Viele Filme enden mit einer Hochzeit; dieser beginnt mit einer. Und was für einer: Die Zeremonie findet statt in der höchstgelegenen Ortschaft der Welt vor der Kulisse der gewaltigen Gebirgsmassive des Himalaja. In dieser drögen, ungastlichen Gegend hat der nepalesische Regisseur Min Bahadur Bham sein Hochlandepos „Shambhala“ angesiedelt.
Hier, in der entlegensten Region Nepals, gilt noch das Prinzip der Polyandrie: eine Frau, mehrere Männer. Das gibt Versorgungssicherheit und hilft bei Männerüberschuß. Gemäß Karma und Tradition ehelicht die Heldin des Films, die junge Pema (Thinley Lhamo), also drei Brüder: den Bauern Tashi (Tenzin Dalha), den Mönch Karma (Sonam Topden) und Dawa, den kleinen Bruder der beiden, der in die Obhut von Tashi und Pema kommt, während Karma seine Berufung darin gefunden hat, dem örtlichen Rinpoche, einem geistlichen Würdenträger, zu dienen. Alles in geregelten Bahnen also.
Reise in eine den meisten für immer verschlossene Welt
Doch dann bricht Tashi zu einer mehrmonatigen Handelsreise nach Lhasa auf. Pema muß sich nun allein um Dawa kümmern, den kleinen Frechdachs, wie Ta-shi und Pema ihn gern spöttisch nennen. Prompt versucht Dawa seiner Ersatzmutter auf der Nase herumzutanzen. Lust auf Schule hat der Junge auch nicht. Pema sucht das klärende Gespräch mit Lehrer Ram. Die Besprechung wird zum Desaster. Sie artet aus, und die junge Frau muß den Betrunkenen auf einem Lasttier nach Hause schleppen. Sogleich machen böse Gerüchte die Runde. Und eines Tages kommt Dawa mit der Nachricht nach Hause, die Kinder in der Schule zögen ihn auf damit, daß Pema und Ram eine Affäre hätten und das Kind, mit dem sie inzwischen schwanger ist, von ihm sei.
Als die Handelskarawane ohne Tashi zurückkehrt, braut sich Unheil zusammen. Die Gerüchte haben die Reisenden früher erreicht als sie das Dorf. Aus Scham und Angst vor der Wahrheit hat Tashi sich abgesetzt. Er will nicht mehr nach Hause kommen. Die Schwangere macht sich auf die Suche nach ihrem Mann. Auf Weisung des Rinpoche begleitet Tashis Bruder Karma sie. Zwangsläufig kommen sich der musikalische Karma und die für ihre schöne Stimme gerühmte Pema näher. Immerhin sind auch sie miteinander verheiratet.
„Shambhala“ ist eine kleine Sensation: Erstmals schaffte es ein Streifen aus Nepal auf eines der großen internationalen Filmfestspiele und lief im Wettbewerb der Berlinale. Beim kleineren Filmfest von Locarno gewann Hauptdarstellerin Thinley Lhamo den Boccalino d’Oro und soll nun sogar für den Kleinstaat einen Oscar holen. Ganz unverdient ist der Rummel um die internationale Koproduktion, finanziert unter anderem von Frankreich und Norwegen, nicht. Denn überwältigend und faszinierend ist die Reise in eine ferne, den meisten für immer verschlossene Welt, die Min Bahadur Bham seinen Zuschauern offeriert: Beeindruckende Panoramabilder von der Hochlandödnis des Himalaja (gedreht wurde der Film in den nepalesischen Bezirken Mugu und Dolpa) mixt er mit geheimnisvoll-magischen Szenen, die Einblick in die Riten und Traditionen der in Nepal lebenden Tibeto-Burmesen gewähren.
Und natürlich ist auch viel fernöstliche Mystik im Spiel: „Wunschland meiner Reinkarnation“ nennt der Rinpoche das spirituelle Königreich Shambhala, in dem sich laut der Legende Mensch und Natur im Einklang mit der geistigen Welt befinden und dessen goldenes Licht Pema im geheimnisvollen Traum über einen magischen Yak gezeigt wurde. Immer rätselhafter, so unzugänglich gleichsam wie die verschneiten Bergketten, vor denen die Geschichte spielt, wird „Shambhala“ in der letzten halben Stunde: Geht Pema am Ende ins Shambhala ein und leistet dem Rinpoche dort Gesellschaft? Oder sind die sepiafarbenen Szenen, die der Regisseur immer wieder einstreut, lediglich Träume?
Vision und Wirklichkeit verschwimmen, und an Eindeutigkeit ist dem Nepalesen offenkundig auch nicht gelegen. An dem eigentümlichen Reiz, den dieses elegische Epos ausübt, diese filmische Expedition in die dunkel lockende Welt des nepalesischen Buddhismus, ändert das nichts. Nur Geduld, Neugier und die Bereitschaft, sich auf ungewohntes Terrain zu begeben, muß der Zuschauer für die 150minütige Hochland-Exkursion unbedingt mitbringen.
Kinostart ist am 21. November 2024
Foto: Pema (Thinley Lhamo): Verheiratet mit drei Männern