© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/24 / 29. November 2024

Der Kreml schließt das Gulag-Museum

MOSKAU. Die russische Regierung hat das Gulag-Museum in der Hauptstadt Moskau geschlossen. Seit dem 14. November ist das Gebäude im Zentrum Moskaus nicht mehr betretbar, auch die Website der Einrichtung ist – bis auf den Buch-Shop – nicht mehr erreichbar. Die Museumsdirektion äußerte sich bisher nicht dazu. Auf der Eingangstafel des Gebäudes und russischen Medienberichten zufolge wird die Schließung mit Brandschutzbedenken begründet. Oppositionelle glauben dieser Erklärung nicht, sie vermuten politische Gründe dahinter. Am 30. Oktober dieses Jahres hatte es am „Garten der Erinnerung“, der zum Gelände gehört, eine Veranstaltung für die Opfer des Stalinismus und des Gulagsystems gegeben. Kreml-Kritiker vermuten, daß die Regierung das nicht mehr länger tolerieren wollte. Vor drei Jahren, kurz vor Beginn des Ukrainekriegs, wurde die Gruppe „Memorial“ verboten, die seit 2007 regelmäßig Gedenkveranstaltungen für die Opfer des stalinistischen Terrors abhielt. Mit Beginn der Corona-Pandemie endete diese Tradition, danach waren derartige Gedenken aus politischen Gründen staatlich nicht mehr gewünscht. „Memorial“ hatte sich auch damit unbeliebt gemacht, daß die Organisation es nicht beim Gedenken an vergangene Greuel beließ. Immer wieder spannte sie den Bogen zu aktuellen Problemen und modernen politischen Gefangenen. Das Gulag-Museum hingegen ging diplomatischer vor. 2001 wurde es von der Stadt Moskau offiziell bewilligt und von einem ehemaligen Lagerinsassen eröffnet. Die Verantwortlichen dokumentierten den staatlichen Terror ungeschönt, ließen jedoch die Frage nach den Verantwortlichen aus – vom kleinen Beamten bis hin zum damaligen Staatschef Josef Stalin. Inzwischen wird Stalin in Rußland – nach einer kritischen Phase nach Ende der Sowjetunion  – wieder positiver dargestellt. Im ganzen Land werden offizielle Denkmäler für den Diktator aufgestellt. In russischen Lehrplänen wird sein Beitrag zur Industrialisierung des Sowjetimperiums und zum Sieg über das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg betont – gleichzeitig werden die innenpolitischen Säuberungen, die Lager und die Verbrechen an verschiedenen Volksgruppen ignoriert oder verharmlost. Die einzige prominente Angehörige des russischen Kulturbetriebs, die sich öffentlich zu der Museumsschließung äußerte, ist die Direktorin des Moskauer Puschkin-Museums, Elisaweta Lichatschowa. Sie kritisierte die Entscheidung und zitierte dabei Stalin. Es handele sich um „Dummheit, die an ein Verbrechen grenzt“. Der Begriff „Gulag“ steht für „Glawnoje uprawlenije lagerej“, also „Hauptverwaltung der Lager“. Während des Bestehens der Sowjetunion waren dort viele Millionen inhaftiert, Unzählige starben. Genaue Zählungen sind bis heute umstritten, der französische Historiker Stéphane Courtois beispielsweise schätzt die Zahl der Opfer im zweistelligen Millionenbereich. (st)