© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/24 / 22. November 2024

Da dideldum, der Kommissar geht um
Affäre „Schwachkopf“: Robert Habeck gibt sich gern nachdenklich. Dabei ist er dünnhäutig und nachtragend
Peter Möller

Viel ungünstiger hätte es für Robert Habeck nicht laufen können. Ausgerechnet vor dem Wochenende, an dem sich der Noch-Wirtschaftsminister auf dem Parteitag der Grünen zum Kanzlerkandidaten seiner Partei ausrufen ließ, holte ihn ein Fall ein, der ihn plötzlich als Kämpfer gegen die Meinungsfreiheit erscheinen läßt.

Am Dienstag vergangener Woche hatte die Polizei nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) im Zusammenhang mit mehr als 90 Ermittlungsverfahren über 50 Wohnungen durchsucht und zahlreiche Beschuldigte vernommen. Hintergrund der konzertierten Aktion des BKA war der „11. Aktionstag gegen Verfasserinnen und Verfasser von strafbaren Haßpostings im Internet“, der diesmal den Themenschwerpunkt Antisemitismus hatte.

Betroffen war auch ein 64 Jahre alter Mann aus Franken. Ihm wird von der Staatsanwaltschaft Bamberg vorgeworfen, im Frühjahr auf der Internetplattform X ein an eine Shampoowerbung erinnerndes Bild von Habeck mit der Bezeichnung „Schwachkopf Professional“ gepostet zu haben. Bei der Durchsuchung beschlagnahmten die Beamten ein Tablet.

„Nicht so einfach, aber ich würde es wieder tun“

Der Fall sorgte in den sozialen Medien schnell für Aufsehen, nachdem der Mann zunächst dem Nachrichtenportal Nius berichtet hatte, wie sehr seine behinderte Tochter die polizeiliche Durchsuchung mitgenommen habe. Am vergangenen Freitag äußerte sich schließlich die Staatsanwaltschaft zu dem Fall und teilte mit, die Durchsuchung sei aufgrund eines von Habeck gestellten Strafantrags erfolgt. Das „Schwachkopf“-Meme falle unter die Paragraphen 185, 188 des Strafgesetzbuchs, mit denen Beleidigungen insbesondere gegen eine Person des politischen Lebens geahndet werden. Er habe „nicht im geringsten, niemals, damit gerechnet“, daß er etwas Strafbares poste, bekräftigte Stefan Niehoff, der von der Durchsuchung betroffene Rentner, Anfang dieser Woche im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Dabei betont er, daß er nicht die Absicht hatte, Habeck persönlich zu beleidigen. 

Weil sich in der Öffentlichkeit der Eindruck verfestigte, Habeck sei dafür verantwortlich, daß ein unbescholtener Bürger für ein harmloses Bild am frühen Morgen von der Polizei aus dem Bett geklingelt wurde, bemühte sich der Wirtschaftsminister hastig um Schadensbegrenzung. „Daß eine gerichtlich angeordnete Hausdurchsuchung bei dem Beschuldigten stattfand, ist einzig und allein die Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte“, wurde aus dem Umfeld Habecks gestreut. „Allein sie entscheiden, ob Sachverhalte strafrechtlich verfolgt werden, welche Mittel angemessen sind und genutzt werden“, zitierte die Berliner Morgenpost die anonyme Quelle. Habeck sei darüber weder informiert gewesen noch daran beteiligt. Man sei über die Hausdurchsuchung verwundert, falls diese allein wegen des Strafantrags erfolgt sei. Von den anderen Vorwürfen gegen den Mann habe man erst jetzt erfahren. 

Zugleich wurde aus Habecks Umfeld bestätigt, der Minister habe Anzeige erstattet, allerdings nicht aus Eigeninitiative. Vielmehr sei dessen Bundestagsbüro von der bayerischen Polizei auf den Post hingewiesen worden, verbunden mit der Frage, ob er Strafantrag erstatten wolle. Der Fall sei Habeck dann zusammen mit anderen Fällen vorgelegt worden, bei denen es um Drohungen und schwere Beleidigungen gegangen sei. Der Verdacht der Volksverhetzung, wegen dem gegen den Mann ebenfalls ermittelt wird, sei natürlich gravierender, hieß es.

Damit wird auf die Tatsache angespielt, daß dem Mann auch vorgeworfen wird, „eine Bilddatei hochgeladen zu haben, auf der ein SS- oder SA-Mann mit dem Plakat und der Aufschrift ‘Deut­sche kauft nicht bei Juden’ so­wie u.a. der Zusatztext ‘Wahre Demokraten! Hatten wir alles schon mal!’ zu sehen ist“, zitiert die Bild-Zeitung den zuständigen Staatsanwalt. Doch der Beschuldigte wehrt sich: „Das habe ich gepostet, als sich der Müller-Milch-Chef mit der AfD-Chefin Alice Weidel getrof­fen hatte und es danach Boy­kottaufrufe gegen Müller gab. Ich wollte sagen, daß es fast wie damals sei“, zitiert ihn das Blatt.

Am Rande des Parteitages der Grünen versuchte auch Habeck in der ARD, das Augenmerk auf diesen zweiten Fall zu lenken. Seiner Wahrnehmung nach sei seine Anzeige nur der Auslöser gewesen, maßgeblich für die Hausdurchsuchung und die Beschlagnahmung seien seiner Ansicht nach aber rassistische beziehungsweise antisemitische Hintergründe der betroffenen Person gewesen. Doch die Staatsanwaltschaft hatte in ihrer Pressemitteilung ausdrücklich festgestellt, daß die Hausdurchsuchung ausschließlich wegen einer gegen Personen des politischen Lebens gerichteten Beleidigung erfolgte und nicht wegen eines anderen Vorwurfes.

Für sein inflationäres Vorgehen gegen tatsächliche oder vermeintliche Beleidigungen kassierte Habeck in den vergangenen Tagen viel Kritik. Deutlich äußerte sich etwa der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU): „In einer Demokratie darf man die Herrschenden Idioten, Schwachköpfe, Deppen nennen. In Diktaturen wird man dafür strafrechtlich verfolgt“, schrieb der Bundestagsabgeordnete auf X. 

Bereits im August war durch eine Anfrage der AfD im Bundestag bekanntgeworden, daß Habecks Ministerium 30 Strafanzeigen mit dienstlichem Bezug gegen Bürger gestellt hatte. Hinzu kam noch – wie in diesem Fall – sein Bundestagsbüro als Anzeigeerstatter; mindestens 700 weitere Strafanzeigen hatte man bis zum Sommer dieses Jahres gestellt. Dafür engagiert Habeck eigens eine spezialisierte Anwaltskanzlei. 

Unterdessen ist die Zahl der erfaßten Fälle von übler Nachrede und Verleumdung gegen Personen des öffentlichen Lebens in Bayern seit Änderung des entsprechenden Gesetzes rapide gestiegen. Waren es 2021 im gesamten Freistaat 99 Fälle, so weist die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2022 bereits 227 und für das vergangene Jahr 445 Fälle aus. 

Stefan Niehoff aus Franken kannte den entsprechenden Paragraphen 188 nach eigenem Bekunden bis vor kurzem gar nicht. „Jetzt ja“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. „Nicht so einfach für einen einfachen Rentner, aber ich würde es wieder tun“, gibt er freimütig zu.