© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/24 / 29. November 2024

Călin Georgescu. Schock in Rumänien: Wird der rechte Außenseiter völlig überraschend Präsident? Die Aufregung ist groß.
Mit TikTok zum Sieg
Paul Leonhard

Wahrheit, Freiheit, Souveränität“ sollen die Pfeiler des künftigen Rumäniens sein. Drei Begriffe, die in dem Balkanland hoch im Kurs stehen. Daß sie aber das Gewicht haben, den parteilosen „Rechtsextremisten“ (Spiegel) und „TikTok-Faschisten“ (taz) Călin Georgescu die erste Runde der Präsidentenwahl mit knapp 23 Prozent klar gewinnen lassen, hat alle überrascht. Selbst die Bukarester Deutsche Allgemeine Zeitung fragt: „Wer ist Georgescu?“ Offenbar ticken die Rumänen anders, als Journalisten und Wahlforscher glauben, denn keine Umfrage hatte ihn unter den führenden Fünf gesehen.

Von einer „schallenden Ohrfeige“ für die von den (neokommunistischen) Sozialdemokraten geführte Koalition ist die Rede und von „einem Denkzettel für die Polit-Elite, die ihr eigenes Drehbuch für die Wahl entworfen“ habe. Die Tageszeitung Adevărul erklärt das Ergebnis so: „Sollten Georgescus Wähler vier, fünf Punkte seines Programms nennen, könnten sie das nicht. Warum? Es ist ihnen unbekannt. Sie haben ihn nur auf TikTok reden gehört und dann gewählt.“ Tatsächlich dürfte der Überraschungssieger die meisten Wähler so erreicht haben. „Er hat sich mittels sozialer Netzwerke in einem Vakuum sichtbar gemacht“, analysiert der Bukarester Politikberater Cristian Andrei, „in dem viele Rumänen den Kontakt zu den Parteien, zumindest aber zur Elite verloren haben.“

Alles hängt nun von der Stichwahl ab, bei der sich die Elite zusammentut, um Georgescu noch zu stoppen.

Der 1962 in Bukarest geborene Sohn eines Agraringenieurs und Vater dreier Kinder studierte Landwirtschaft und arbeitete nach der Revolution von 1989 auf diversen Posten im Umwelt- und Außenministerium, vertrat sein Land zwischen 1999 und 2012 beim Uno-Umweltprogramm. Mehrfach schon wurde er, der die Unterstützung der Orthodoxen Kirche genießt, die seine Flugblätter auslegt, als Ministerpräsident vorgeschlagen. 

Die Konrad-Adenauer-Stiftung verweist darauf, daß besonders an Universitäten seit Jahren „rechtsextreme faschistische Haltungen Fuß fassen“. Georgescu bedient diese Narrative, indem er in nationalistischen, antisemitischen und mit Hitler verbündeten rumänischen Führern der dreißiger Jahre Nationalhelden sieht. Der als rechtsextrem geltenden Allianz für die Einheit der Rumänen (AUR) gehörte er an, bis er sich 2022 mit Parteiführern überwarf, die seine prorussische Haltung kritisierten. Die Ukraine, in der durch willkürliche Grenzziehung eine starke rumänische Minderheit lebt, hatte er einen „erfundenen Staat“ genannt. 

Im Westen ist die Sorge groß, ein endgültiger Sieg Georgescus könne schlimme „Folgen für die Zukunft des Landes, die europäische Sicherheit und Verteidigung der Nato-Ostflanke haben“. Das ist zwar maßlos übertrieben, rechtfertigt aber die Sorge der Rumänen um ihre Souveränität. Nicht allen gefällt, daß man ukrainische Soldaten ausbildet. Ein Denkfabrikexperte nannte als sichtbarstes Thema im Wahlkampf den Frieden, also die Unterstützung der Ukraine einzustellen, um nicht in den Krieg verwickelt zu werden. Doch betont Georgescu auf seiner Netzseite, man werde seine Pflicht gegenüber Nato und EU erfüllen – doch nur in dem Maße, wie diese ihre „Verpflichtungen gegenüber Rumänien“ einhalten. Auch müsse man eine „konsequentere Rolle“ in internationalen Fragen spielen. Alles hängt nun von der Stichwahl am 8. Dezember ab, wenn sich die Elite zusammentut, um Georgescu doch noch zu stoppen.