung ist die Wahl. Ich werde daher mit letzten kampffähigen deutschen Teilen, Honveds und Pfeilkreuzlern offensiv. Anschließend werden die Funkgeräte zerstört.“ Die Stärke seiner Einheiten gibt der SS-General mit 23.900 Deutschen, davon 9.600 Verwundete, 20.000 Ungarn, davon 2.000 Verwundete an. Außerdem würden sich dem Ausbruch 80.000 bis 100.000 Zivilisten anschließen. Das Kennzeichen bei Erreichen der 25 Kilometer entfernten Hauptkampflinie: „Leuchtzeichen: zweimal Grün.“ Der Ausbruchsplan sieht vor, daß die aus Truppen der 13. Panzerdivision (links) und der 8. SS-Kavalleriedivision „Florian Geyer“ (rechts) bestehende erste Welle in einem Kilometer Breite in Richtung Margareteninsel die nördliche Linie der Sowjets überrennen soll. Ihnen sollen die Panzergrenadierdivision „Feldherrnhalle“, die 22. SS-Kavalleriedivision und ungarischen Truppen folgen. Die dritte Welle sollen die gehfähigen Verwundeten, die Trosse und die Zivilisten bilden.
„Im allgemeinen war die Kampfmoral der ungarischen Truppen äußerst schwach“, schreibt der Historiker Krisztián Ungváry in seinem Aufsatz „Der Ausbruch der deutsch-ungarischen Verteidiger aus Budapest im Februar 1945. Rekonstruktion eines militärischen Zusammenbruchs“. „Die Soldaten versuchten sich den Kampfhandlungen zu entziehen, verschafften sich Zivilkleidung, ergaben sich oder versteckten sich hinter den eigenen Linien.“
Auch die Waffen-SS und Polizeieinheiten bestehen zum Teil aus zwangsrekrutierten, kaum ausgebildeten Volksdeutschen aus Ungarn und Siebenbürgen, deren Kampfmoral zu wünschen übrigläßt. Dazu kommt, daß die schweren Waffen, insbesondere die verliebenen 22 bis 27 einsatzbereiten Panzer sowie sechs Sturmgeschütze gesprengt werden, weil Pfeffer-Wildenbruch befürchet, durch ihre Umgruppierung die Russen auf den geplanten Ausbruch aufmerksam zu machen. Beim Ausbruch rächt sich, daß der ungarische Kommandeur erst wenige Stunden zuvor in die Pläne eingeweiht wurde. So fehlt den Deutschen die für einen aussichtsreichen Ausbruch nötige Ortskenntnis. Trotzdem gelingt es der ersten Welle, unter hohen Verlusten die Stellungen der 180. sowjetischen Infanteriedivision zu durchbrechen und ungefähr 2,5 Kilometer vorwärts zu kommen.
Der dabei hinterlassene Leichenteppich schreckt die zweite Welle ab. Letztlich endet der Ausbruch in einem einzigen Massaker. Aber von nachdrängenden Soldaten vorwärtsgetrieben, überrennen die Einheiten feuernde Pakstellungen. Bei den Bedienungen der Roten Armee bricht Panik aus. Alle nach Nordwesten führenden Rückzugsstraßen sind plötzlich von fliehenden sowjetischen Trossen verstopft. Letztlich gelingt wohl etwa 16.000 Menschen, darunter vielen Zivilisten, der Ausbruch bis zur Stadtgrenze. Die deutschen Linien erreichen bis 16. Februar lediglich 624 Soldaten, später folgen noch höchstens 80 bis 100 Mann. Weiteren 700 Deutschen gelingt es, sich bis zum Kriegsende in Budapest und Umgebung zu verstecken. Nach sowjetischen Meldungen werden zwischen Budapest und der Hauptkampflinie 20.000 deutsche Soldaten „vernichtet“. „Selbst nach den vorsichtigsten Schätzungen liegen heute noch über Zehntausend deutsche Soldaten in den Wäldern und Feldern westlich der ungarischen Hauptstadt“, schreibt Historiker Ungváry. „Der Ausbruch der Verteidiger von Budapest war eines der hoffnungslosesten Unternehmen in der Militärgeschichte.“
Nach dem Ende der Kämpfe in Budapest am 13. Februar tobt sich die sowjetische Soldateska aus. Die Schwerverletzten werden mit Benzin übergossen und lebendig verbrannt, Waffen-SS-Soldaten und Hiwis ermordet. Gleichzeitig fallen die Soldaten über die Budapester Zivilbevölkerung her. Mindestens 40.000 Zivilisten sterben während der Kesselschlacht oder in den ersten Tagen nach der Eroberung. Raub, Mord und Vergewaltigung sind mehrere Tage Alltag in der Metropole. Anschließend werden einige zehntausend Zivilisten zur Zwangsarbeit verschleppt.
Foto: Sowjetische Soldaten blicken vom Gellertsberg auf die Donau und das Pester Ufer (l.), Dezember 1944: Ausbruch als letzter verzweifelter Versuch