Ein Riß geht durch die Weltkirche, wie einst durch das Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle in Roland Emmerichs Edeltrash-Film „2012“, der das Ende der Welt fast schon genüßlich mit einem Effektgewitter aus dem Computer zelebrierte. Und glaubt man manchen christlichen Kreisen, dann muß das Ende der Welt wahrlich nahe sein, denn Lucifer höchstpersönlich regt sein gehörntes Haupt und scharrt gar fürchterlich mit den Hufen. Anlaß für diese apokalyptische Reaktion ist Luce, das knuffig-kindliche Maskottchen, das sich die katholische Kirche für das „Heilige Jahr 2025“ gegeben hat.
Angelehnt an Figuren aus der populären asiatischen Manga-Kultur, kommt diese Luce nun also mit blauen Haaren und großen Kulleraugen daher, eine kleine Pilgerin mit Rosenkranz und Pilgerstab, sowie angedeuteten Jakobsmuscheln als Reflexion auf den Pupillen. So weit, so harmlos, wären da nicht jene Gruppen verbiesterter Glaubensbrüder- und -schwestern, die selbst bei einem zweifellos erfolgreichen Marketing-Coup der Kirche einen Glaubensabfall und die Hinkehr zum Teuflischen wittern.
Die Phalanx der Kritiker reicht von Evangelikalen, die im Namen „Luce“ (italienisch für Licht) eine Kurzform des lateinischen „Lucifer“ zu erkennen meinen und den Pilgerstab als einen teuflischen Dreizacks mißinterpretieren, bis zu jenen katholischen Hardcore-Traditionalisten, deren Herangehensweise an den Glauben nicht selten von einem ästhetischen Fetisch und einer musealen Stagnation im europäischen Barock überlagert wird.
Unterdessen haben nicht wenige schnell das Meme-Potential der kleinen Pilgerin erkannt. In der Internet-Kultur ist Luce bereits wenige Tage nach ihrer Enthüllung ein nicht mehr wegzudenkendes Instrument der Evangelisierung mit subkulturellem Augenzwinkern. Wer die aktuellen Memes kennt, in denen Luce Dämonen im Dutzend zurück in die Höller schickt, Ketzer verbrennt oder an der Seite von Jesus den Häretikern die Stirn bietet, der wird die Effektivität des Unterfangens kaum verleugnen können.
Damit ist Luce schon jetzt ein großer Erfolg und erinnert daran, was die katholische Kirche lange Zeit erfolgreich gemacht hat: ein großes Verständnis von Kultur und die Fähigkeit, diese für die eigenen Ziele zu adaptieren. Und so ist Luce vielleicht der größte Coup des Heiligen Stuhls seit 130 Jahren und spiegelt außerdem wider, daß die Weltkirche nicht allein europäischer Formensprache verpflichtet ist. Denn in Europa schrumpft das Christentum, anders als etwa in Asien, wo die Gläubigen überhaupt keine Berührungsängste mit einer solchen Figur haben werden. Gut vorstellbar also, daß eine Luce bald schon die Herrgottswinkel zwischen Hanoi und Tokio schmücken wird. Und das ist überhaupt kein Problem.