© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/24 / 22. November 2024

Unangepaßte Typen – Nick Knatterton und Reinhold das Nashorn
Blühende Comic-Jahre

Immer noch haftet den 1950er Jahren das Klischee des Restaurativen, Provinziellen und Spießigen an. Zu Unrecht, findet der emeritierte Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin (Uni Bonn) und zeigt zum Beweis des Gegenteils auf das Werk der Comic-Autoren Manfred Schmidt (1913–1999) und Vicco von Bülow (1923–2011) alias Loriot. Beide Bestseller-Produzenten, die mit ihren in den Zeitschriften Quick und Stern abgedruckten Zeichnungen ein Millionenpublikum erreichten, waren keineswegs unpolitische Unterhaltungskünstler, sondern standen in Fundamentalopposition zum System der Bonner Nachkriegsdemokratie. Der „unheilbare Anti-Militarist“ Schmidt, der schon unter den Bedingungen der NS-Zensur subtile Kritik an den Absurditäten des Militärischen gewagt hatte,  nahm in den 200 Folgen seiner Comicserie „Nick Knatterton“ (1950–1959) alles aufs Korn, was ihm an Konrad Adenauers „autoritärer Kanzlerdemokratie“ mißfiel: vom angeblichen Wiedererstarken des Nationalsozialismus über die aufs Vergessen fixierte Vergangenheitsbewältigung, die unterentwickelte Meinungsvielfalt und die Wiederaufrüstung bis zum übermächtigen Einfluß der Parteien in Staat, Verwaltung und Rundfunk. Loriot schürfte anthropologisch tiefer und kreierte mit der Serie „Reinhold das Nashorn“ (1953–1970) einen notorisch Unangepaßten und Vorläufer der Protestkultur von 1968. Verpackt in einem Comic für Kinder docke das anthropomorphe Nashorn Reinhold an die von Theodor W. Adorno und Günther Anders formulierte Kulturkritik der funktionalistisch reduzierten modernen Welt an (Wirkendes Wort, 2/2024). (wm)  www.wvttrier.de