Manchmal stimmt es eben doch: Getroffene Hunde bellen. Wie laut dieses Gebell manchmal ausfallen kann, mußte ich kürzlich am eigenen Leibe auf der Plattform X erfahren, als ich mich über den schlechten Kleidungsstil deutscher Männer lustig machte. Jene, die sonst kein Problem damit haben, sich täglich im Netz über das Übergewicht von Ricarda Lang oder das Äußere anderer Frauen zu echauffieren, zeigten sich angesichts der Tatsache, daß es ihnen nun selbst einmal an den Kragen ging, erstaunlich dünnhäutig. Schnell war ich wieder die Männerhasserin. Der schlechte Mensch. Die Oberflächliche. Wer die Wahrheit sagt, braucht eben ein schnelles Pferd. Aber warum sind die deutschen Männer – Ausnahmen bestätigen die Regel – so schlecht gekleidet und teilweise sogar ungepflegt?
Deutsche erkenne man direkt an der Optik, höre ich immer wieder von im Ausland lebenden Deutschen. Indirekt impliziert das natürlich, daß das ebenso auf viele deutsche Frauen zutrifft, aber das wäre ein eigenes Thema. Wenden wir uns zunächst den Männern zu.
Ich glaube, daß die Optik vieler deutscher Männer eng verbunden mit dem deutschen Hang zum Pragmatismus ist, der bei den Herren der Schöpfung häufig noch stärker ausgeprägt ist. Kleidung muß für sie in erster Linie praktisch sein und weniger ästhetischen Ansprüchen genügen. Dazu kommt der unterschätzte Faktor sich wandelnder gesellschaftlicher Strukturen. Mein subjektiver Eindruck ist, daß ein gutes Auftreten, Wert auf sein Äußeres zu legen, letztlich auch eine Frage des sozialen Standes ist. Der Mann im Anzug oder zumindest Hemd stirbt nicht aus, weil der Anzug aus der Mode gekommen ist, sondern weil viele Menschen in Deutschland überhaupt nicht mehr die Funktion und den Sinn hinter einem bestimmten Kleidungsstil erkennen, weil es in ihrer Lebensrealität überhaupt nicht mehr notwendig ist, einen gewissen Dresscode einzuhalten.
Je mehr solcher Menschen unterwegs sind, desto mehr nehmen gewisse gesellschaftliche Standards ab, weil es kein Korrektiv mehr gibt. Das fängt mit dem Tragen von Sneakern auf der eigenen Hochzeit und 40jährigen Skatercap-Trägern an und endet bei funktionalen Cargo- und erst recht Jogginghosen in der Fußgängerzone. Das Konzept, daß man Respekt vor sich selbst und vor anderen auch mittels adäquater Kleidung zum Ausdruck bringt, hat letztlich eben auch etwas mit dem Bildungsstand und der Erziehung eines Menschen zu tun.
Aber selbst das vermeintliche Bildungsbürgertum hat heute immer weniger für gesellschaftliche Konventionen bezüglich des eigenen Kleidungsstils übrig. Das wiederum hat viel mit dem deutschen Hang zu einer gewissen moralischen Hybris zu tun, der sich nicht nur in politischem Besserwissertum äußert, sondern auch in einer zelebrierten Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen äußeren Erscheinung. „Seht her, was für ein unangepaßter Mensch ich bin, dem jedwede Oberflächlichkeit zuwider ist.“ Letztlich käme es ja auf die inneren Werte eines Menschen an und Optik sage nichts darüber aus, ob jemand gut oder schlecht sei.
Natürlich definiert unsere Kleidung nicht, ob wir gute oder schlechte Charaktere sind, aber zu glauben, Kleidung, ein gewisser Stil, sage nichts über die Persönlichkeit eines Menschen aus, ist weltfremd und verleugnet letztlich nur das eigene Schubladendenken und die menschliche Natur. Auch die zur Schau gestellte Gleichgültigkeit der eigenen Optik ist nämlich letztlich ein Statement, das durch Kleidung und Körperpflege nach außen getragen wird. Es gibt keine Nicht-Statements in der Mode. Und es gibt keinen Look, so furchtbar er auch sein mag, der nicht auch Spiegel der eigenen Persönlichkeit ist. Dazu kommt, daß viele derer, die vorgeben, die Oberflächlichkeit der Gesellschaft überwunden zu haben, selbst ganz vorne mit dabei sind, wenn es darum geht, Menschen aufgrund ihrer Optik zu beurteilen, die nicht so sind wie sie. „Schminkkasten“ oder „Tussi“ sind Begriffe, die sich Frauen wie ich stets ausgerechnet von jenen anhören, die vorgeben, andere nicht nach oberflächlichen Kriterien zu beurteilen.
Der dritte Punkt hat viel mit der deutschen Neidgesellschaft und dem prinzipiellen Argwohn gegenüber erfolgreichen Menschen zu tun und dem, was man gemeinhin mit Erfolg assoziiert. Schick gekleidete Menschen gelten hierzulande schnell als „Angeber“. Jemand, der Wert auf sein Äußeres legt, vielleicht sogar das eine oder andere teuere Accessoire sein eigen nennt, ist ein „Poser“ und natürlich wieder oberflächlich. Ein Markenfetischist, dem es natürlich, anders als den guten Menschen im C&A-Pulli, nicht auf die inneren Werte ankommt. Kaum etwas löst mehr Mißtrauen und Mißgunst im Deutschen aus als ein Mensch, dessen Kleidung vermeintlich nach Geld riecht, denn wer in Deutschland Geld hat, macht sich verdächtig und hat es natürlich stets auf unlautere Weise eingenommen, weshalb man ihn folgerichtig bis ultima besteuern muß, um es an jene zu verteilen, die sich diese Klamotten nicht leisten können. Auch hier wieder jede Menge Schubladendenken und Vorurteile der Fraktion, die im Gegensatz zu anderen „nicht oberflächlich“ ist.
Der Neid und die Vorurteile gegenüber gut gekleideten Menschen – und hier sind wir wieder vor allem bei den Männern – rührt auch daher, daß man selbst schlicht nicht weiß, wie es besser geht, weshalb man einen guten Stil automatisch mit Privilegien verbindet, die einem selbst vermeintlich nicht zur Verfügung stehen. Als ob ein guter Kleidungsstil per se eine Frage des Geldbeutels sei und als ob man nicht auch mit einem prall gefüllten Portemonnaie keinen Sinn für Mode und Geschmack haben könne.
Frauen sind zwar auch häufig neidisch, aber eher auf Schönheit und Jugend und nicht so sehr auf einen guten Stil. Das hat mitunter damit zu tun, daß es für Frauen in der modernen Welt viel mehr Orientierungspunkte, sprich Inspiration gibt. Weibliche Influencer auf Plattformen wie Instagram zeigen Frauen seit Jahren auf, wie man sich auch mit Zara und H&M absolut stylisch in Szene setzen kann. Schminktutorials und Co. setzen noch einen obendrauf. Soll heißen: Für Frauen gibt es Hilfestellungen. Für Männer steckt dieses Segment noch immer in den Kinderschuhen. Ich bemerke das oft, wenn ich von männlichen Followern auf Instagram gefragt werde, ob ich als Frau nicht auch einmal Modetips für Männer geben könnte. Der Wille ist da. Zumindest bei einigen. Andere fühlen sich, wie kürzlich auf X, jedoch einfach nur angegriffen.
Vielen Deutschen fehlt es letztlich an einem natürlichen Sinn für Mode und Körperpflege. Einem intrinsischen guten Geschmack. Das äußert sich letztlich schon an Äußerungen über gutes Aussehen und Kleidung selbst, die ja „immer Geschmackssache“ sei. Als gäbe es keine objektivierbare Vorstellung von Ästhetik. Als wären Funktionsjacken und Socken in Sandalen jemals in irgendeinem Jahrzehnt modisch gewesen und es letztlich einfach nur der Veränderung unseres modischen Geschmacks geschuldet, wenn wir jemanden als nicht gut gekleidet oder gar ungepflegt empfinden.
In Kulturen und Ländern, in denen man die moralische Hybris des besseren Menschen, der jedwede oberflächlichen Standards überwunden hat, noch nicht derart gesellschaftlich kultiviert hat, macht man es besser. Der Deutsche pflegt indes weiterhin seinen inneren tristen Pragmatismus nach außen zu kehren und andere dafür zu beschimpfen, aus dieser grauen Masse auszubrechen.
Das ist schade. Mit ein wenig mehr Selbstliebe und Souveränität könnte man hier vieles zum Positiven verbessern. Sowohl was die allgemeine gesellschaftliche Stimmung als auch das allgemeine äußere Erscheinungsbild der Menschen in diesem Land angeht.
Anabel Schunke, Jahrgang 1988, ist Influencerin, Model, freie Autorin und Kolumnistin der Schweizer „Weltwoche“.
Foto: Als Männer noch gut angezogen waren: Die Hollywood-Schauspieler Rock Hudson, Cary Grant, Marlon Brando und Gregory Peck (v.l.n.r.) 1962 beim informellen Meinungsaustausch an einem Filmset