© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/24 / 29. November 2024

Akzeptanz bringt das nicht
ARD und ZDF klagen in Karlsruhe: Der Streit um den Rundfunkbeitrag eskaliert
Gil Barkei

Es war abzusehen: ARD und ZDF legen Verfassungsbeschwerde dagegen ein, daß der Rundfunkbeitrag von momentan 18,36 Euro pro Monat nicht wie von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) vorgeschlagen zum 1. Januar steigt. Die Bundesländer hatten noch gehofft, ein juristisches Spiel in Karlsruhe um die 58-Cent-Zulage verhindern zu können, und bei ihrem Beschluß einer Rundfunkreform Ende Oktober hatten einige Ministerpräsidenten die öffentlich-rechtlichen Sender gewarnt, voreilig zu handeln. Doch das ausweichende Vertagen der Finanzierungsfrage während der Reformdiskussion auf der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) stieß von Anfang an auf Ablehnung bei den Anstalten. „In den verbleibenden sechs Wochen des Jahres ist eine Umsetzung des gesetzlich geregelten KEF-Verfahrens nicht mehr möglich“, hieß es nun von seiten der ARD. Eine Beitragsanpassung zum Jahresanfang 2025 sei so nicht mehr möglich. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) betont, einen verfassungsmäßigen Anspruch auf die von der KEF festgelegte bedarfsgerechte Finanzierung zu haben. 

Und ein Sieg vor dem Bundesverfassungsgericht ist wahrscheinlich. Bereits 2021 hatten die Richter ARD und ZDF recht gegeben. Sachsen-Anhalt hatte damals einen Anstieg des Rundfunkbeitrags blockiert. Auch jetzt hatten sich insbesondere die mitteldeutschen Länder gegen eine Erhöhung der Zwangsabgabe stark gemacht – eine wirkliche Lösung allerdings vor sich hergeschoben. Der juristische Weg stellt laut ARD „die Ultima ratio“ dar, weil eine ausbleibende Anpassung die Erfüllung des Auftrags gefährde. „Wir tragen Verantwortung über die nächsten vier Jahre hinaus für die dauerhafte Sicherung der staatsfernen Finanzierung und damit für journalistische Unabhängigkeit als Bestandteil der Rundfunkfreiheit“, sagte ARD-Chef Kai Gniffke der hauseigenen „Tagesschau“. „Recht und Gesetzestreue kennen nun mal keine Kompromisse.“ ZDF-Intendant Norbert Himmler stellte klar, „die Unabhängigkeit unserer Berichterstattung“ stehe und falle „mit der Unabhängigkeit unserer Finanzierung“. Das Deutschlandradio beteiligt sich nicht an der Klage, da es von stabilen Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag ab 2025 ausgeht, auch wenn dieser nicht steigen sollte.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und Vorsitzende der Rundfunkkommission, Alexander Schweitzer, und sein Co-Vorsitzender, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, äußerten in einer gemeinsamen Erklärung Bedauern über den Eskalationsschritt von ARD und ZDF. Die Länder-Chefs seien sehr wohl willens, bis zur nächsten „Ministerpräsidentenkonferenz am 12. Dezember die noch offenen Finanzierungsfragen zu klären und zu entscheiden“. Der „Konflikt um die Beitragserhöhung“ sei dabei für „die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wenig zuträglich“, kritisierte Schweitzer. „Wir brauchen ein vereinfachtes, rechtssicheres und resilientes Verfahren für den Rundfunkbeitrag. An diesem Systemwechsel arbeiten wir – unabhängig von der nun eingereichten Klage.“ Einen Seitenhieb gegen seinen sächsischen Amtskollegen von der CDU und die anderen östlichen Länderchefs kann sich der SPD-Politiker allerdings nicht verkneifen: „Ich will aber auch zum Ausdruck bringen, daß es nach dem Willen eines Großteils der Länder nicht zu dieser Klage hätte kommen müssen. Die Mehrheit der Länder – einschließlich Rheinland-Pfalz – haben sich immer dafür eingesetzt, der verfassungsrechtlichen Verpflichtung nachzukommen und die KEF-Empfehlung umzusetzen.“ 

Es geht ein medienpolitischer Riß durch Deutschland, auch wenn Michael Kretschmer betont ruhig und trocken bleibt: „Die Ankündigung einer Klage der Anstalten zum Rundfunkbeitrag nehmen wir zur Kenntnis. Das Reformpaket der 16 Länder steht und weist einen klaren Weg. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht Akzeptanz – und die gibt es nur durch Veränderungen.“

Niedersachsen sieht noch die Chance einer Einigung im Dezember. Die ÖRR-Klage erfolge „nur vorsorglich“, spekuliert Jörg Mielke, Chef der Staatskanzlei in Hannover, gegenüber dem Branchendienst Horizont. Alles nur ein lauter, Druck machender Schuß vor den Bug? 

„Ich glaube nicht, daß man ein Tischtuch zerschneidet, wenn man darauf pocht, daß sich alle an Recht und Gesetz halten. Wir sprechen weiter miteinander“, macht auch Kai Gniffke im Zeit-Interview deutlich. Die ARD habe „überhaupt nichts gegen diese Reform“, es bewege sich viel, alle Häuser fahren bereits „am Maximum der Belastbarkeit“, allerdings könne man nicht „plötzlich zum Jahreswechsel 20 Radiosender einstellen und dazu mehrere Videokanäle. Das sehen auch die Experten der KEF so: Die Effekte dieser Rundfunkreform werden sich erst ab 2028 einstellen“. Gniffke sagt daher auch klipp und klar, ein Antrag auf „eine sogenannte Vollstreckungsanordnung, damit der Beitrag wie von der KEF vorgeschlagen erhöht wird“, ist in der Spur.

Bundesländer planen neues Festlegungsmodell

Also noch eine Beitragsperiode samt Teuerung – weil zehn Milliarden Euro angeblich nicht reichen – und dann Reformeffekte, sparen und ein konstanter Beitrag? Wohl kaum, bemängeln auch private Medien. „Die im Oktober beschlossene Reform krempelt keineswegs das gesamte öffentlich-rechtliche System um. Letztlich bleibt die Struktur sogar wie sie ist, minus einiger linearer Sender, die eingestellt werden sollen“, schreibt die Welt und wirft den Klägern vor, die politischen Realitäten zu verkennen und lediglich eine einfache Botschaft an die ÖRR-Kritiker zu senden, ohne die Ideen für die nächste MPK abzuwarten: „Uns doch egal“. Und die FAZ verweist auf Länderstimmen, die Verfassungsbeschwerde von ARD und ZDD sei gar ein Versuch, „die geplante Rundfunkreform komplett zu torpedieren“.

Dabei planen die Länderchefs die teilweise Entmachtung ihrer eigenen Parlamente – damit potentielle Störmanöver gegen eine Rundfunkbeitragserhöhung künftig ausbleiben. Laut Medienportal DWDL wollen die Ministerpräsidenten ein neues Verfahren zur Festlegung der Zwangsabgabe beschließen, welches die Bedarfsanmeldung durch die Öffentlich-Rechtlichen und die Überprüfung durch die KEF beibehält. Demnach soll jedoch die erforderliche Zustimmung von allen 16 Landesparlamenten wegfallen und stattdessen ein gestaffeltes Widerspruchsmodell eingeführt werden. 

Dieses würde mit verschiedenen Hürden so funktionieren: Empfiehlt die KEF eine Beitragsanhebung um fünf Prozent oder weniger, wird diese umgesetzt, wenn keine Landesregierung widerspricht. Liegt die empfohlene Erhöhung zwischen null und zwei Prozent, müßten drei Länder widersprechen, um sie vorerst stoppen zu können. Liegt sie zwischen 2 und 3,5 Prozent, müssen zwei Länder widersprechen. Liegt die empfohlene Erhöhung zwischen 3,5 und 5 Prozent, reicht der Widerspruch eines Bundeslandes. Kommen genug Gegenstimmen zusammen, greift wieder das alte Prozedere und alle 16 Landesparlamente müssen zustimmen. Liegt die Erhöhung über fünf Prozent – was äußerst selten vorkam –, ist in jedem Fall das bisherige Verfahren nötig.

Die aktuelle KEF-Erhöhungsempfehlung von 58 Cent bedeutet eine Steigerung von 0,8 Prozent pro Jahr, sprich 3,2 Prozent für die gesamte Beitragsperiode. Nach dem geplanten neuen Modell hätten also mindestens zwei Länder widersprechen müssen, wenn sie die Erhöhung vorläufig blockieren wollen. Doch es haben sich bereits mehr als zwei Bundesländer gegen einen Beitragsanstieg ausgesprochen, ergo würde man wieder beim jetzigen Verfahren landen – und ARD und ZDF würden wahrscheinlich wieder klagen. Der Ansatz würde bei der momentanen Situation kaum etwas ändern. 

Am Ende bleibt bei dem Modellvorschlag nur das Kalkül, einzelne Länderchefs mögen künftig angesichts der Schwächung der Oppositionsparteien in ihren jeweiligen Parlamenten keinen Widerspruch ins Auge fassen. Kommt es wegen mangelnden Einspruchs seitens der Landesregierungen erst gar nicht zur erzwungenen Rückkehr zum gewohnten Abstimmungsablauf, wird die ÖRR-kritische Opposition ihrer potentiellen öffentlichkeitswirksamen Gegenstimme im Parlament beraubt. „Klare Entscheidungen“ für die Medien, „die eine wichtige Säule in der Demokratie sind“, wie es die Koordinatorin der Rundfunkkommission Heike Raab (SPD) gegenüber DWDL darstellt, sind das nicht.