Eine „reine Politfarce“ nannte der österreichische Europaabgeordnete Roman Haider (FPÖ) die Anhörungen der designierten Kommissare vor den Fachausschüssen im EU-Parlament. Diese seien von „ausweichenden und teils abgehobenen Antworten, EU-typischen Hinterzimmerdeals und ideologischen Vorbehalten“ geprägt gewesen – und davon, daß sieben der 27 Kommissare noch immer auf ihre Bestätigung warten.
Die war eigentlich schon für den Dienstag voriger Woche geplant. Doch die Fraktionen im Parlament fanden keine Einigung und vertagten die Entscheidung bis auf weiteres. Bis zum Redaktionsschluß dieser Zeitung steckten die Verhandlungen in einer Sackgasse.
Der Meloni-Vertraute Raffaele Fitto steht im Mittelpunkt
Der Zwist dreht sich um drei Personalien. Der größte Zankapfel ist Raffaele Fitto, ein Vertrauter der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, der einen der sechs einflußreichen Exekutiv-Vizepräsidenten-Posten übernehmen soll. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihre christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP), größte Fraktion im Parlament, pochen auf den 55jährigen, um sich mit Fittos Fraktion, den rechten Europäischen Konservativen und Reformern (EKR), einen potentiellen Partner warmzuhalten. EVP-Chef Manfred Weber schreckt bei Abstimmungen im Parlament nicht davor zurück, je nach Thema die Brandmauer zu den rechten Fraktionen zu durchbrechen und seine Vorhaben auch mit deren Stimmen durchzusetzen.
Dagegen ist Fitto als Mitglied von Melonis rechten Fratelli d’Italia (FdI) für die sozialdemokratische S&D-Fraktion, die liberale Renew-Fraktion und die Grünen ein rotes Tuch, zumal er in seinem Ressort „Kohäsion und Reformen“ über die Verteilung der wichtigen EU-Regionalfördergelder entscheiden würde, die etwa ein Drittel des gesamten EU-Haushalts ausmachen.
In seiner Anhörung vor dem Ausschuß für regionale Entwicklung ließ sich der studierte Jurist von den Fragen zur postfaschistischen Vergangenheit der FdI nicht aus der Reserve locken und meisterte die fachlichen Fragen zu seinem geplanten Ressort problemlos. Ohnehin zweifeln selbst seine Gegner nicht an der Kompetenz des versierten Europapolitikers, der acht Jahre lang im EU-Parlament saß und seit 2022 als Minister in der italienischen Regierung für europäische Angelegenheiten zuständig ist. Als „einfachen“ Kommissar würden sie ihn wohl akzeptieren. Gegen Fitto in der mächtigen Rolle als Vizepräsident sträuben sie sich beharrlich.
Im Gegenzug blockiert die EVP die Spitzenfrau der Sozialdemokraten, Teresa Ribera. Die Parteifreundin des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez ist als Vizepräsidentin für „sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Übergang“ vorgesehen. Sie würde maßgeblich die Klima- und Wettbewerbspolitik der EU bestimmen und hätte damit einen mindestens genauso bedeutenden Posten wie Fitto.
Fraglich, ob die Kommission wie geplant am 1. Dezember feststeht
In der Anhörung vor gleich drei Fachausschüssen – Wirtschaft, Industrie, Umwelt – hagelte es für die aktuelle spanische Umweltministerin insbesondere von den heimischen Christdemokraten des Partido Popular (PP), der größten nationalen Delegation in der EVP, kritische Fragen. Sie machen Ribera für die Flutkatastrophe in Valencia mitverantwortlich. „Es ist ausgeschlossen, daß der Partido Popular eine EU-Regierung unterstützt, in der Teresa Ribera vertreten ist“, bekräftigte die Sprecherin der PP im EU-Parlament, Dolors Montserrat. Die EVP verlangt von Ribera nun, daß sie sich dem heimischen Parlament stellt und ihren Posten in der EU aufgibt, falls die spanische Justiz Ermittlungen gegen sie aufnimmt.
Im dritten Streit geht es um Olivér Várhelyi. Der Kandidat von Viktor Orbán ist der einzige der 20 designierten „einfachen“ Kommissare, der noch auf seine Bestätigung wartet. Die Sozialdemokraten lehnen den 52jährigen wegen seiner Nähe zum ungarischen Ministerpräsidenten ab, obwohl Várhelyi bereits Mitglied der vergangenen Kommission war und jetzt das unbedeutende Ressort für Gesundheit und Tierwohl übernehmen soll.
Weil es im Tauziehen um Várhelyi, Ribera und Fitto weder vor noch zurück geht, haben sich die Fraktionen darauf verständigt, vorerst auch die Bestätigung der übrigen vier Exekutiv-Vizepräsidenten aufzuschieben.
Ob es bald zu einer Einigung kommt, damit die Kommission wie geplant am 1. Dezember feststeht? Zumindest Italiens Außenminister Antonio Tajani ist optimistisch. Am Rande eines Treffens mit seinen europäischen Kollegen sagte er der Nachrichtenagentur Ansa zufolge: „Ich glaube, daß sich der gesunde Menschenverstand durchsetzen wird. Wir arbeiten daran, daß die nächste Kommission ab dem ersten Dezember mit der Arbeit beginnt.“