Zum vierten Mal seit Gründung der Bundesrepublik 1949 wird der Bundestag vorzeitig aufgelöst. Und wie 1972, 1983 und 2005 stehen die zahlreichen Kleinparteien vor einer kaum lösbaren Aufgabe. Denn Parteien, die nicht im Bundestag oder in einem der 16 Landtage seit deren letzter Wahl ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten sind, müssen nach der Kandidatenaufstellung viele Unterschriften sammeln. Zuvor müssen die Kandidaten auf Mitgliederversammlungen nominiert und Landeslisten erstellt werden. Dabei gilt es Fristen zu beachten. Die Bundesregierung kündigt ein Entgegenkommen an. Allerdings gibt es kein digitales Verfahren, alles erfolgt analog auf Papier. Eine Herkulesaufgabe gerade im Winter.
Kleine Parteien, große Hürden. 0,1 Prozent der Wahlberechtigten in dem jeweiligen Bundesland, maximal aber 2.000 Menschen, müssen dokumentieren, daß sie an die Partei glauben. Das sind deutschlandweit fast 30.000 Unterschriften, so schreibt es das Bundeswahlgesetz vor. Dafür haben sie statt mehrerer Monate nur wenige Wochen Zeit. Anschließend müssen alle Unterschriften von den Gemeindebehörden daraufhin geprüft werden, ob der Unterzeichner wahlberechtigt ist und ob er nicht auch für eine andere Partei unterschrieben hat, was beide Unterschriften ungültig machen würde. 2021 wurde die nötige Zahl an Unterstützern wegen der Corona-Pandemie einmalig gesenkt.
ÖDP, die paneuropäische Volt, die Piraten und weitere 41 Splitterparteien hatten es bei der vergangenen Bundestagswahl 2021 auf den Stimmzettel geschafft, kamen immerhin auf insgesamt 8,6 Prozent der Zweitstimmen. Die 1982 gegründete Ökologisch-Demokratische Partei hat jetzt einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht mit dem Ziel eingereicht, das Unterschriftenerfordernis zu lockern. Nach ihren Berechnungen bleiben maximal nur 39 Tage Zeit, um die Unterschriften in der geforderten Anzahl zusammenzubekommen – Feiertage, Ferienzeit und widrige Witterungsbedingungen inklusive. Das Gericht habe eine rasche Entscheidung angekündigt, sagt Vizeparteichef Helmut Kauer. Mit einem Sitz im Europaparlament seit mehr als zehn Jahren und über 500 kommunalen Mandaten sei es nicht einzusehen, daß die ÖDP bei jeder Bundestagswahl immer wieder aufs neue die Ernsthaftigkeit des Wahlantritts unter Beweis stellen müsse.
Ob alle Kleinparteien diesem Kriterium genügen, darf bezweifelt werden. In der Vergangenheit bemühten sich Scherzbolde mit der Raucherpartei oder die Anarchistische Pogo-Partei Deutschland (APPD) vor dem Bundeswahlausschuß um die Zulassung zur Bundestagswahl.
„Diese Hürde in so kurzer Zeit ist unzumutbar“
Neben der ÖDP gehören die Piraten, die Tierschutzpartei, Volt, Die Basis sowie die liberalkonservativen Freien Wähler (FW) zu den stärkeren unter den „Sonstigen“. Letzteren bleibt der mühsame Gang von Haus zu Haus erspart, da sie in Landtagen vertreten ist. Dies gilt auch für die Partei Die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), die außerdem auf ihre Bundestagsmandate verweisen können. Doch das einstige SED-Mitglied Wagenknecht plagen andere Sorgen. „Wir werden jetzt sehr stark werben müssen, daß wir Spenden bekommen“. Benötigt würden „relativ hohe Beträge“. Und das BSW muß noch drei Landesverbände gründen. Die Zeit drängt.
Frei von Zeitdruck ist die konservative Werteunion (WU) mit ihrem Vorsitzenden Hans-Georg Maaßen, dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten. Die erst im Februar gegründete Partei wollte sich zwischen CDU und AfD etablieren. Daraus wird nun nichts, zumindest nicht am 23. Februar 2025. Einzelne Landesverbände, wie etwa der nordrhein-westfälische, könnten aber autonom an der Wahl teilnehmen und einen eigenen Wahlkampf organisieren, heißt es in einem Rundschreiben. Der WU fehlt es an Geld und Kandidaten. Und an Erfolgen. Anfang September holte sie in Sachsen nur 0,3 Prozent der Stimmen, in Thüringen 0,6 Prozent. Die Fusion mit dem Bündnis Deutschland kommt nicht recht voran.
Befreit von der lästigen Unterschriftensammlung und zugleich von der Fünfprozenthürde ist die Partei der dänischen Minderheit (SSW), die mit einem Parlamentarier im Bundestag vertreten ist. Für alle anderen Parteien gilt die Fünfprozenthürde, die aber durch die sogenannte Grundmandatsklausel ausgehebelt werden kann. Mit drei Direktmandaten ist der Einzug ins Parlament gesichert, entsprechend der Prozentzahl. Dies war der Linken 2021 gelungen, mit 4,9 Prozent. Angesichts schlechter Umfrageergebnisse haben drei ältere Linken-Politiker, darunter Ex-Parteichef Gregor Gysi, die „Mission Silberlocke“ gestartet: Sie wollen jeweils ein Direktmandat erringen, um die Linke im Bundestag zu halten – auch wenn die Fünfprozenthürde verfehlt wird. Ähnliche Überlegungen werden bei den FW und Volt angestellt.
Acht Kleinparteien, darunter die ÖDP, die Tierschutzpartei und die Piraten, haben sich jetzt in einem offenen Brief an die Bundesregierung und die Bundestagsabgeordneten gewandt und um „demokratische Fairneß“ gebeten. Die Zahl der Unterschützer-Unterschriften müsse gesenkt werden. „Diese Hürde in so kurzer Zeit ist unzumutbar“. Inzwischen hat das Bundesinnenministerium ein gewisses Entgegenkommen bei den Fristen signalisiert. „Mit der Vorbereitung einer entsprechenden Verordnung wurde bereits begonnen“, erklärte ein Ministeriumssprecher. Bei den Unterschriften sei ein Entgegenkommen aber nicht möglich, sagte er unter Hinweis auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2005.
Allerdings ist die Ausgestaltung der Fristen abhängig von der Entscheidung des Bundespräsidenten, in welchem Umfang er selbst die grundgesetzlich festgelegte Maximalfrist von 60 Tagen zur Auflösung des Bundestages ausschöpfen wird.