Der Geburtstag der neuen Kunstrichtung des Impressionismus läßt sich präzise auf den 15. April 1874 datieren. An diesem Tag eröffnete in Paris eine von Claude Monet, Paul Cézanne, Edgar Degas, Auguste Renoir, Alfred Sisley, Camille Pissarro, Berthe Morisot und zwanzig ihrer weniger bekannt gewordenen Exponenten selbst organisierte Ausstellung mit 165 Gemälden, die kunsthistorisch als Premiere der modernen Malerei gilt. Ein Teil der Presse faßte die Exposition dieser Künstlergruppe kurzerhand unter dem Titel eines Seestücks von Monet zusammen: „Impression, Sonnenaufgang“. Es zeigt eine den Hafen von Le Havre in violett-blaues Lichtgewitter tauchende, gegenständliche Konturen auflösende Komposition, die allein darauf zielt, atmosphärischen Eindruck zu erzeugen.
Die meisten Besucher waren entsetzt und empörten sich über derartige „Schmierereien“. Der Kunstkritiker Louis Leroy urteilte nach dieser ersten Gruppenausstellung über das Monet-Bild: „Eine Tapete im Urzustand ist ausgearbeiteter als dieses Seestück.“
Mit zwei großen Ausstellungen haben Museen in Paris und New York 2024 die Geburt des Impressionismus vor 150 Jahren gefeiert. Und auch das Kölner Wallraf-Richartz-Museum wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mit der Erinnerung an die wohl beliebteste, den ästhetisch perfekten Schein des schönen Lebens vermittelnde moderne Stilformation wieder einmal viel Publikum anzulocken.
Allerdings setzten die Domstädter mit ihrer „Paris 1863–1874. Revolution in der Kunst“ überschriebenen, bis Ende Juli dieses Jahres gezeigten Schau deutlich andere Akzente. Im üppig ausgestatteten, wissenschaftlich ambitionierten Katalog, der mehr sein will als ein unterhaltsamer Cicerone, verrät die Kuratorin Barbara Schaefer, daß man sich auf den Vorlauf des annus mirabilis 1874 konzentriert und somit den Schwerpunkt auf die 1860er Jahre verlagert habe, um das politische und sozioökonomische Entstehungsmilieu des Impressionismus zu erkunden.
Manet sorgt mit barbusigen Frauen-Gemälden für Empörung
Daher rückt in neun Aufsätzen das von Napoleon III. nach einem Staatsstreich 1852 begründete, 1870 in Frankreichs geplantem Angriffskrieg gegen Preußen-Deutschland untergegangene Zweite Kaiserreich mit Paris als „Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts“ (Walter Benjamin) in den Mittelpunkt des von Schaefer edierten Bandes. Dort beginnt der noch längst nicht unter dem Impressionismus-Etikett firmierende Edouard Manet seine Karriere im Frühjahr 1863 mit einem Skandal. Eingereicht zur Salonausstellung der Akademie der Schönen Künste hatte er sein Gemälde „Das Frühstück im Grünen“, eine Parkszene aus dem Bois de Boulogne, die eine nackte Frau zwischen zwei bekleideten Galanen zeigt. Eigentlich nichts Sensationelles, denn ein solches Motiv, das die Akademiejury in einen eigens eingerichteten „Salon der Zurückgewiesenen“ verbannte, wo es dann Tausende von Voyeuren umlagerten, konnte jeder Besucher des Louvre in Dutzenden, aus verschiedenen Kunst-epochen stammenden Variationen bestaunen.
Dieser lakonische Hinweis von Manets Freund Emile Zola trifft auch für das zweite, „Olympia“ betitelte Gemälde zu, mit dem der Künstler 1865 für Furore sorgte. Zwar wurde die Darstellung einer unverhüllten, lasziv auf einer Ottomane plazierten jungen Frau, einer stadtbekannten Kurtisane und Mätresse Napoleons III., diesmal von der Jury für den Salon akzeptiert, provozierte aber einen derartigen Andrang, daß sie rasch in die hinteren Räume und dort unter die Decke, fast außer Sichtweite, umgehängt werden mußte.
In beiden Fällen war nicht weibliche Nacktheit Grund der Aufregung und heftig-höhnischer Reaktionen der empörten Kunstkritik, sondern die beiläufige Alltäglichkeit ihrer „realistischen“ Umrahmung im Park wie im Boudoir. Hingegen erregte ein wohlproportionierter Frauenkörper, wie ihn 1863 etwa der Salonmaler Alexandre Cabanel mit seiner „Geburt der Venus“ auf die Leinwand warf, nicht den geringsten Anstoß, sofern, wie der Beitrag Fae Brauers (University of East London) dokumentiert, nacktes Fleisch nur hinreichend mythologisch oder allegorisch verpackt wurde.
Obwohl in beiden Frühwerken Manets wenig vorausweist auf den späteren typisch impressionistischen, auf die Auslösung punktueller Empfindungen um ihrer selbst willen fixierten Stil, stoßen sie in den 1860ern bereits deswegen auf Ablehnung, weil sie zuviel an profaner Wirklichkeit abbilden. Was der von der Akademie dirigierten und kontrollierten kaiserlichen Kulturpolitik widersprach, die jenen Künstlern, die um offizielle Gunst buhlten, einen ästhetischen Konservatismus abverlangte, dem als Staatskunst die Aufgabe zufiel, den aufgeklärten Despotismus Napoleons idealistisch zu verbrämen. Nicht gefragt waren daher Widerspiegelungen einer für Arbeiter, ländliches Proletariat und breite kleinbürgerliche Schichten elenden Wirklichkeit, über die Napoleon, gestützt auf Armee, Polizei, Beamtenapparat und den für den ideologischen Überbau zuständigen katholischen Klerus, seine Herrschaft im Interesse der Großbourgeoisie ausübte.
Eine neureiche Bourgeoisie und ihr bunter Amüsierbetrieb
An die schockierende naturalistische Drastik, mit der die ältere Malergeneration der Courbet, Millet und Daumier die harte bäuerliche Arbeitswelt einfing oder die korrupte Justiz karikierte, konnten Manet & Co. unter dem Druck des Regimes nicht anknüpfen. Wer das „Häßliche und Gemeine“ malen wollte, riskierte die Ächtung als Materialist und Atheist, Sozialist und Demokrat. Ihnen blieb somit nur der Ausweg einer entpolitisierten, aber insoweit doch realistischen, „entgötterten Wirklichkeitssinn“ (Karl Scheffler) offenbarenden Kunst, wie sie den Alltag der „Vergnügungsmetropolis“ Paris und ihrer bis in die Seebäder der Atlantikküste sich ergießenden bürgerlichen Freizeitgesellschaft spiegelt.
Der impressionistische Bilderkosmos, soweit er nicht in sonnenüberglänzte Parks, auf Rennplätze und zu Sommerfrischen führt, wird dominiert von der Topographie der Theater, Restaurants und Hotels im Herzen des „neuen Paris“. Das war erst in den 1850ern unter der Ägide von Baron Haussmann, Napoleons Präfekt des Departements Seine, entstanden. Eingedenk der Erfahrungen der 1848er-Revolution, um die Hauptstadt gegen weitere Gewalteruptionen und zu erwartende Bürgerkriege zu sichern, ließ Haussmann die proletarisch-kleinbürgerlichen Quartiere im Umfeld von Notre-Dame abreißen, vertrieb ihre Bewohner in die Außenbezirke, legte breite, für den Einsatz von Artillerie und Kavallerie besser als die alten engen Gassen geeignete Boulevards an und schuf so Raum für eine an Konsum und Unterhaltung orientierte Architektur.
Diese „Hausmannisierung“, die der Ausstellungsband immerhin grob umreißt, ohne sie als sozioökonomische Voraussetzung des Impressionismus in der Tiefe zu erschließen, wie dies die nie ins Deutsche übersetzten, nun bald vierzig Jahre alten Arbeiten der britischen Kunsthistoriker Timothy J. Clark („The Painting of Modern Life. Paris in the Art Manet“, 1985) und Robert L. Herbert („Impressionism. Art, Leisure and Parisian Society“, 1988) taten, bereitete einer neureichen Bourgeoisie die Bühne ihres bunt bewegten Amüsierbetriebs. Dieser stellte ab auf den Genuß jener schönen Augenblicke, in deren Reproduktion sich impressionistische Malerei erschöpft, getreu ihres ästhetischen Credos: „Bilder wollen nicht verstanden, sondern genossen werden.“
Dem gehorchend, beschränkte sich ihre „Revolution in der Kunst“ auf eine „Geschmacksrebellion“ gegen den akademischen Stil des Salons. Als bloße, systemstabilisierende Geschmacksrebellen agierten die französischen wie später auch die deutschen Impressionisten, „ganz im Sinne des bürgerlichen Liberalismus, da sie in der wünschenswerten ‘Freiheit’ vornehmlich eine Erweiterung der eigenen Freizügigkeit und Priviligiertheit erblickten, während sie die Probleme der unterprivilegierten Schichten bewußt übersahen“ (Jost Hermand, 1995).
Foto: Claude Monet, Impression, Sonnenaufgang, Öl auf Leinwand, 1872: Das Bild gab der Stilrichtung Impressionismus ihren Namen
Barbara Schaefer (Hrsg.): Paris 1863–1874. Revolution in der Kunst. Vom Salon zum Impressionismus, Wienand Verlag, Köln 2024, gebunden, 288 Seiten, durchgehend illustriert, 38 Euro