© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/24 / 22. November 2024

Ungleichheit, die gleich macht
Quoten-Irrsinn: Weil die Gleichstellungsindustrie blüht, steigt die Zahl ihrer Opfer
Konrad Adam

Vor acht Jahren hatte Hillary Clinton versucht, als erste Frau das Weiße Haus, den Amtssitz des amerikanischen Präsidenten, zu erobern. Der Versuch mißlang, die feministische Karte stach nicht. Kamala Harris hat es jetzt abermals versucht und nicht nur eine, sondern gleich zwei Karten gezogen, neben der feministischen auch die rassistische. Nicht nur als erste Frau, sondern als die erste schwarze Frau wollte sie ins Weiße Haus einziehen. Auch das ging schief; statt ihrer hat ein alter weißer Mann die Wahl gewonnen.

Die Quote scheint nicht mehr zu ziehen. Lang genug hatten die  Amerikaner geglaubt, mit Hilfe von Sollziffern, die das Geschlecht, die Rasse, die Herkunft oder was weiß ich begünstigen, der Gerechtigkeit zu dienen. Doch diese Zeit läuft aus. Die Wähler sind nicht mehr dazu bereit, sich von angeborenen Merkmalen stärker imponieren zu lassen als von dem, was einer gesagt und getan, erreicht oder verhindert hat. Als Vizepräsidentin hatte Kamala Harris vier Jahre Zeit dazu – und nichts geschafft. Das hat die Wahl entschieden.

Tatsächlich ist die Quote eine alberne Idee. Sie suggeriert, daß sich ein wünschenswertes Ziel, die Chancengleichheit, mit Hilfe der Statistik nicht nur überprüfen, sondern auch erreichen läßt. Die Quote ist eine Erfindung von Soziologen, die uns einreden wollen, daß es in einer Gesellschaft erst dann gerecht zugehe, wenn alle gesellschaftlichen Gruppen auf allen Ebenen der Gesellschaft in der Stärke vertreten sind, die ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht. Wo es anders aussieht, muß eingegriffen, muß die Gesellschaft verändert werden.

Die Gesellschaft zerfällt in Starke und Schwache, in Täter und Opfer

 „Wenn die Hälfte der Bevölkerung keine Möglichkeit zu gleichberechtigter Teilnahme hat“, hieß es in einer Verlautbarung des Auswärtigen Amtes, „kann keine Gesellschaft ihr Potential voll ausschöpfen, können wir Frieden und Sicherheit nicht dauerhaft erreichen“. Der Text stammt aus der Frühzeit von Annalena Baerbocks segensreicher Tätigkeit als Außenministerin der Bundesrepublik Deutschland. Damals ließ sie sich gern beim Wassertragen in Afrika fotografieren, umgeben von lauter schwarzen Frauen.

Inzwischen posiert sie lieber in der Ukraine, vor der Kulisse von Panzern und Kanonen – wie zum Beweis dafür, daß feministische Außenpolitik zwei Wörter ohne Inhalt sind. Nicht nur Männer, auch Frauen wie Golda Meir, Indira Gandhi und Margaret Thatcher haben Kriege geführt, recht erfolgreich sogar. Sie hatten allerdings darauf verzichtet, sich ihren Wählern als Friedenstauben zu empfehlen. Diese Peinlichkeit haben sie den Hofschranzen von Kamala Harris oder Annalena Baerbock überlassen.

Dem Feminismus tut das keinen Abbruch. Daß es in der Welt friedlicher zugeht, wenn auf jedem zweiten Platz eine Frau sitzt, ist ein Dogma, das wie alle Dogmen immun ist gegen den Einspruch der Wirklichkeit. Es lebt vom Interesse der Interessenten; und deren gibt es viele auf der Welt. Die Frauen stellen nur die größte unter all den Gruppen, die glauben, von der Gesellschaft ihrer Chancen beraubt worden zu sein. Sie kämpfen stellvertretend für alle, die sich unterdrückt und ausgeschlossen, diskriminiert, entrechtet und verfolgt fühlen. Und die für das, was sie erduldet und erlitten haben, nun endlich entschädigt werden wollen.

Menschenfreunde schwören auf statistische Gleichverteilung

Sie berufen sich auf das Grundgesetz, das neben dem Geschlecht ja auch Abstammung und Sprache, Heimat und Herkunft, religiöse und politische Anschauungen als Eigenschaften erwähnt, derentwegen kein Mensch bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Nicht zufällig heißt der gemeinsame Schlachtruf aller dieser Gruppen denn auch Metoo: Auch wir sind unterdrückt, verletzt, beleidigt und entrechtet worden. Auch wir müssen entschädigt, gefördert und belohnt werden. Auch wir verlangen, von allen Nachteilen befreit zu werden: Gleichstellung also.

Die Soziologen reden gern von „der“ Gesellschaft. Doch „die“ Gesellschaft gibt es gar nicht, jedenfalls nicht im Singular. Sie zerfällt in zwei große Klassen, in Täter und Opfer, in Starke und Schwache. Die Täter sind stark, die Opfer sind schwach; und sie kämen endgültig unter die Räder, wenn es nicht eine dritte Gruppe gäbe, die Beistand leistet, hilft und rettet. Die Dritten, das sind die professionellen Samariter, die AWO-Geschäftsführer und die Caritas-Direktoren, die Retter und die Schlepper, die sich für ihre humanitären Dienste gut bezahlen lassen. Gutes zu tun soll sich lohnen; und es lohnt sich auch.

Was sie vereint, ist der Glaube an eine Ungleichheit, die gleichmacht. Sie wollen besserstellen, um schließlich gleichzustellen, und das ist eine unendliche Geschichte. Je besser es ihnen gelingt, die Menschen einander gleichzumachen, desto unerträglicher werden ihnen die letzten Reste von Ungleichheit erscheinen. Bei dem Versuch, auch die zu beseitigen, werden sie auf neue Ungleichheiten stoßen, und so wird den Menschenfreunden, die auf statistische Gleichverteilung schwören, die Arbeit niemals ausgehen; Alexis de Tocqueville hat das vorausgesagt und recht behalten. Nicht obwohl, sondern weil die Gleichstellungsindustrie blüht, nimmt die Zahl der Opfer, der Benachteiligten und Zukurzgekommenen ständig zu.

Als die sexuelle Revolution in Gang kam, bestand der Opfer-Katalog aus gerade einmal zwei Buchstaben, einem L für die Lesben und einem G für die Gays. Inzwischen ist er dreimal so lang, und er wird immer länger. Die Bi-, die Trans- und die Intersexuellen sind dazugekommen, die Queers natürlich auch, und um klarzumachen, daß der LGBTIQ-Katalog damit längst noch nicht zu Ende ist, erinnert ein Pluszeichen daran, daß es eine noch unbekannte Zahl von sexuellen Varianten gibt, die darauf warten, anerkannt und entschädigt, gleichgestellt und quotiert zu werden.

„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“, so steht es im Grundgesetz. Dieser Verpflichtung ist der Staat nachgekommen: Er hat Aufzüge installiert, Treppen durch Rampen ersetzt, Bushaltestellen behindertengerecht hergerichtet und so weiter. Auf allen Bahnhöfen stehen die Hebebühnen bereit, um Rollstuhlfahrern beim Ein- und Aussteigen zu helfen. Es gibt einen Bundes- und viele Landesbeauftragte „für die Belange behinderter Menschen“, und eine Quote gibt es auch. Verbessert hat sich manches, nur die Stimmung nicht. Die Interessenvertreter sind nach wie vor unzufrieden, und wer sie fragt, bekommt zu hören: „Man ist nicht behindert, man wird behindert.“

Neulich ist in Berlin die Manteuffelstraße, benannt nach einem preußischen Ministerpräsidenten, in Audre-Lorde-Straße umgetauft worden. Von dieser Person ist nicht viel mehr bekannt als bloß der Name; dafür hat sie beim Quotenschießen gleich dreimal einen Spitzenplatz besetzt, als Frau, als Schwarze und als Lesbe. Das reicht, um in Deutschland öffentlich geehrt zu werden. In Amerika hätte es wohl nicht gereicht, und das erklärt die Wut, mit der die Quotengläubigen auf die Niederlage von Frau Harris reagiert haben.

Ihre Saison geht zu Ende. Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat schon erklärt, in seinem Kabinett keine Quoten zu dulden. Hoffentlich vergißt er das nicht, wenn es endlich soweit ist.


Foto: Anders sein als andere: Alexis de Tocqueville entwickelte die Lehre von der „Tyrannei der Mehrheit“. Sie betrifft nicht nur die Sphäre des Politischen, sondern wirkt sich auch auf die soziale und kulturrelle Teilhabe aus.