© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/24 / 22. November 2024

Konservative wollen nicht mehr verzichten
Tugendpaternalismus ist passé

Gehörte der Werte- und Tugendkatalog der Adenauer-CDU gegenwärtig noch zum Ideenhaushalt unter Friedrich Merz und Carsten Linnemann, träte die inhaltliche Nähe zu der von ihr gern attackierten „Verbots- und Verzichtspartei“ der Grünen klar zutage. Denn wer wollte bestreiten, fragt der Politologe Thomas Biebricher (Uni Frankfurt/M.), ein Grünen-Sympathisant, daß „Verzicht“ zum Kernbestand des konservativen Lebensmodells zählt, so wie es Max Weber einst beschrieb: Sparsamkeit, Selbstdisziplin und Opferbereitschaft für das Gemeinwohl. Das seien die „Werte von 1948“, die den Wiederaufbau Westdeutschlands ermöglichten. Sie antworteten bis in die ersten Kohl-Jahre zwar noch vage auf liberal-hedonistische „Werte von 1968“, galten aber spätestens 1990 als erledigt. Wenn also die CDU die Grünen wegen ihrer Neigung zu Restriktionen stigmatisiere, vergäße sie, daß diese Partei heute repräsentiere, was sie sich selbst einst anmaßte: einen Paternalismus, der anderen eine tugendhafte Lebensführung diktiert (Merkur, 11/2024). Letztes Relikt dieses Konservatismus sei das Festhalten an der Sparpolitik der Schuldenbremse, während ansonsten eine inhaltlich entkernte Union ihr Heil in libertärer „Freidemokratisierung“ suche, die den Staat zugunsten der „Freiheit des Einzelnen“ auf seine Kernaufgaben reduzieren wolle. (dg)  www.merkur-zeitschrift.de