© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/24 / 22. November 2024

Die Gunst der Stunde nutzen
Lebensschutz: Nach dem Ampel-Aus wollen Grüne und SPD Abtreibungen legalisieren / Über notwendige Mehrheit im Bundestag verfügen sie nicht
Lorenz Bien

Die Ampel-Koalition ist zerbrochen, im Bund amtiert nur noch eine Minderheitsregierung, Neuwahlen sollen im Februar stattfinden. In diesem Machtvakuum ergreift eine Gruppe Bundestagsabgeordneter von SPD und Grünen die Chance und präsentiert einen neuen Gesetzesentwurf. Der soll die „Versorgungslage von ungewollt Schwangeren verbessern“, indem es die bisherigen gesetzlichen Regeln für Abtreibungen aufhebt. 

Noch sind nicht alle Abgeordneten bekannt, die den Entwurf unterzeichnet haben. Daß Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), die Grünen-Abgeordnete Ulle Schauws und die SPD-Abgeordnete Carmen Wegge dazugehören, ist aber klar. „Wir stellen den Antrag zur Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen, weil wir davon ausgehen, daß er noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden kann“, betonten Schauws und Wegge. Frauen müßten eigenständig und selbstbestimmt Schwangerschaften beenden, „ohne kriminalisiert zu werden“, ergänzte Paus. Diese Haltung werde auch in der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung und über Parteigrenzen hinweg geteilt.  

Die stellvertretende Vorsitzende der AfD im Bundestag, Beatrix von Storch, warf den Antragstellern hingegen vor, einen „Kulturkampf“ zu führen. Das werde zu „maximaler gesellschaftlicher Polarisierung“ führen, die AfD sei zu diesem Kampf aber bereit. Auch CDU-Chef Friedrich Merz stellt sich gegen die Gesetzesänderung. Er sei wirklich „entsetzt darüber, daß derselbe Bundeskanzler, der immer wieder vom Zusammenhalt, vom Unterhaken und von Gemeinsinn spricht, mit auf der Liste dieses Gruppenantrages mit seiner Unterschrift erscheint“, sagte Merz. Es handele sich um ein Thema, das „wie kein zweites das Land polarisiert, das wie kein zweites geeignet ist, einen völlig unnötigen weiteren gesellschaftspolitischen Großkonflikt in Deutschland auszulösen“. 

Die rechtspolitische Sprecherin der FDP, Katrin Helling-Plahr, machte gegenüber dem Fachmagazin Legal Tribune Online ebenfalls deutlich, daß ihre Fraktion den Vorstoß nicht unterstützen werde.  „Unsere Position ist klar: Unsere Verfassung schützt auch das ungeborene Leben, und deshalb folgt unser Strafgesetzbuch einem Lebensschutzkonzept. Das ist für uns aus ethischen Gründen unverzichtbar“, sagte die Politikerin. „Man kann auch nicht die Stabilität unseres Grundgesetzes hochhalten und gleichzeitig den Lebens- und Menschenwürdeschutz für ungeborene Kinder schleifen.“

Krankenkassen sollen für Abtreibungen zahlen 

Nach der derzeitigen Rechtslage sind Abtreibungen in Deutschland illegal, bleiben aber straffrei, wenn sie innerhalb der ersten drei Monate der Schwangerschaft vollzogen werden und nach einer vorhergehenden Beratung stattfinden. Tatsächlich erklärte das Bundesverfassungsgericht den Schutz des ungeborenen Lebens mehrfach zum Bestandteil der Menschenwürde. Das erkennen auch die Autoren des neuen Gesetzesentwurfs an. Ihrer Ansicht nach beiße sich die derzeitige Regelung allerdings mit der Menschenwürde ungewollt schwangerer Frauen. So enthalte die aktuelle Regelung mehrere Widersprüche, die Frauen von einer Abtreibung abhalten könnten. Als Beispiel benennen die Antragsteller die Tatsache, daß abtreibungswillige Frauen rechtlich zwar an eine Beratung gebunden seien, die Abtreibung mit dieser Maßnahme dennoch nicht „rechtmäßig“ machen könnten. Die durchführenden Ärzte agierten in einer juristischen Grauzone, die sie daran hindern könnte, Abtreibungen durchzuführen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam im April die von der Ampel eingesetzte „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ (JF 17/24), in deren Bericht es hieß: „Dem Lebensrecht des Embryos/Fetus kommt geringeres Gewicht zu als dem Lebensrecht des Menschen nach Geburt.“

Die bisherige Beratungspflicht und die Dreimonatsfrist sollen demnach erhalten bleiben, der Schwangerschaftsabbruch bei Einhaltung aber nicht bloß straffrei, sondern legal sein. Geplant ist zudem, daß die bislang geltende dreitägige Wartepflicht zwischen Beratung und Schwangerschaftsabbruch wegfallen soll. Laut Gesetzesentwurf sollen die Kosten für Abtreibungen künftig von der Krankenkasse übernommen werden. 2023 wurden 106.000 Föten abgetrieben. Das waren 2,2 Prozent mehr als noch im Jahr zuvor.  Kommentar Seite 2