© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/24 / 22. November 2024

„Wir werden täglich mehr“
„Pro-Palästina“-Netzwerke, Reportage, Teil 2: Wie etablierte Organisationen und Parteien mit radikalen Gruppen zusammenarbeiten
Hinrich Rohbohm

Sie skandieren antisemitische Parolen wie „Zionisten sind Faschisten“, „Uni-Intifada“ und „Palästina, Kurdistan, Intifada, Serhildan“, veröffentlichen auf Flugblättern Fotos und Namen jüdischer Bürger. Die Rede ist von Intifada Hannover, einer radikalen Gruppe, die in den sozialen Medien zu Aktionen und Demonstrationen gegen Israel aufruft.

Der Versuch, Näheres über die Gruppe herauszubekommen, gestaltet sich schwierig. Im Gegensatz zu islamistischen Netzwerken wie „Muslim Interaktiv“ hinterläßt Intifada Hannover nur wenig Spuren. Keine Internetseiten, kein Büro, kein eingetragenerer Verein, kein Ansprechpartner. Die Einheit organisiert sich fast ausschließlich über Plattformen wie Instagram. Und bewegt sich  im Windschatten etablierter Netzwerke, wie der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft (DPG). Die ruft am 6. August dieses Jahres zum Protest gegen den Besuch des israelischen Botschafters auf dem Sommerempfang der CDU-Landtagsfraktion auf. Dabei duldet die DPG in ihren Reihen auch die Teilnahme der Intifada-Gruppe.

„Diese Leute sind gefährlich“, warnen Aktivisten einer pro-israelischen „Solidaritätswache“, mit denen die JUNGE FREIHEIT in der Hannoveraner Innenstadt ins Gespräch kommt. „Juden werden von ihnen gezielt kenntlich gemacht und bedroht“, erzählt eine junge Frau aus der „Solidaritätswache“-Gruppe. Sie spricht von Flugblättern, auf denen Fotos und Namen von bei radikalen Palästinensern unliebsamen Juden abgedruckt seien. Und nicht nur das.

Beziehung zu Mitgliedern von SPD und Grünen

Im September dieses Jahres beschmieren Unbekannte den Niedersächsischen Landtag mit „Free Gaza“-Parolen (JF 39/24). Darüber hinaus sprühen die Täter ein rotes Dreieck an die Außenwand des Landesparlaments. Ein Kennzeichen der palästinensischen Terrororganisation Hamas, das im Gaza-Krieg vor allem als Zielmarkierung für einen späteren Angriff dient. Einen Monat zuvor hält Intifada Hannover ein Trauergebet auf dem Bahnhofsvorplatz ab. Offenbar für den wenige Tage zuvor vom israelischen Geheimdienst Mossad  getöteten Hamas-Führer Ismail Hanija. In einem Vorgespräch mit der Polizei hatten die Teilnehmer vorgegeben, das Gebet für einen getöteten Journalisten abzuhalten.

„Mir ist völlig unverständlich, wieso die Polizei die Aktion nicht wegen Verherrlichung von Terrorismus abgeblasen hat“, empört sich die Frau von der „Solidaritätswache.“ Bis zu seinem Tod war Hanija Leiter des Politbüros der Hamas. Und damit nach Auffassung des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofes, Karim Khan, maßgeblich verantwortlich für den Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober vorigen Jahres. Am 1. Mai dieses Jahres mischt sich Intifada Hannover mit Palästinaflaggen unter die zentrale Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zum Tag der Arbeit. Aus der Menge heraus skandiert die Gruppe: „SPD finanziert, Israel bombardiert“ und bringt ihre Flugblätter unter die Leute. Protest aus den Reihen der Gewerkschafter? Fehlanzeige. Sprechchöre habe man nicht wahrnehmen können, heißt es von seiten des DGB. 

Eine Woche später organisiert Intifada Hannover eine propalästinensische Demonstration vor der Leibniz-Universität mitsamt „Uni-Intifada“-Rufen. Daß auch etablierte und gemäßigte Netzwerke wie die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft Hannover derlei radikale Gruppen in ihren Reihen toleriert, wirft Fragen auf. Wer trägt die Verantwortung für die Duldung solcher Gruppen?

Die Spur führt dabei ausgerechnet in Kreise jener Partei, der die Intifada-Gruppe finanzielle Unterstützung für Israel vorwirft: in die SPD. Der Präsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft ist nämlich Nazih Musharbash, ein in der jordanischen Hauptstadt Amman geborener ehemaliger niedersächsischer SPD-Landtagsabgeordneter. Auch seine vier Vizepräsidenten sind allesamt parteipolitisch unterwegs. Detlef Griesche etwa ist ein ehemals langjähriger Abgeordneter in der Bremischen Bürgerschaft und gehört ebenso der SPD an wie sein Vizechef-Kollege Ribni Yousef. Ursula Mindermann, eine Kreistagsabgeordnete aus dem nordrhein-westfälischen Warendorf, ist Mitglied bei den Grünen. Und die vierte Vizechefin, Ivesa Lübben, leitete bis vor einigen Jahren noch das Nordafrika-Büro der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Eine weitere SPD-Politikerin hatte im Oktober sogar die Propaganda der Hamas übernommen. Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz teilte auf Instagram einen Beitrag der linksradikalen und antizionistischen Gruppe „Jewish Voice for Peace“, die Israel als „Apartheid-Staat“ bezeichnet und auch die israelfeindliche  „Boycott, Divestment and Sanctions-Kampagne (BDS)“ unterstützt. Der Politikerin war bereits im April dieses Jahres vorgeworfen worden, auf der Internetplattform X in bezug auf den 7. Oktober 2023 eine Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben. Özoguz ist zudem die Schwester von Yavuz und Gürhan Özoguz, die in Delmenhorst nach wie vor das islamistische Internetportal Muslim-Markt betreiben. Das Portal verbreitet auf einer „Palästina-Spezial“-Seite anti-israelische Inhalte und ruft zum Boykott Israels auf. Auf das Dach ihres eher unscheinbaren Firmensitzes im Schilfweg 13 in Delmenhorst haben die Özoguz-Brüder schon vor Jahren eine riesige Palästina-Fahne gemalt. Zwar ging die Politikerin schon 2011 offiziell auf Distanz zu ihren Brüdern. Da wurde sie gerade zur stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden gewählt. Andererseits forderte sie noch fünf Jahre später Sicherheitsbehörden zu einem Handeln mit „Augenmaß“ gegenüber Salafisten auf, sprach sich damals auch gegen ein generelles Verbot von Kinderehen aus.

Proteste an deutschen Unis sollen noch ausgeweitet werden

Allerdings: Direkte Verbindungen von Muslim-Markt zu Gruppen wie Intifada Hannover existieren offenbar nicht. Alles ist vielmehr in unzählige kleine, unabhängig voneinander arbeitende Zellen und Initiativen unterteilt. Initiativen wie etwa das Palästina-Netzwerk Hildesheim, das ähnlich wie Intifada Hannover regelmäßig über die sozialen Medien zu antiisraelischen Demonstrationen aufruft.

„Wir werden täglich mehr“, sagt Ünal, ein 25 Jahre alter Türke, der unweit der einstigen Moschee des deutschsprachigen Islamkreises Hildesheim (DIK) lebt. In der DIK-Moschee warb einst der islamistische Haßprediger und Deutschland-Chef der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS), Abu Walaa, neue Islamisten an. Und heute? „Klar, seine Anhänger unterstützen auch Palästina, aber mit denen will ich nichts zu tun haben, und die meisten von Students for Palestine auch nicht“, versichert der Maschinenbau-Student. Er will jedoch nicht ausschließen, daß „einige von denen“ auch im Palästina-Netzwerk Hildesheim mit dabei sein könnten. Zudem würden immer mehr neu zugewanderte Migranten zum Netzwerk dazustoßen. „Da sind auch ein paar Freunde von Hashim dabei“, sagt Ünal. Gemeint ist Hashim Barbakh, ein Familienmitglied des aus der Gaza-Stadt Khan Yunis stammenden Barbakh-Clans, der als besonders fanatischer und gewalttätiger Unterstützer der Hamas gilt. Der in Deutschland rund 300 Leute umfassende Familienclan ist regelmäßig bei Ausschreitungen am Hermannplatz in Berlin-Neukölln dabei, einem Zentrum antiisraelischer Proteste.

Noch weit engere Kontakte pflege das Palästina-Netzwerk Hildesheim jedoch zu der linksradikalen Gruppe Young Struggle, erzählt Ünal. Die als europaweiter Dachverband von Jugendorganisationen wie der türkischen Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) fungierende Gruppe versucht derzeit, besonders in der deutschen Antifa-Szene Einfluß zu gewinnen.

Die Young-Struggle-Anhänger rechtfertigen den Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023, pflegen zudem Kontakte zum in Deutschland verbotenen Netzwerk Samidoun sowie zur linksradikalen Frauengruppe Zora, die wenige Tage nach dem Hamas-Überfall zur Unterstützung der Terrorgruppe Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) aufgerufen hatte. Wie die meisten bei Students for Palestine vertritt Ünal dagegen die Ja-aber-Position. „Ja, das war Mord, was Hamas gemacht hat, aber es war die Folge jahrelanger Unterdrückung. In Gaza leben die Palästinenser wie in einem Gefängnis.“ Das sieht auch Metin so, der für Students for Palestine in München aktiv ist. „Was Hamas gemacht hat, war Mord, aber die Palästinenser wollen auch ihre Rechte, und jetzt werden sie von Israel ermordet.“

Glaubt man den Aussagen von Metin, so plant Palestine for Students die Besetzungen deutscher Universitäten noch erheblich auszuweiten. „Das ist erst der Anfang. Wir werden bald an jeder Uni sein“, kündigt er schon mal an.