© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/24 / 22. November 2024

Kugelschreiber und Kandidaten
Vorgezogene Wahl: Die AfD dürfte zu den Gewinnern gehören, aber noch hinkt die Partei bei den Vorbereitungen hinterher
Henning Hoffgaard

Schon vor Monaten forderte die AfD das Ende der Ampel-Koalition und Neuwahlen. Aber seitdem der Wunsch Wirklichkeit geworden ist, beginnen für die Partei die Probleme – auch wenn sie in den Umfragen derzeit so gut wie nie dasteht. 

So ist einem Kreisvorsitzenden die Enttäuschung deutlich anzuhören. „Was soll ich mit 200 Kugelschreibern und zehn Zollstöcken? Das reicht nicht mal für einen Wahlkampfstand.“ Gerade hat er eine Mail der Bundesgeschäftsstelle bekommen, in der haarklein aufgeschlüsselt wird, was aus Berlin an sogenannten „Gimmicks“ bereitgestellt wird. 300 Fruchtgummitüten, 50 Flaschenöffner, 25 Schlüsselbänder, 50 Feuerzeuge und so weiter. „Das paßt ja in eine Tüte, nur daß wir nicht mal Tüten bekommen.“ Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Doch ganz allein ist er nicht. Und es zeigt, wie nervös einige in der Partei angesichts des kommenden Winter-Wahlkampfes sind. Bei 18 bis 20 Prozent hat sich die AfD in den Umfragen eingependelt. Die kommende Bundestagsfraktion könnte deutlich größer werden als die jetzige. Insbesondere im Osten winken der Partei auch zahlreiche Direktmandate.

Partei will im Wahlkampf einheitlicher auftreten

Wie gut ist die AfD also aufgestellt? „So gut aufgestellt waren wir noch nie“, sagt Bundesschatzmeister Carsten Hütter der JUNGEN FREIHEIT. Er ist der Herr der Finanzen. Den Wahlkampf leiten werden die Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle und Bundesvorstandsmitglied Heiko Scholz aus Hessen. „Wir haben die ersten Großplakatflächen schon gebucht“, sagt Hütter. „Und wir waren oft die ersten.“ Insgesamt wird die AfD wohl rund sechs Millionen Euro investieren, geplant sind zudem 600.000 Plakate aller Größen. Demnächst soll auch eine Wahlkampfagentur ausgesucht werden. Fünf Stück sind in der engeren Auswahl, wie die JF erfuhr. Die vergleichsweise geringen Zuweisungen für Kugelschreiber und Co. nennt Hütter ein „Basisangebot“. Auch Kreis- und Landesverbände würden schließlich selbst noch weitere Wahlkampfmittel ordern.

Tatsächlich spielen Infostände in Winterwahlkämpfen eine geringere Rolle. Deswegen will sich die Partei auf Plakate und die sozialen Netzwerke konzentrieren. Auf Twitter, Facebook und TikTok gibt es eben kein schlechtes Wetter. Offiziell eröffnet werden soll der Wahlkampf Mitte Januar mit einer großen Wahlkampfveranstaltung „zentral in Deutschland“, wie ein Landesvorsitzender der JF verrät. Maximal zehn Plakatmotive sollen es am Ende werden. Ende November sollen die Landesvorsitzenden dann die Plakatmotive zugeschickt bekommen haben. „Es gibt dann maximal ein bis zwei Stunden Zeit für die Landesvorsitzenden, die Motive in gewisser Dosierung anzupassen.“ Für eine Abstimmung mit den Kreisverbänden bliebe dann keine Zeit. Aber das sei auch nicht schlimm, meint der Landeschef. 

Gleichzeitig bekommen die Direktkandidaten dann auch das festgelegte Corporate Design für ihren Wahlkampf. Die Partei will einheitlich auftreten, den Wiedererkennungswert steigern. Das klappte in der Vergangenheit nicht immer. Am 7. Dezember soll in Berlin auch der Kanzlerkandidat der Partei vorgestellt werden. Am Ende dürfte es eine Kandidatin werden. An Alice Weidel führt derzeit kein Weg vorbei. 

Doch der Wahlkampf ist das eine, der Wahlantritt ist das andere. Viele in der Partei erinnern sich an das Bremen-Desaster, als der zerstrittene Landesverband zwei Wahllisten einreichte und schließlich keine davon akzeptiert wurde. Auch ist die Klagewut unterlegener Kandidaten, die sich um ihr üppig bezahltes Mandat geprellt sehen, ein leidiges Thema. 

Hinzu kommt, daß die Mehrheit der Landesverbände noch keine Listen aufgestellt hat. Konkret geht es um Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Sachsen, Hamburg, Bremen, Bayern, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Dort lebt die große Mehrheit der Wähler. Als letztes wird wohl NRW in einem viertägigen Sitzungsmarathon kurz vor Weihnachten die Kandidaten aufstellen. Daß man dies ursprünglich erst im März kommenden Jahres tun wollte, sorgt bei manchen Mitgliedern im bevölkerungsreichsten Bundesland für Kopfschütteln. Schließlich konnte die Ampel-Krise schon länger niemandem verborgen geblieben sein; und die AfD hatte stets für vorgezogene Wahlen plädiert. Doch mutmaßlich dürften auch innerparteiliche Personalquerelen im Landesverband dafür gesorgt haben, daß die Listenaufstellung erst so relativ spät stattfinden sollte.   

Einem wesentlich kleineren Verband steht ein echter Kraftakt bevor. Denn in Hamburg wird kurz nach dem Bundestag auch eine neue Bürgerschaft gewählt. Der Wahlkampf dort werde parallel erfolgen. Deswegen setze man voll auf die Bundeskampagne und verzichte auf gesonderte Motive zur Wahl der Bürgerschaft. 

 Doch wollen überhaupt alle in der AfD Neuwahlen? Einer wohl nicht. Der Thüringer Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl kündigte an, bei der Vertrauensfrage für Olaf Scholz stimmen zu wollen. Verglichen mit Friedrich Merz sei Scholz das „kleinere Übel“. Besonders was die Rußland-Politik angeht.  Mehrheitsfähig scheint diese Position in der Fraktion nicht zu sein. Weidels Sprecher dementierte, die Bundestagsfraktion wolle Scholz gezielt stützen. Auch die JF erfährt aus Kreisen der Fraktion, daß Pohl damit recht alleine steht. Einer allerdings, der mit den Vorgängen vertraut ist, sagt über Pohl: „Der arme Kerl wird ja gerne vorgeschubst.“ Und Pohl und Parteichef Chrupalla, dessen Verhältnis zur designierten Kanzlerkandidatin Weidel sich abgekühlt haben soll, gelten in der Partei als enge Freunde. Ein Testballon also? Es wäre nicht das erste Mal, daß die AfD für eine faustdicke Überraschung im Parlament sorgt. „Nur danken wird uns das doch keiner“, sagt einer der Strippenzieher.