© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/24 / 29. November 2024

Leiche im Keller
Mißbrauch: Ein Jahr nach dem Vertuschungsskandal zeigt die Evangelische Kirche, daß sie nichts dazugelernt hat
Dietmar Mehrens

Die EKD hat eine gewaltige Leiche im Keller, und sie fängt schon an zu stinken. Daß der Skandal des sexuellen Mißbrauchs in beiden großen deutschen Kirchen nach wie vor mit einem gehörigen Maß an Doppelmoral angegangen wird, zeigt der am 8. November vor dem Landgericht in Hildesheim verhandelte Fall des katholischen Mißbrauchsopfers Jens Windel, dessen dunkler Schatten auch auf die zwei Tage später in Würzburg eröffnete Synode der Evangelischen Kirche fiel. Deren aktuelle Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs kam bekanntlich nur dadurch ins Amt, daß ihre Vorgängerin Annette Kurschus über einen Vertuschungsskandal in einem der 1.440 offiziell festgestellten homosexuellen Mißbrauchsfälle ihrer Kirche (Gesamtzahl: 2.225, bei hoher Dunkelziffer) stolperte.

Windel wurde in den achtziger Jahren als Meßdiener in Sorsum (Bistum Hildesheim) mehrfach von einem Pfarrer vergewaltigt. Das hat das Bistum in einem Abbittebrief auch eingestanden. Doch bei der Entschädigungszahlung in Höhe von 400.000 Euro, die Windel beansprucht, setzt das beklagte Bistum auf Verjährung. Der Beschuldigte ist inzwischen verstorben. Windels Anwalt findet das Verhalten des Bistums „treuwidrig“. Der Fall ist in der Mediation.

Wer nach der Veröffentlichung des Berichts zu sexuellem Mißbrauch innerhalb der katholischen Kirche (MHG-Studie 2018) darauf gewettet hätte, daß es auch beim sexuellen Mißbrauch durch Protestanten ein deutliches Übergewicht homosexueller Übergriffe geben würde, hätte die Wette gewonnen: 65 Prozent der Mißbrauchsopfer waren männlich, fast hundert Prozent der mutmaßlichen Täter auch (JF 6/24). Signifikant höher als unter evangelischen Pfarrern war die Zahl der Fälle in den Diakonischen Werken. Wörtlich heißt es in der von der EKD in Auftrag gegebenen „ForuM“-Studie: „Hier lag der Anteil der männlichen Betroffenen bei 81,9 Prozent.“ Damit dürften Zölibat und patriarchale Strukturen raus sein aus der Riege der der Mißbrauchsbegünstigung Verdächtigen.

Papst Benedikt solltediskriminiert werden

Da ist also im letzten Januar eine Bombe hochgegangen. Doch die Lärmschutzmauern des polit-medialen Establishments haben ihre Schallwellen mal wieder erfolgreich abgedämmt. Die Leiche soll im Keller bleiben. Denn sie hat einen LGBT-Hintergrund. Die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs, vor einem Jahr ins Amt gekommen als Interimslösung, zeigte sich anläßlich der Veröffentlichung der EKD-Studie im Januar zerknirscht und gab im Rückblick auf die vollkommen aus dem Ruder gelaufenen Reformpädagogik-Experimente der siebziger Jahre zu, wie „großartig“ die linke klerikale Szene, der sie sich selbst zurechnet, derlei damals gefunden habe. „Was gab es für eine Kultur der Grenzverachtung dabei“, bekannte sich die evangelische Bischöfin zum „blinden Fleck“ in der EKD.

Sie hätte auch einfach sagen können: Benedikt hatte recht! Der Vorgänger von Papst Franziskus I. hatte in seiner letzten größeren Denkschrift „Die Kirche und der Skandal des sexuellen Mißbrauchs“ festgestellt: „Zu der Physiognomie der 68er Revolution gehörte, daß nun auch Pädophilie als erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde.“ Der Zusammenhang zwischen sexueller Revolution, der Pornographisierung sämtlicher Lebensbereiche, homosexuellen Seilschaften in Priesterseminaren und allgemeinem Sittenverfall: für Benedikt naheliegend, für LGBT-Apologeten wie die Theologen Markus Nolte und Magnus Striet, die der gefährdeten Regenbogen-Orthodoxie mit hastig zusammengeschriebenen Kommentaren zu Hilfe eilten und Benedikts Thesen niederknüppelten, unerhört! Der Kirchenrechtler Thomas Schüller schwang sich ein Jahr später auf zum Kopf einer Kampagne, die Benedikt diskreditieren sollte, und stellte sich bereitwillig für ein LGBT-affirmatives Propagandaprojekt des ARD-Journalisten Hajo Seppelt zur Verfügung. So gelang es den Torwächtern der öffentlichen Meinung eindrucksvoll, die Kernaussage der MHG-Studie zu vernebeln, nämlich daß die Zahl der Ersttäter in den Jahren der sexuellen Revolution zwischen 1966 und 1970 ihren absoluten Höhepunkt erreichte (S. 256 MHG) und daß die meisten Mißbrauchstäter homo- oder bisexuell waren. Letzteres ergab sich aus vier zentralen Teilprojekten (nachfolgend TP abgekürzt), die Aufschluß gaben über die sexuelle Orientierung der Täter: TP 2, TP 3, TP 6 und TP 7. Es lohnt sich, hier noch einmal genauer hinzusehen. Denn die MHG-Studie ist zwar älter, aber auch wesentlich umfassender als die „ForuM“-Studie.

80 Prozent der Beschuldigten waren bi- oder homosexuell

Bei TP 7, einer internetbasierten anonymen Befragung von Mißbrauchsopfern, ergab sich, daß 51,5 Prozent der Betroffenen männlichen Geschlechts waren – wie auch alle Beschuldigten. Damit war erwiesen: Mehr als die Hälfte der Fälle betrafen gleichgeschlechtlichen Mißbrauch. Das Teilprojekt nahm auch Berufsgruppen innerhalb der katholischen Kirche in den Blick, für welche das Zölibatsgebot nicht gilt – Lehrer, in der Diakonie Beschäftigte, Ordensmitarbeiter –, was theoretisch zu einem Ergebnis mit weitaus mehr weiblichen Opfern hätte führen können. Etwa 13 Prozent der Datensätze wurden nicht in die Studie eingearbeitet und auch nicht separat ausgewertet, weil sie unvollständig oder die Opfer zum Zeitpunkt des Delikts bereits volljährig waren. Waren die meisten von ihnen männlich, würden sie den Anteil der Opfer von homosexueller Gewalt noch einmal substantiell erhöhen.

TP 6 (Analyse von Personal- und Handakten aus den Diözesen) ergab ein Übergewicht von Menschen mit homo- oder bisexueller Orientierung (51,2 Prozent); die 27 Prozent als pädophil Eingestuften könnten parallel auch bi- oder homosexuell sein und den Wert weiter erhöhen (MHG, S. 277).

TP 3 (Analyse von Strafakten der wegen sexuellen Mißbrauchs Angeklagten) ergab: Unter allen Beschuldigten, denen eine sexuelle Orientierung zugeschrieben werden konnte, wurde bei zwei Dritteln Homo- oder Bisexualität diagnostiziert (S. 153 MHG).

Für den ganz großen Paukenschlag aber sorgt TP 2, dessen Befunde die Projektleiter Andreas Kruse, Eric Schmitt und Jörg Hinner selbst als „deutlich aussagekräftiger“ loben, denn sie habe die „quantitative Forschungslogik“ der anderen Teilprojekte „durch einen qualitativen Zugang ergänzt, der sich explizit um die Abbildung von Unterschieden unter Betroffenen wie Beschuldigten bemüht“. Für TP 2 „wurden 220 Interviews mit Betroffenen, 50 Gespräche mit Beschuldigten und 100 Gespräche mit nicht beschuldigten Priestern, Diakonen und Ordensangehörigen im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz geführt“. Resultat: 80 Prozent der Beschuldigten waren bi- oder homosexuell; bei den nicht unter Tatverdacht stehenden Befragten war es umgekehrt: 88 Prozent heterosexuell (S. 112 MHG).

In vier separaten Teilstudien ergab sich mithin regelmäßig ein Übergewicht von bis zu 80 Prozent der Beschuldigten, die eine LGBT-Orientierung aufwiesen. Bestätigt wird dieser für LGBT- und „Gay Rights“-Aktivisten im Hinblick auf die von ihnen gern postulierte Opferrolle katastrophale Befund auch von einer Studie des John Jay College aus dem Jahr 2004, die in 80,9 Prozent aller Fälle von Mißbrauch im Umfeld der internationalen katholischen Kirche männliche Opfer (und Täter) diagnostizierte. Und genau dieser schockierende Wert von über 80 Prozent findet sich nun auch bei den Diakonischen Werken der EKD.

Verflechtungen zwischen linken LGBT-Aktivisten und Kirchen

Für ihre Kirche gelte es nun, Verantwortung zu übernehmen, hatte die auf der Synode in Würzburg im Amt bestätigte EKD-Ratsvorsitzende schon im Januar versprochen und wiederholte das auch jetzt. Kommt also die irrational protektionistische Grundhaltung der beiden Kirchen gegenüber homosexuellem Mißbrauch endlich auf den Prüfstand? Es wäre eine Genugtuung für die vielen Leidensgenossen von Kläger Jens Windel, die es in der protestantischen Kirche gibt.

Blickt man aber auf die schon ohne Mißbrauchsbericht höchst problematischen Verflechtungen zwischen linken LGBT-Aktivisten und Kirchen, wie sie auf dem letzten Evangelischen Kirchentag recht seltsame Blüten trieben, oder an den bizarren, von der Kurie abgelehnten „synodalen Weg“ des deutschen Reformkatholizismus, gewinnt man nicht den Eindruck, daß die deutschen Kirchen aus Fehlern lernen, sondern sie lieber umdeuten und sodann als Instrumentarium zur Durchsetzung einer von fanatisierten Wirrköpfen übernommenen Agenda mißbrauchen möchten. Das klerikale Establishment weiß natürlich, daß die LGBT-Schlagseite, „das deutliche Überwiegen männlicher von sexuellem Mißbrauch betroffener Kinder und Jugendlicher“ (MHG, S. 11), eine Ohrfeige ins Gesicht der von ihm durchgesetzten Orthodoxie ist. Und so stieß jede Aufforderung an Kirchenleitungen, sich von populistischem Regenbogen-Agitprop zu distanzieren, bislang auf taube Ohren. 

Auch auf der Synode wieder nur die üblichen Lippenbekenntnisse. Statt der „woken“ Medusa den Kopf abzuhacken, ließ man ihren Blick die ausgeleierten Leitsätze zu Strukturdefiziten und das Lobby-Blabla über „tief verankerte heteronormative Denk- und Verhaltensmuster“ in heilige Steintafeln verwandeln. Bischöfin Fehrs ging in ihrer Eröffnungsrede am 10. November gleich auf die „ForuM“-Studie ein, sprach, ohne konkret zu werden, von glaubwürdiger Aufarbeitung, einem „Ruck [...] teilweise bis in die Kirchenkreise und Gemeinden hinein“. Sie stellte „Schutzkonzepte“ in Aussicht, die dann zum Abschluß der Synode auch verabschiedet wurden, aber den notorischen LGBT-Opportunismus ihrer Kirche so wenig zur Disposition stellen wie die gegenderte „ForuM“-Studie.

Im Vordergrund standen wie auf jedem Grünen-Parteitag die bekannten Zeitgeistthemen soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Migrationspolitik. Auch vor dem Hintergrund einer wachsenden Entfremdung zwischen Gläubigen und Kirchen wären diese gut beraten, ihre polit-kulturelle Grundorientierung an den Glaubenssätzen der linksgrünen Dogmatik zu überdenken, die Bibel wieder ins Zentrum der Verkündigung zu rücken und an bewährten Gottesdienstformen festzuhalten, in denen das Ehren des Schöpfers und des Gottessohns im Zentrum steht. Nur so werden sie den Gestank wieder los, den Leichen im Keller nun mal verursachen.


Foto: Mißbrauchsopfer Jens Windel (r.) bei einer Protestaktion der Giordano-Bruno-Stiftung und der Betroffeneninitiative Hildesheim vor dem Dom zu Fulda (Archivfoto 2021)