Steinmeier erzürnt nach Mauerfall-Rede
BERLIN. Eine kritische Rede des Schriftstellers Marko Martin (54) im Schloß Bellevue und die Reaktion von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier darauf sorgen für Wirbel. Martin hatte bei einer Veranstaltung zum Mauerfall vor 35 Jahren unter anderem Steinmeiers Haltung gegenüber Rußland und Kreml-Chef Wladimir Putin in seiner Zeit als deutscher Außenminister angeprangert. Darauf reagierte Steinmeier laut Martin beim Empfang nach der Veranstaltung mit einem Wutausbruch. „Er ist angerauscht gekommen, um mir qua seines Amtes die Leviten zu lesen“, sagte Martin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Steinmeier habe ihn gefragt, ob es ihm Freude mache, Politiker zu diffamieren. Die Sprecherin des Bundespräsidenten erklärte dazu auf Anfrage, Steinmeier habe mit Martin bei dem Empfang „kontrovers, aber sachlich über seine Rede diskutiert“. Martin spannte in seiner Rede den Bogen von dem SPD-Ostpolitiker Egon Bahr, der die polnische Solidarność 1982 als „Gefahr für den Weltfrieden“ bezeichnet habe, über Ex-Kanzler Gerhard Schröder („Putins Duzfreund“) bis zu Steinmeier und dem neuen SPD-Generalsekretär Matthias Miersch. Er warf Steinmeier unter anderem das Festhalten am Projekt der Erdgaspipeline Nord Stream 2 vor: Dieses „war nur insofern ‘eine Brücke’ – Ihre Worte vom Frühjahr 2022 – als daß es Putin in seinen Aggressionen zusätzlich ermutigte, und zwar in seinem Kalkül, daß die Deutschen, ansonsten Weltmeister im Moralisieren, das lukrative Geschäft schon nicht sausen lassen würden, Ukraine hin oder her.“ Zudem erinnerte Martin den Bundespräsidenten an dessen Äußerungen als Außenminister 2016, als er die Nato-Mänover an der Ostflanke als „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“ bezeichnete. Der Schriftsteller sagte der dpa: „Wir haben einen Bundespräsidenten, der sich dieser Debatte verweigert, der Debatte über die deutsche Mitverantwortung für Putins Aggressionen.“ Marko Martin, 1970 im sächsischen Burgstädt geboren, war als Kriegsdienstverweigerer im Mai 1989 aus der DDR in die Bundesrepublik übergesiedelt. (JF)
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Schriftsteller Jürgen Becker gestorben
KÖLN. Der Schriftsteller Jürgen Becker ist vergangenen Donnerstag im Alter von 92 Jahren in seinem Haus in Köln verstorben. Mit seinem lyrischen Werk gehörte Becker zu den wichtigsten Autoren der Gegenwart. 2014 erhielt er den Georg-Büchner-Preis. In der Begründung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung hieß es damals, Becker habe die „Gattungsgrenzen von Lyrik und Prosa beharrlich neu vermessen und verändert“. Noch in diesem Jahr ist der Band „Nachspielzeit. Sätze und Gedichte“ erschienen. Becker wurde 1932 in Köln geboren. Zu Kriegsbeginn zog die Familie nach Erfurt, Becker kehrte 1950 ins Rheinland zurück. Die Erinnerung an den Krieg und die Erfahrung der deutschen Teilung waren prägend für sein Werk. Ein zentrales Thema für ihn war die Wiedervereinigung Deutschlands. Bereits vor dem Mauerfall veröffentlichte er 1988 den Band „Das Gedicht von der wiedervereinigten Landschaft“. Becker studierte Theaterwissenschaften, Kunstgeschichte und Germanistik und arbeitete unter anderem als Lektor sowie Leiter der Hörspielredaktion des Deutschlandfunks. (JF)