© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/24 / 22. November 2024

Der Flaneur
Eins draufsetzen
Gil Barkei

Eigentlich wurde der Berliner Altbau erst vor zwei Jahren „luxussaniert“. Das hieß vielmehr, laut Arabisch und Türkisch sprechende Bauarbeiter strichen lediglich die Fassade weiß an, während langbärtige Anzugtypen einen auf Dubai-Immobilienmakler machten und mit Leder-Klemmappen zwischen wild geparkten Edelkarossen umherliefen, die regelmäßig die schmale 30er-Zone versperrten. 

Doch jetzt steht das Gebäude schon wieder komplett eingerüstet da. Anscheinend wird auf den Dreistöcker eine weitere Etage draufgesetzt. Was bei dem Wohnungsmangel in der Hauptstadt durchaus sinnvoll erscheint, dürfte so manchen Bewohner nerven, hat er schließlich schon wieder Stahlgerüste und Arbeitsstiefel vorm Fenster.

Irgendwas sei suspekt an dem ganzen Projekt, hatte die Bekannte erzählt und war entnervt ausgezogen.

Erst kürzlich kam es zu einem zufälligen Treffen mit einer alten Bekannten, die seit Jahren in dem Mehrfamilienhaus wohnt beziehungsweise wohnte, denn vor kurzem ist sie entnervt ausgezogen. Irgendwas sei an dem ganzen Projekt suspekt, hatte sie erzählt. Ständig wurde an kleineren Stellen weitergewerkelt. Mehrere Wohnungen standen untypisch für die beliebte Gegend leer oder die Bewohner einzelner Apartments wechselten ständig. Außerdem lag irgendwie Spannung in der Luft. Müll häufte sich in den Vorgärten an, es gab Einbrüche und Vandalismus. Sogar Warnschilder wurden an die Hauseingänge gehängt, weil Dreck und Kot (gezielt?) verschmiert wurden. 

Waren da expandierende Junkies, Gegner von Immobilien-Heuschrecken oder gar dubiose Clanstrukturen am Werk? Vielleicht im Konkurrenzkampf? Denn außerdem wechselten wohl öfter die Besitzer des gesamten Hauses, so daß die Bekannte gar nicht mehr durchblickte bei den ganzen Firmen im Briefverkehr mit diversen Miet­erhöhungen und schließlich mit einem ziemlich unguten Gefühl das Feld räumte. 

Jetzt steht also ein großer Kran auf der Kreuzung und türmt einen kleineren Baukran auf. Damit sind es nun schon drei „tanzende“ Baukräne an drei Erweiterungs-Projekten im Kiez. Die Stadt wächst, auch in die Höhe. Leider dezimieren die von polnischen Fahrzeugen dominierten lauten Baustellen die Parkplätze und Fahrbahnen, wodurch immer wieder Verkehrschaos in der Gegend entsteht. Immerhin wird Wohnraum geschaffen. Doch Quantität ist das eine, Qualität das andere – nicht nur bei der Bausubstanz.



Der Mensch ist der friedlichste aller Affen.

Harald Meller, Autor und Archäologe (*1960)