© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/24 / 15. November 2024

GegenAufklärung
Karlheinz Weißmann

Das Ende der „Fortschrittskoalition“ vermittelt vor allem den Eindruck, daß die Akteure verbraucht sind. Es geht dabei nicht um Erschöpfung aufgrund erbrachter Leistung oder den Preis des Lebensalters, sondern um Lustlosigkeit. Die war auch vorher schon zu spüren, immer nur leicht kaschiert durch den pausbäckigen Optimismus, den man zu verbreiten suchte. Jetzt gibt es keinen Grund mehr, irgend jemand etwas vorzumachen. Man hält die Pfründe, solange es geht, läßt aber schon die Maske sinken, und verräterisch ist der Mangel an Stil beim Abgang von der politischen Bühne und der physiognomische Eindruck, den der Zuschauer erhält.

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Die Welt (Online-Ausgabe vom 5. November) hat einen Auszug des neuesten Buchs von Pascal Bruckner abgedruckt. In dem setzt sich der französische Philosoph mit der Psychopathologie des Westens auseinander: der Fixierung auf die wirkliche oder tatsächliche Schuld, die der weiße Mann und die weiße Frau auf sich geladen haben. Im Zentrum steht dabei vor allem, was neuerdings als Menschheitsverbrechen schlechthin gelten soll: der Kolonialismus. Bruckner hält dagegen das unbestreitbare Faktum, daß „[a]lle Völker, alle Imperien […] zu derselben Schandtat fähig“ sind. Er nennt als Beispiele die Genozide des Osmanischen Reiches, dem die Armenier und die Chaldo-Assyrer zum Opfer fielen, aber auch die Roten Khmer, die ihr eigenes Volk auszurotten suchten. Daß diese Verbrechen entweder unbekannt sind oder bewußt verschwiegen oder heruntergespielt oder gerechtfertigt werden, hält er für die Ursache einer fatalen Schieflage. Denn dadurch daß der Westen sein moralisches Versagen eingestehe, der Rest der Welt aber nicht, mache er sich erpreßbar. Er fördere außerdem eine „perverse Metaphysik des Opfers“, die die Massenvernichtung der Juden durch das NS-Regime als entscheidenden Bezugspunkt ansehe, „und zahlreich sind die Gruppen oder Minderheiten, die […] die neuen Träger des gelben Sterns sein [wollen]. Im Genozid sehen sie nicht den Höhepunkt der Barbarei, sondern eine Gelegenheit, sich selbst zu Auserwählten des Unglücks zu küren“. Auschwitz werde dadurch „der begehrenswerte Schrecken schlechthin, den jeder gerne beerben würde“, um sich einen moralischen – und nicht nur einen moralischen – Vorteil zu verschaffen.

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Du kannst nicht nicht diskriminieren.

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Kanada hat in den vergangenen Jahren Gesetze verabschiedet, die die Möglichkeit des „assistierten Selbstmords“ stark erweitern. Allein im Jahr 2023 haben 15.280 Menschen ärztliche Sterbehilfe in Anspruch genommen. Das bedeutet einen Anstieg von 15 Prozent im Vergleich zu 2022. Seit der Einführung vor acht Jahren wurde 60.238 Menschen im Rahmen des Programms AMM – Aide médicale à mourir das Leben genommen. Obwohl strenge Bedingungen gelten, die die Euthanasiemaßnahmen eigentlich auf unheilbar Kranke beschränken, sind Ärzte zunehmend durch die Tatsache beunruhigt, daß die breite Akzeptanz in der Bevölkerung einen Gewöhnungseffekt hat, so daß immer häufiger die Bitte an sie herangetragen wird, jemanden aufgrund von allgemeinem Lebensüberdruß, Einsamkeit oder Verarmung zu töten.

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Die durch die katholische Kirche anerkannte Internationale Vereinigung der Exorzisten hat im Hinblick auf die Verbreitung von Halloween-Feiern festgestellt, daß es sich keineswegs um eine harmlose oder lediglich der Amerikanisierung der Konsumgewohnheiten zuzuschreibende Unsitte handele. Vielmehr sei Halloween mit schwarzer Magie, Satanismus und Todeskult „direkt verbunden“ und stelle einen gefährlichen Angriff auf die christliche Lehre dar.

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Zu den Mysterien des Bahnverkehrs gehören unvermutet aufploppende Baustellen.

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Zu den Ursachen für den Sieg von Donald Trump wie die Niederlage von Kamala Harris bei der US-Präsidentschaftswahl gehört auch der gender gap, das heißt der unterschiedliche Grad der Zustimmung von Männern und Frauen für die Kandidaten. Kaum überraschend, hatte Trump bei den Männern einen deutlichen Vorsprung. 60 Prozent der weißen Männer und 69 Prozent der weißen Männer ohne College-Abschluß wählten ihn, aber auch 55 Prozent der Hispanics und immerhin noch 21 Prozent der Schwarzen. Dagegen lag Harris bei den Frauen mit elf Prozent vorne (bei der Wahl Bidens waren es zwölf Prozent). Auch dieser Unterschied läßt sich noch nach weißen und nichtweißen Wählern differenzieren: So betrug der Abstand bei den Weißen acht Punkte, bei den Schwarzen immerhin 14 und bei den Hispanics sogar 17 Punkte. Entscheidend für die zukünftige Strategie der Demokraten dürfte sein, wie man wenigstens einen Teil der männlichen Bürger zurückgewinnen kann. Es gibt jedenfalls schon kritische Stimmen aus den eigenen Reihen, die darauf hinweisen, daß zum Erreichen dieses Ziels weder die notorische LGBTQ+-Propaganda noch die Ablichtung auf dem Cover von Vogue dienlich ist, noch die Ausgabe von Slogans wie „Love Wins!“, noch das Verteilen von Kärtchen an potentielle Wählerinnen, auf denen steht: „Ihr müßt euren Jungs nicht sagen, daß ihr für Harris/Walz stimmt“.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 29. November in der JF-Ausgabe 49/24.