© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/24 / 22. November 2024

Aufruhr bei den Start-ups
Neuwahl: Investor Christian Reber plädiert für schwarz-blaue Koalition
Fabian Schmidt-Ahmad

Start-ups verhalten sich zur gewöhnlichen Wirtschaft in etwa so wie Popstars zu Politikern. Man schmückt sich mit ihrem jugendfrischen Ruhm und gesteht dafür gewisse Freiheiten zu. Christian Reber, der sich mit dem Verkauf von Wunderlist an Microsoft und trotz seines Ausstiegs bei Pitch als prominenter Akteur der deutschen Start-up-Szene etabliert hat, dürfte diesen Freiraum voll ausgeschöpft haben. Versetzte er doch die Szene mit einem Vorschlag in Aufruhr: Auf der Plattform X (ehemals Twitter) richtete er sich direkt an den CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz: „Öffnen Sie sich für eine Koalition mit der AfD.“

Natürlich, alles ganz furchtbar, aber die Realitäten seien nun einmal so. Als Feigenblatt forderte der in Brandenburg geborene und auf Mallorca lebende Mittdreißiger stattdessen Mini-Brandmauern in einem schwarz-blauen Koalitionsvertrag. So solle dieser festlegen, daß keine rechtsradikalen Parteimitglieder politische Verantwortung übernehmen – was auch immer das heißen mag. Zudem müsse klar sein, daß Deutschland weiterhin EU- und Euro-Mitglied bleibt. Ein Vorstoß, der schlußendlich den AfD-Umfrageergebnissen geschuldet ist.

„Ich spreche mich für gelebte Demokratie aus.“

Zuviel Realitätssinn für viele. So bezeichnete Philipp Klöckner, mit über hundert Start-up-Investitionen  der Influencer-Platzhirsch, den Vorschlag als „Dummheit“. Philipp Witzmann, Geschäftsführer von Nebenan.de, orakelte, daß eine solche Koalition die Innovationskraft der Digitalwirtschaft gefährden könnte. Wobei nicht klar ist, ob er diese Gefahr als größer oder kleiner sieht als die, die durch die Bundesregierung ausgeht. Im Endkampf der Weimarer Republik sieht sich Roy Uhlmann von Motor.Ai, der Rebers Vorschlag ernsthaft mit den politischen Fehlern der 1930er Jahre vergleicht, die zur Machtergreifung der NSDAP führten.

Da ist das vorsichtige Abwägen der Argumente durch den „Höhle der Löwen“-Investors Frank Thelen fast ein Bekenntnis: „Keiner will eine starke AfD, aber aktuell geben uns die Wähler eventuell keine andere Option, ihre demokratischen Stimmen in einer funktionierenden Regierung zusammenzubringen.“ Bleibt die Brandmauer zur AfD bestehen, ist in der deutschen Parteienlandschaft bald nichts mehr übrig, was sich noch gegen die Blauen verbünden könnte. Eben diese Sorge treibt Christian Miele um, Nachfahre des berühmten Unternehmensgründers Carl Miele. „Wenn ich mir die aktuellen Umfragen ansehe, sehe ich Mitte-Rechts-Mehrheiten, bekommen werden wir aber vermutlich eine Mitte-Links-Koalition. Ich sehe daher die große Gefahr, daß das Vertrauen in die Demokratie weiter erodiert“, pflichtet er Reber bei.

Doch appelliert Miele ernsthaft an die linken Brandmauer-Profiteure, sich an einer Rettung der FDP zu beteiligen, die unter der Fünfprozenthürde dümpelt. Diese könnte dann als bürgerlicher Mehrheitsbeschaffer eine Dreier-Koalition überflüssig machen. „Wir bräuchten eine lagerübergreifende Kampagne, die am Ende Schwarz-Gelb ermöglicht“, forderte er im Handelsblatt. Ansonsten sei seine Schreckensvision ein AfD-Wahlsieg 2029. Das treibt auch Reber um. „Meine Angst ist, daß wir 2029 Alice Weidel als Bundeskanzlerin haben.“

Warum er Angst vor einer Kanzlerin hat, die immerhin als Analystin selbst Kontakt zur Start-up-Szene hatte, bleibt unklar. Überhaupt scheint es eher um ein diffuses Unbehagen zu gehen: „Ich flirte nicht mit der AfD, ich wähle CDU. Ich würde sogar so weit gehen, daß ich die AfD hasse“, versicherte Reber pflichtschuldig. „Aber ich habe große Angst, daß wir Millionen von Wählern kategorisch ausgrenzen“ mit der Folge eines „gewaltigen Rechtsrucks“. Zum Schluß muß auch ein Multimillionär noch einen Kotau machen: „Mein Vorschlag mag vielleicht disruptiv, unintuitiv oder sogar unfaßbar dämlich sein, aber ich spreche mich für gelebte Demokratie aus.“ Er appelliert an Merz, seinen Vorschlag zu überdenken. Alles, was Merz dazu benötige, sei „Mut zur Wahrheit, Mut zum Fortschritt und ein mächtiges und selbstbewußtes Auftreten. Dann holt er die AfD-Wähler auch zurück zur CDU“. Offenbar ist Reber entgangen, daß er mit „Mut zur Wahrheit“ tatsächlich der Union den bekanntesten Wahlslogan der AfD anempfiehlt.